MATERIAL-NR. 04000 -5066 Erfolgreiches People Management in KMU und Start-ups quarterly PERSONAL 04 2022 | 74. Jahrgang | www.personalquarterly.de Wissenschaftsjournal für die Personalpraxis Die Herausforderungen hybrider Meetings verstehen und meistern S. 38 KRÜGER/LEHMANN-WILLENBROCK ET AL. Wie Stressprävention in Kleinst- und Kleinunternehmen unterstützt werden kann S. 10 KUSKE/SCHULZ/ZAPKAU/SCHWENS Personalmanagement und Erfolg in KMU: quantitative Evidenz S. 28 RAUCH Rekrutierung in Start-ups: die Rolle von Führungsstil und Stereotypen S. 16 RUDIC/HUBNER-BENZ/BAUM Homeoffice – aktuelle Erkenntnisse zu Produktivität und arbeitsbezogenen Wahrnehmungen S. 32 SÜSS/RUHLE/SCHMOLL Geschlechterdiversität im Management von mittelständischen Familienunternehmen S. 22 LORENZEN/BLOCK
04 / 22 PERSONALquarterly 3 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, viele Volkswirtschaften werden von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dominiert, wodurch diesen für das Beschäftigungswachstum eine zentrale Rolle zukommt. KMU werden häufig mit der „Liability of Smallness“ charakterisiert, also Nachteilen in der Ressourcenausstattung, welche die Anfälligkeit für Veränderungen in der Umwelt erhöhen. Gleichzeitig sind KMU häufig agiler und unternehmerischer orientiert als große Unternehmen. Was bedeutet das für HR und das People Management? Der Schwerpunkt widmet sich dieser Frage. Entgegen der Annahme, dass HR erst ab einer bestimmten Organisationsgröße effektiv sei, zeigt der Beitrag von Andreas Rauch, dass kleine und junge Unternehmen überproportional von Maßnahmen profitieren, die das Wissen, die Fertigkeiten, die Partizipationsmöglichkeiten und die Verantwortung von Mitarbeitenden erhöhen. Biljana Rudic, Sylvia Hubner-Benz und Matthias Baum erläutern, wie ein unternehmerischer Führungsstil Startups im Rekrutierungsprozess helfen kann. Der Beitrag von Johanna Kuske, Matthias Schulz, Florian Zapkau und Christian Schwens befasst sich mit stresspräventiven Maßnahmen in Kleinst- und Kleinunternehmen und Solvej Lorenzen und Jörn Block beschäftigen sich mit mittelständischen Familienunternehmen und dem Einfluss weiblicher CEOs auf die Repräsentation im Management. Im Interview sprechen wir mit Unternehmern und HR-Managern kleiner/mittelständischer, unternehmerisch orientierter Firmen über ihren Ansatz zu People Management. Dabei tritt deutlich hervor: HR in kleinen und mittleren unternehmerisch orientierten Firmen ist anders und muss anders sein und hat dabei in diesen (wissensintensiven) Firmen eine herausragende strategische Bedeutung. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und Inspiration und Motivation für Ihre eigene Arbeit. Rüdiger Kabst Herausgeber PERSONALquarterly Benjamin Krebs Universität Paderborn
4 IMPRESSUM PERSONALquarterly 04 / 22 IMPRESSUM Redaktion/Schriftleitung: Prof. Dr. Rüdiger Kabst (Universität Paderborn), Telefon: 05251 602804, E-Mail: redaktion@personalquarterly.de Redaktion/Objektleitung: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Reiner Straub, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0761 898-3113, E-Mail: Reiner.Straub@haufe-lexware.com Associate Review Editor: Dr. Benjamin Krebs , E-Mail: Benjamin.Krebs@uni-paderborn.de Redaktion/CvD (Chefin vom Dienst): Anja Bek, Telefon: 0761 898-3537, E-Mail: Anja.Bek@haufe-lexware.com. Redaktionsassistenz: Brigitte Pelka, Telefon: 0761 898-3921, E-Mail: Brigitte.Pelka@haufe-lexware.com Disclaimer: Mit Namen gezeichnete Artikel spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Texteinreichung: Alle Manuskripte sind an die obige Adresse der Redaktion, bevorzugt die Schriftleitung (redaktion@personalquarterly.de), zu schicken. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Beiträge werden nur nach Begutachtung im Herausgeberbeirat veröffentlicht. Näheres regelt ein Autorenmerkblatt: Dies können Sie anfordern unter: redaktion@ personalquarterly.de; zum Download unter www.haufe.de/pq. Verlag: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Ein Unternehmen der Haufe Group, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0761 898-0, Fax: 0761 898-3990, Kommanditgesellschaft, Sitz Freiburg, Registergericht Freiburg, HRA 4408 Komplementäre: Haufe-Lexware Verwaltungs GmbH, Sitz Freiburg, Registergericht Freiburg, HRB 5557; Martin Laqua Geschäftsführung: Isabel Blank, Iris Bode, Jörg Frey, Matthias Schätzle, Christian Steiger, Dr. Carsten Thies Beiratsvorsitzende: Andrea Haufe; Steuernummer: 06392/11008 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE812398835. Leserservice: Haufe Service Center GmbH, Munzinger Straße 9, 79111 Freiburg, Telefon: 0800 72 34 253 (kostenlos), Fax: 0800 50 50 446 (kostenlos), E-Mail: Zeitschriften@haufe. de Anzeigen/Media Sales: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Niederlassung Würzburg, Unternehmensbereich Media Sales, Im Kreuz 9, 97076 Würzburg; Bernd Junker (verantwortlich), Telefon: 0931 2791-477, E-Mail: Bernd.Junker@haufe-lexware.com; Thomas Horejsi, Telefon: 0931 2791-451, E-Mail: Thomas.Horejsi@haufe-lexware.com; Anzeigendisposition: Yvonne Göbel, Telefon: 0931 2791-470, Yvonne.Goebel@haufe-lexware.com Erscheinungsweise: vierteljährlich Internetpräsenz: www.personalquarterly.de Abonnementpreis: Jahresabonnement PERSONALquarterly (4 Ausgaben) 112 Euro inkl. MwSt., Porto- und Versandkosten. Bestell-Nummer: A04123 Copyright: Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Publikation darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags bzw. der Redaktion nicht vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt auch die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie sowie die Aufnahme in elektronische Medien (Datenbanken, CD-ROM, Disketten, Internet usw.) Layout: Maria Nefzger, Ruth Großer Titelbild: yuoak/gettyimages.de Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, ISSN 2193-0589 MANAGING EDITORS Prof. Dr. Rüdiger Kabst, Paderborn Prof. Dr. Simone Kauffeld, Braunschweig Prof. Dr. Torsten Biemann, Mannheim Prof. Dr. Heiko Weckmüller, Koblenz EHRENHERAUSGEBER Prof. em. Dr. Dieter Wagner, Potsdam Gegründet im Jahr 1949
5 INHALT 04 / 22 PERSONALquarterly SCHWERPUNKT 6 Die herausragende strategische Rolle des People Managements in KMU Interview mit David Port (Cargoboard), Anja Düker (Raynet) und Oliver Vorwick (Neam) 10 Wie Stressprävention in Kleinst- und Kleinunternehmen unterstützt werden kann Johanna Kuske, Dr. Matthias Schulz, Prof. Dr. Florian B. Zapkau und Prof. Dr. Christian Schwens 16 Rekrutierung in Start-ups: die Rolle von Führungsstil und Stereotypen Dr. Bijana Rudic, Dr. Sylvia Hubner-Benz und Prof. Dr. Matthias Baum 22 Geschlechterdiversität im Management von mittelständischen Familienunternehmen Solvej Lorenzen und Prof. Dr. Jörn Block 28 Personalmanagement und Erfolg in KMU: quantitative Evidenz Prof. Dr. Andreas Rauch NEUE FORSCHUNG 32 Homeoffice – aktuelle Erkenntnisse zu Produktivität und arbeitsbezogenen Wahrnehmungen Prof. Dr. Stefan Süß, Dr. Sascha Ruhle und René Schmoll 38 Die Herausforderungen hybrider Meeting verstehen und meistern Fabio Krüger, Prof. Dr. Nale Lehmann-Willenbrock et al. STATE OF THE ART 48 Wie verschiedene Formen der Motivation auf Arbeitsleistung und Zufriedenheit wirken Prof. Dr. Torsten Biemann und Prof. Dr. Heiko Weckmüller ESSENTIALS 52 Rezensionen: Richtungsweisendes aus internationalen Top-Journals Johannes Brunzel, Peter Göhre, Dr. Benjamin Krebs SERVICE 54 Die Fakten hinter der Schlagzeile: Produktiver durch eine Viertagewoche? 56 Forscher im Porträt: Prof. Dr. Sascha Alavi 58 Den PERSONALquarterly-Fragebogen beantwortet Dr. Simon Brugger, Festo
6 SCHWERPUNKT_INTERVIEW PERSONALquarterly 04 / 22 PERSONALquarterly: Bitte stellt euch und eure Unternehmen kurz vor. David Port: Ich bin einer der vier Gründer von Cargoboard und für den Bereich „People and Culture“ zuständig. Die Idee zu Cargoboard – einer digitalen Stückgutspedition – wurde im Rahmen eines Moduls an der Universität Paderborn zusammen mit unserem Mutterunternehmen, dem Speditionsnetzwerk Cargoline, entwickelt. Zu dem Zeitpunkt war ich im vierten Semester meines International-Business-Studiums – ein halbes Jahr später haben wir gegründet. „Vor Corona“ waren wir zu zehnt, mittlerweile sind wir über 50 Teammitglieder und können uns bei diesem Wachstum vorstellen, bis Ende des Jahres bei 70 bis 80 Mitarbeitenden anzukommen. Auch wenn wir hierbei sehr bedacht und konservativ vorgehen und nur nach Bedarf rekrutieren: Fast wöchentlich ergeben sich Bereiche, in denen wir zusätzliche Kompetenzen benötigen. Innerhalb von drei Jahren haben wir es geschafft, eine der größten digitalen Stückgutspeditionen in Deutschland zu werden. Das Feedback vom Markt und der Mehrwert, der sich daraus für unsere Kunden ergibt, zeigt uns unsere Vision auf: größter digitaler Stückgutspediteur in Europa zu werden. Anja Düker: Im Jahr 2016 bin ich als Assistenz der Geschäftsführung zur Raynet GmbH gekommen. Heute verantworte ich als Senior Vice President denBereichPeople andCulture. Als global agierender Softwarehersteller mit marktführenden Lösungen und komplementierenden Managed Services ermöglicht Raynet erfolgreiches End-to-End-Management von IT-Projekten und IT-Betrieben. Gegründet wurde die Raynet 1999 von Ragip Aydin. Mit den ersten Mitarbeitern lag damals der Fokus auf Dienstleistungen im Bereich der Softwarepaketierung. Heute erstreckt sich unser Portfolio von Technology Asset Inventory und DataManagement, über Software Packaging bis hin zu Unified Data Management. Wir haben einen großen Entwicklungsschritt vom IT-Dienstleister zum Softwarehersteller gemacht. Auch heute arbeitet Ragip als Geschäftsführer mit unseren aktuell mehr als 130 Mitarbeitern (stetig wachsend) an unserer gemeinsamen Vision: Der Mission „Discover to Manage“ folgend wollen wir allen Unternehmen weltweit Transparenz und Sicherheit sowie die Optimierung ihrer IT-Investitionen durch den Einsatz unserer Technologien ermöglichen. Oliver Vorwick: Ich bin einer von zwei Gründern und Geschäftsführern von Neam. Wir sind in Deutschland unter den Top20-Unternehmen im Bereich IT-Sicherheit und haben letztes Jahr bspw. die bislang größte Ausschreibung in diesem Bereich gewonnen. Ergänzt wird das durch klassisches Systemhausgeschäft. Hier bieten wir Beratung in den Bereichen IT-Infrastruktur und Cloud-Lösungen. PERSONALquarterly: Welche Rolle spielt People Management im weitesten Sinne bei euch und wie hat sich diese Rolle mit dem Wachstum gewandelt? David Port: In der Anfangszeit lag unser Fokus zu 100 % darauf, Kundengespräche zu führen, um Feedback zu erhalten, was Kunden an unserer Plattform lieben oder hassen, und Probleme quasi auf Knopfdruck abzustellen. Aufgrund des hohen Kundenfokus hat sich früh ein starkes Wachstum eingestellt. Schnell war klar: HR oder „People and Culture“, wie wir es nennen, kann ich nicht mehr nur nebenbei stemmen. Wir müssen einfach alles von Anfang an aufbauen, müssen viele Prozesse automatisieren und digitalisieren. Wir arbeiten zurzeit an vielen Projekten im HR-Bereich – das ist einfach notwendig, um unser Wachstum zu stützen. Auch und gerade unser Werteverständnis hinsichtlich Service und Qualität sicherzustellen und das Commitment unter den Mitarbeitern auf einem hohen Niveau zu halten – das erfordert entsprechende Führung. Aber auch Strukturen und Prozesse müssen zur Unterstützung etabliert werden. Die ersten Mitarbeiter haben unsere Kunden so behandelt, als wären es ihre eigenen, als wäre es ihr eigenes Unternehmen. Das können wir so von neuen Mitarbeitern nicht (mehr) erwarten. Wir müssen bei People and Culture hinsichtlich Professionalität und Manpower mit der Entwicklung des Unternehmens Schritt halten. Zum Vergleich: In einer klassischen Spedition ist HR rein administrativ orientiert, bei uns hingegen kommt People and Culture eine strategische Bedeutung zu, was sich auch darin ausdrückt, dass wir mittlerweile zu viert im People and Culture Team sind – bei nur 50 Mitarbeitern. Anja Düker: Mit dem Wachstum der Mitarbeiteranzahl ändern sich auch die Anforderungen an das Personalmanagement. Unsere Mitarbeiter sind unser höchstes Gut, denn ohne diese Die herausragende strategische Rolle des People Management in KMU Drei Unternehmer und HR-Manager erklären, warum HR in kleinen und mittleren unternehmerisch orientierten Firmen anders ist und anders sein muss. Die Interviews mit David Port (Cargoboard), Anja Düker (Raynet) und Oliver Vorwick (Neam) führte Dr. Benjamin Krebs
7 04 / 22 PERSONALquarterly Arbeitsplatz, frisches Obst, Sauna, Fitnessraum, Gesundheitskurse, Soft-Skill-Trainings etc. So bekommt der Slogan „Being human“, also menschlich zu sein und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, einen ganz anderen Stellenwert, als einfach nur ein (guter) Arbeitgeber zu sein. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ist Teil unserer Firmenphilosophie und das schon lange. Wir haben allerdings letztes Jahr ein Leitbild entwickelt, dass diesen Teil der Firmenphilosophie schriftlich festhält. Dieses Leitbild haben übrigens nicht wir als Geschäftsführer, sondern die Mitarbeiter entwickelt – und hier zeigt sich glücklicherweise, dass Fremd- und Eigensicht nicht divergieren, was uns darin bestätigt, dass das, was wir transportieren wollen, ankommt. PERSONALquarterly: Wie gelingt es euch, den Team-Spirit eines Start-ups aufrechtzuerhalten? Wie meistert ihr den Spagat zwischen Standardisierung und Formalisierung auf der einen und Agilität auf der anderen Seite? David Port: Mit unseren ersten Mitarbeitenden haben wir hierfür einen Grundstein gelegt. Sie haben dasselbe Commitment gezeigt und waren genauso involviert in ihre Arbeit wie wir als Gründer. Wir saßen auch alle gemeinsam in einem Büro – das war für die Entwicklung des Unternehmens sehr entscheidend und prägt uns und unsere Kultur auch weiterhin. Wir haben einen sehr starken Kundenfokus und einen hohen Serviceanspruch. Trotzdem wollen wir hier nicht mit strikten Leitfäden arbeiten, sondern investieren bewusst in das Onboarding neuer Mitarbeiter, um Verständnis für diesen Serviceanspruch zu schaffen. Wir wollen also die Individualität nicht unnötig einschränken, geben aber mit Werten Leitplanken vor, die den Rahmen definieren. Grundsätzlich spielen Wissenstransfer und Mentalitäts-/Kulturtransfer aufgrund unseres schnellen Wachstums eine große Rolle. Wir setzen hier auf abteilungsübergreifende Workshops und Rotation Days, um ständig an Menschen wären wir nicht da, wo wir heute stehen. Wurden die ersten Mitarbeiter noch überwiegend aus dem Freundes- und Bekanntenkreis und auf direkte Empfehlungen rekrutiert, erfolgt heute ein strategisches Recruiting und ein gezielter Aufbau von Nachwuchskräften. Die Ausbildung spielt dabei eine große Rolle, und wir freuen uns, jedes Jahr neue Auszubildende in derzeit fünf verschiedenen Ausbildungsberufen mit dem Ziel der Übernahme einzustellen. Dabei wollen wir beim Wachstumskurs unsere Werte nicht aus den Augen verlieren. Unsere Mitarbeiter sind als engagierte und motivierte Kollegen der Dreh- und Angelpunkt unseres Fortschritts und durch unsere Mitarbeiterbeteiligung auch direkt am Erfolg beteiligt. Neben finanziellen Vorteilen ist heutzutage aber auch das Arbeitsumfeld wichtiger denn je. Hier sorgen wir für eine Umgebung, in der Arbeit und Austausch unter den Mitarbeitern gefördert wird und das Miteinander zählt – im modernen Innovationcenter für Trainings und Workshops zur Weiterbildung ebenso wie im Fitness- und Gaming-Raum. Oliver Vorwick: Als Beratungsunternehmen machen wir „People Business“. Unser zentrales Asset sind unsere Mitarbeiter – von diesen hängt Wohl und Wehe des Unternehmens ab. Vor zwei Monaten haben wir unsere neue Website gelaunched – mit einem Slogan, der unseren Anspruch auf den Punkt bringt: „Being human and making IT better.“ Wir bieten unseren Mitarbeitern vieles und machen vieles für sie möglich. Wir gehen bspw. einen Schritt über Work-Life-Balance hinaus und versuchen, den Lebensstil und die Bedürfnisse von Mitarbeitern, und wie sie sich über deren Leben hinweg verändern, soweit wie möglich mit den Bedürfnissen des Unternehmens zu synchronisieren. Wir bauen die Job Role dann so um, dass Mitarbeiter weiterhin für uns arbeiten können – auch wenn sie bspw. aus familiären Gründen nicht mehr so viel geschäftlich reisen möchten oder ins Ausland umziehen wollen. Dazu gibt es viele Angebote und Initiativen wie bspw. Massagen am V. l. n. r.: David Port (Cargoboard), Anja Düker (Raynet) und Oliver Vorwick (Neam) Foto: Cargoboard
8 SCHWERPUNKT_INTERVIEW PERSONALquarterly 04 / 22 unseren internen Prozessen zu schrauben – wir haben viel automatisiert und digitalisiert, werden hier aber von unserem Wachstum eingeholt und müssen permanent nachjustieren. Anja Düker: Wir sind ein eingeschworenes Team mit einer gemeinsamen Vision – dabei wird neben der Arbeit auch viel gelacht, mal diskutiert und natürlich gefeiert. Das einfachste Beispiel: Wir duzen uns alle und legen viel Wert darauf, innerhalb wie außerhalb der klassischen Arbeitszeiten zusammenzukommen. Dadurch sind unter den Mitarbeitern viele langjährige Freundschaften entstanden und wir bieten viele Möglichkeiten, um auch neue Kollegen so zu integrieren. Selbstverständlich haben wir Prozesse, Richtlinien und Standards, aber wir legen gleichzeitig großen Wert auf Flexibilität und Individualität. Das ist manchmal ein kleiner Balanceakt, aber es ist uns wichtig, jeden Mitarbeiter als Individuum wahr und ernst zu nehmen. Das bedeutet auch, dass die Mitarbeiter mit privaten Problemen oder Sorgen immer ein offenes Ohr finden. Wer als Mitarbeiter bereit ist, hier sein Bestes zu geben, der kann auch in jeder Lebenslage volle Unterstützung von Raynet erwarten. Dies wird auch anerkannt und sehr geschätzt. Oliver Vorwick: Wir duzen uns alle und pflegen eine offene Kommunikationskultur und gewissermaßen auch ein familiäres Verhältnis untereinander. Für Sorgen und Nöte ist meine Tür als Geschäftsführer immer offen. Davon abgesehen gibt es allerdings HR-seitig klar geregelte Verantwortlichkeiten, die sich auf mehrere Schultern aufteilen. Ich bin bspw. für die Gehaltsentwicklungsgespräche verantwortlich, die Teamleiter für die Mitarbeiterentwicklungsgespräche. Administrative Prozesse haben wir weitestgehend ausgelagert. Darüber hinaus setzen wir auf Stringenz in der Führung – unsere Führungskräfte sind entscheidungsfreudige, „starke“ Führungskräfte, die Spielraum lassen, wo er möglich, sinnvoll und auch mitarbeiterseitig gewünscht ist, aber auch klare Leitplanken setzen. Das wird ergänzt um Leitfäden für Mitarbeiter und Führungskräfte im Allgemeinen sowie Job Roles im Speziellen. In einem kleinen Start-up werden Schwächen in Prozessen noch durch das „Heldentum“ der Gründer kompensiert; die Erfahrung zeigt aber: Wenn Unternehmen wachsen, geht es bald nicht mehr ohne Regeln. Dabei legen wir aber Regeln immer nur so weit fest, dass noch hinreichend individueller Spielraum bleibt. Außerdem haben wir in der Vergangenheit auch immer wieder „überdosierte“ Regeln, die sich als überflüssig oder zu detailliert und komplex erwiesen haben, sodass sie sowieso keiner einhalten konnte, revidiert. PERSONALquarterly: Wie positioniert ihr euch auf dem Arbeitsmarkt als attraktive Arbeitgeber – auch im Vergleich zu großen Unternehmen? David Port: Man könnte sagen, in unserer Brust schlagen zwei Herzen: Spedition und IT. Die Speditionsbranche macht es uns nicht allzu schwer, Spezialisten in diesem Bereich zu rekrutieren – hier dominieren Großraumbüros, Stress, Überstunden und unattraktive Tarifverträge. Auch wenn wir als Start-up zu Beginn gewissermaßen „Welpenschutz“, auch seitens der Mitarbeitenden, genossen haben: Mittlerweile können wir uns kompetitive Gehälter und auch Benefits wie Dienstwagen erlauben. Darüber hinaus kann man bei uns etwas bewegen. Wir sind agil, leben eine Feedback-Kultur sowie Kommunikation auf Augenhöhe und bieten ein modernes Arbeitsumfeld mit ergonomischen Schreibtischen, Top-IT-Ausstattung und Weiterbildungsmöglichkeiten, die nicht einmal zwingend dem Business direkt nützen müssen. Unsere Entwicklung als Startup imponiert Bewerbern, und mittlerweile vermitteln wir auch älteren Kandidaten mit Berufserfahrung das nötige Gefühl von Sicherheit und Vertrauen – unsere Branche ist krisenresistent. Bei den ITlern haben wir es gerade mit dem Standort Paderborn schwerer, dafür haben wir eine Remote-Struktur aufgesetzt und bieten ITlern eine Remote-Option – in Berlin sogar mit einem gemeinsam genutzten Co-Working-Space. Auch wenn diese Mitarbeitenden nur vier Mal im Jahr im Büro sein müssen, sind sie erfahrungsgemäß öfters vor Ort – für Workshops oder Team-Events. Wir legen einfach auch viel Wert darauf, dass das Büro ein Ort ist, auf den man sich freut. Für Führungspersonal denken wir aber über Umzugsboni nach, weil Führung remote doch recht anspruchsvoll ist. Anja Düker: Die IT-Branche ist ein stark umkämpfter Markt. Zwar gibt es viele Interessenten, die in diesem zukunftsorientierten Bereich arbeiten wollen, aber zugleich herrscht enormer Wettbewerbsdruck und durch Remote Work haben Firmen ihren Suchradius deutlich vergrößert. Wir bieten Bewerbern einen interessanten Aufgabenbereich, in dem sie nicht in festgefahrene Strukturen gedrängt werden, sondern eigene Ideen einbringen können und sollen. Wir legen Wert darauf, neben dem Gehalt Komponenten zu berücksichtigen, die für den Mitarbeiter einen Mehrwert bringen. Im Bereich der Mobilität sind das neben dem Dienstwagen z. B. Möglichkeiten zum Bike Leasing und ein Zuschuss zum ÖPNV. Zudem ergänzen wir die modernen Arbeitsplätze in unseren neuen Büroräumen um weitere Angebote wie die Nutzung des Fitnessraums, des Billard- und Gaming-Raums sowie eine großzügige Dachterrasse, auf der wir jeden Freitag gemeinsam grillen. Mit regelmäßigen Team-Events von Sommerfest bis Kartfahren, Fußballturnieren, Stadtfestbesuchen und Weihnachtsfeiern wollen wir das Miteinander fördern. Uns freut besonders, dass das positive Arbeitsklima fast immer das Erste ist, was neue Mitarbeiter, Auszubildende oder Praktikanten hervorheben: Alle schätzen das offene Klima, auf das bei uns viel Wert gelegt wird – alle helfen sich gegenseitig und jeder kann jeden ansprechen. Das macht uns dann auch als Arbeitgeber aus: eine Arbeit, bei der man etwas bewegen und sich persönlich weiterentwickeln kann. Um dieses Angebot abzurunden, haben wir eine
9 04 / 22 PERSONALquarterly Mitarbeiterbeteiligung eingeführt. Die Mitarbeiter werden somit direkt am Unternehmenserfolg beteiligt. Oliver Vorwick: Wenn ich unsere Top-3-Maßnahmen, die Mitarbeiter attrahiert und bei uns hält, benennen müsste, dann sind das für mich: die Führungskraft, die in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen Perspektiven für die Karriereentwicklung aufzeigt; die den Mitarbeiter dort einsetzt, wo er seine persönlichen Interessen, Wünsche, Neigungen und Stärken hat; und die dem Mitarbeiter vermittelt, warum er wichtig für das große Ganze ist. Das sind allesamt Punkte, an denen der direkte Vorgesetzte – der Teamleiter – den größten Anteil hat. Deshalb investieren wir auf dieser Führungsebene besonders stark in Coaching durch Personal Trainer, die dabei helfen, eine gute Führungskraft zu werden, zu bleiben und sich als solche weiterzuentwickeln. Wir haben sogar eine Führungskräfte-Hotline, unter der Führungskräfte Konfliktsituationen mit Mitarbeitern mit einem Trainer besprechen können. Ein Mitarbeiterabgang kostet schnell 30-50k Euro mit Suche, Ausbildung, Fortbildung – wenn das Coaching dabei hilft, Fluktuation zu vermeiden, dann ist das eine absolut lohnenswerte Investition. Davon abgesehen würde ich behaupten: Ein Großunternehmen wird die Nähe der Geschäftsführung zu den Mitarbeitern, zu jedem einzelnen Mitarbeiter, nicht umsetzen können. Das ist praktisch unmöglich. Der CEO eines Dax-Konzerns kann nicht jedem Mitarbeiter telefonisch zum Geburtstag gratulieren. Wir können noch sehr individuell auf den einzelnen Mitarbeiter eingehen, wir sind zudem schnell und unkompliziert – Entscheidungen werden schnell getroffen. Und neben Anfragen für Weiterbildungen genehmigen wir praktisch alle Investitionen, die Mitarbeiter vorschlagen. PERSONALquarterly: Was ist euer Ansatz bezüglich Weiterentwicklung und Karrierepfaden? David Port: Hier stellt uns unser schnelles Wachstum vor eine große Herausforderung: einen mittel- bis langfristigen Karriere- und Entwicklungsplan aufzuzeigen. Es ist schwierig abzusehen, wo wir Ende nächsten Jahres stehen werden, welche Leute und Skills wir dann benötigen werden, ist ungewiss. Tatsächlich tendieren wir aber dazu, Führungspositionen intern zu besetzen, weil in manchen Bereichen eine externe Besetzung zu einem Bruch mit unserer Kultur führen könnte, was wir unbedingt vermeiden wollen. Zusätzlich investieren wir in Formate, abteilungsübergreifend Wissen aufzubauen, wie Workshops oder Rotation Days. Und wir profitieren von unserem extrem wissbegierigen Team. Das Durchschnittsalter ist bei uns 29. Alle haben Lust, sich weiterzuentwickeln – und wir fördern das nach Kräften. Dazu gehört bspw. ein Kontingent an Arbeitszeit, das für Udemy-Kurse (Anm. d. Red.: Udemy ist eine Online-Kursplattform) aufgewendet werden kann. Zudem setzen wir auf Mitarbeitergespräche und hier insbesondere auch darauf, inwieweit wir als Führungskräfte unserer Rolle gerecht werden. Aktuell sind wir auch dabei, Führungsleitfäden zu entwickeln, um hier mehr Verlässlichkeit für Mitarbeiter sicherzustellen und Red Flags/No-Gos zu vermeiden. Anja Düker: Hinsichtlich Karrierelaufbahnen eröffnet unser aktueller Wachstumskurs vielfältige Chancen und Möglichkeiten. Wir schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen, zeigen Mitarbeitern Perspektiven auf und unterstützen diese in ihrer Entwicklung. Dafür gibt es regelmäßige Mitarbeitergespräche mit den Führungskräften, in denen auch gemeinsame Zielvereinbarungen getroffen werden, um die Entwicklung transparent aufzuzeigen. Wichtig ist, dass es nicht immer ein hierarchisches Wachstum in Führungsrollen sein muss. Auch die Erweiterung der Kompetenzen um internationale Erfahrungen oder Aneignung von Expertenwissen in neuen Technologien und Produktverantwortung stellen einen großen Anreiz dar. Mit unserer „Ray Academy“ koordinieren wir sämtliche Trainings, Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten. Neben externen Trainings und Zertifizierungen spielt hier auch das interne Wissensmanagement eine große Rolle. Dies geht vom internen Unterricht für unsere Auszubildenden bis hin zu unseren Competence Centern, um über die verschiedenen Standorte und Abteilungen hinweg Know-how zu teilen und zu vertiefen. Gerne fördern wir unsere Mitarbeiter auch mit langfristigen Fortbildungen oder einem berufsbegleitenden Studium. Hier gibt es vielfältige Angebote, und wir freuen uns besonders über proaktive Mitarbeiter, die ihre Kompetenzen mit Motivation und Engagement erweitern wollen. In der schnelllebigen Welt der IT ist dieser Wissensdurst ein entscheidender Vorteil. Oliver Vorwick: Wir haben eine Genehmigungsquote für Trainings, die von Mitarbeitern angefragt werden, von nahezu 100 %. Eigentlich kommt es eher vor, dass wir mehr Weiter- und Fortbildung von den Mitarbeitern einfordern. Was Karrierelaufbahnen angeht, so haben wir natürlich mengenmäßig eine starke Begrenzung der Führungspositionen. Das war in der Vergangenheit ein Problem, da unsere Fachlaufbahn zu früh zu Ende war, und Mitarbeiter, die sich weiterentwickeln wollten, sich gezwungen sahen, dafür Führungsaufgaben zu übernehmen. Wir haben hier kürzlich weitere Karriereschritte in der Fachlaufbahn ergänzt, um Mitarbeitern mehr Verantwortung und Anerkennung geben zu können, ohne sie in Führungsverantwortung zu drängen. Das erfordert aber auch ein gewisses intrinsisches Interesse, sein Skill Set weiter auszubauen, um den Anforderungen dieser Positionen (Kompetenzprofilen) gerecht zu werden. Das haben wir erst vor zwei Monaten eingeführt; es fehlen also noch Erfahrungswerte und die daran geknüpften Privilegien und Benefits sind noch nicht genau definiert. Vielleicht wird sich auch herausstellen, dass es diese gar nicht braucht.
PERSONALquarterly 04 / 22 10 SCHWERPUNKT_PEOPLE MANAGEMENT Stress am Arbeitsplatz birgt sowohl auf individueller als auch auf betrieblicher Ebene erhebliche Risiken. Der Begriff „Stress“ bezeichnet hierbei die psychischen Belastungen im beruflichen und privaten Umfeld (Stressoren) und das individuelle Stressempfinden als Reaktion auf diese Belastungen (Ganster/Rosen, 2013). Andauernde psychische Belastung und Stressempfinden bei der Arbeit wirken sich negativ auf die Zufriedenheit und Produktivität von Mitarbeitenden aus und können zu langfristigen physischen und psychischen Krankheiten und entsprechenden Arbeitsausfällen führen (Ganster/ Rosen, 2013; Gilboa et al., 2008). Die Auswirkungen von Stress am Arbeitsplatz zeigen sich auch in der Praxis: Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse (2021a) nennen die Befragten ihre Arbeit als Hauptursache für ihren stetig ansteigenden Stress. Zudem nahmen die Ausfallzeiten vonMitarbeitenden aufgrund psychischer Krankheiten in den vergangenen Jahren immer mehr zu (DAK-Gesundheit, 2022; Techniker Krankenkasse, 2021c). Spätestens seit der Coronapandemie sind psychische Belastungen und Stress bei der Arbeit zu einer großen Herausforderung auf gesellschaftlicher, betrieblicher und individueller Ebene geworden (Techniker Krankenkasse, 2021b). In Anbetracht der weitreichenden Konsequenzen von Stress am Arbeitsplatz ist es im Interesse von Unternehmen, präventiv gegen Stress vorzugehen, um die Gesundheit und Produktivität ihrer Mitarbeitenden zu schützen. Unterstützen kann hierbei die Einführung von stresspräventiven Maßnahmen, die sich in primäre und sekundäre Maßnahmen unterteilen lassen (Tetrick/ Winslow, 2015). Primäre Maßnahmen konzentrieren sich überwiegend auf Stressoren im Arbeitsumfeld, die Mitarbeitende psychisch belasten können. Die bekannteste primäre Maßnahme zur Stressprävention ist die Gefährdungsbeurteilung Psyche. Diese umfasst eine strukturierte Analyse des Arbeitsumfelds, die Unternehmen bei der Identifikation von Stressoren wie der Entwicklung von Maßnahmen für die Gestaltung eines stressfreieren, gesundheitsfördernden Arbeitsumfelds unterstützt. Die regelmäßige Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung Psyche ist gesetzlich vorgeschrieben (ArbSchG, 1996). Maßnahmen der sekundären Stressprävention befassen sich insbesondere mit dem persönlichen Stressempfinden von Mitarbeitenden. Hier können Stressmanagementtrainings oder persönliche Wie Stressprävention in Kleinst- und Kleinunternehmen unterstützt werden kann Von Johanna Kuske (Universität zu Köln), Dr. Matthias Schulz (Universität zu Köln), Prof. Dr. Florian B. Zapkau (Wirtschaftsuniversität Wien) und Prof. Dr. Christian Schwens (Universität zu Köln) Coachings dabei helfen, gelassener mit Stress im Arbeitsalltag umzugehen. Typische Inhalte sind dabei das Erlernen von Coping-Strategien und Entspannungstechniken. Trotz der schwerwiegenden Folgen von Stress amArbeitsplatz, der gesetzlichen Verpflichtung zur regelmäßigen Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung Psyche und des vielfältigen Angebots an stresspräventiven Maßnahmen gehen insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU) selten bis gar nicht gegen Stress am Arbeitsplatz vor (Beck/Lenhardt, 2019; EU-OSHA, 2018). Konkret zeigt eine Umfrage zur Evaluation der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA, 2018), dass nur 4 % der Kleinstunternehmen und 7 % der Kleinunternehmen in Deutschland eine vollständige Gefährdungsbeurteilung Psyche durchführen und somit den Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes entsprechen (Beck/Lenhardt, 2019). Laut dem Institut für Mittelstandsforschung sind 97 % der Unternehmen in Deutschland KKU (Braun/Kay, 2021). Diese beschäftigen wiederum ungefähr ein Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und über die Hälfte der geringfügig entlohnten Beschäftigten. Somit betrifft die geringe Verbreitung von Stressprävention nicht nur den Großteil der Unternehmen, sondern auch einen erheblichen Anteil der Beschäftigten in Deutschland. Unternehmer/-innen (wie z. B. Geschäftsführer/-innen, Gründer/-innen oder Eigentümer/-innen) sind die zentralen und oft einzigen Personen, die in KKU Entscheidungen treffen. Gleichzeitig sind sie als Arbeitgeber/-innen dafür verantwortlich und gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Mitarbeitenden vor den negativen Konsequenzen von Stress bei der Arbeit zu schützen. Somit ist ihre Perspektive essenziell, um die geringe Verbreitung von Stressprävention in KKU zu erklären und zu verbessern. Einer aktuellen Studie zufolge betonen Unternehmer/-innen, dass es ihnen insbesondere wegen knapper Ressourcen schwerfällt, zeitliche, finanzielle und personelle Mittel für die Einführung von stresspräventiven Maßnahmen aufzubringen (Pavlista et al., im Druck). Hinzukommt, dass das Thema Stressprävention von Unternehmer/-innen, die oft allein für die Führung ihres Unternehmens und Personals verantwortlich und voll ins Tagesgeschäft eingebunden sind, selten priorisiert wird. Umso wichtiger ist es ein Verständnis zu erlangen, wie Unternehmer/- innen von der Wichtigkeit von Stressprävention überzeugt und
11 04 / 22 PERSONALquarterly schlussendlich zur Einführung stresspräventiver Maßnahmen in KKU motiviert werden können. Die Beantwortung dieser Frage ist auch für Anbieter stresspräventiver Maßnahmen und andere Institutionen im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz höchst relevant, die Unternehmer/-innen aus KKU bei der Einführung von Stressprävention unterstützen und beraten wollen. Beschreibung der qualitativen Studie Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden Interviews mit Unternehmer/-innen aus KKU durchgeführt und hieraus praktische Lösungsansätze zu deren Motivation für die Einführung von Maßnahmen zur Stressprävention abgeleitet. Hierfür wurden im Zeitraum von Juli bis Oktober 2019 11 persönliche und 13 telefonische Interviews geführt (24 Interviews insgesamt). Die Definition von KKU folgt den Vorgaben der Europäischen Kommission (2003) und orientiert sich an der Anzahl der Mitarbeitenden: Unternehmen mit bis zu 9 Mitarbeitenden gelten als Kleinstunternehmen und Unternehmen mit 10 bis 49 Mitarbeitenden gelten als Kleinunternehmen. Die Interviews dauerten zwischen 45 und 90 Minuten und folgten ABSTRACT Forschungsfrage: Wie lassen sich Unternehmer/-innen in Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU) zur Einführung von stresspräventiven Maßnahmen motivieren? Methodik: Auf Basis von 24 Interviews werden Lösungsansätze zur Motivation der Unternehmer/-innen für die Einführung von stresspräventiven Maßnahmen entwickelt. Praktische Implikationen: 1. Das Thema Stress am Arbeitsplatz muss enttabuisiert werden. 2. Stressprävention sollte an bestehende Strukturen in KKU anknüpfen. 3. Stressprävention sollte als Mittel gegen den Fachkräftemangel präsentiert werden. 4. Bekannte Netzwerke sollten Stressprävention empfehlen. Abb. 1: Demografische Informationen über die Unternehmer/-innen Quelle: Eigene Darstellung Gesamt Kleinstunternehmen1 Kleinunternehmen1 Total (%) Total (%) Total (%) Gesamt 24 (100) 10 (42) 14 (58) Geschlecht Männlich 20 (83) 8 (33) 12 (50) Weiblich 4 (17) 2 (8) 2 (8) Höchster Bildungsabschluss Schule 2 (8) 2 (8) 0 (0) Universität 12 (50) 5 (21) 7 (29) Berufsausbildung 10 (42) 3 (13) 7 (29) Arbeitsstunden pro Woche Unter 40 Stunden 2 (8) 1 (4) 1 (4) Um die 40 Stunden 2 (8) 1 (4) 1 (4) Über 40 Stunden 18 (75) 6 (25) 12 (50) M SA Min Max M SA Min Max M SA Min Max Alter (in Jahren) 44.1 10.8 25.0 62.0 42.4 11.1 27.0 55.0 45.4 10.5 25.0 62.0 Jahre in aktueller Position 12.0 9.2 1.0 32.0 12.5 9.2 2.0 30.0 11.6 9.3 1.0 32.0 Anmerkung: Total N = 24. M = Mittelwert, SA = Standardabweichung, Min = Minimum, Max = Maximum. 1 Die Anzahl der Mitarbeitenden bezieht sich auf die Vollzeitäquivalente laut Unternehmer/-innen.
PERSONALquarterly 04 / 22 12 SCHWERPUNKT_PEOPLE MANAGEMENT lich zu machen. Außerdem stellen gute Grundkenntnisse zum Thema sicher, dass Unternehmer/-innen Anzeichen von Stress bei ihren Mitarbeitenden frühzeitig erkennen und somit aktiv werden können. Ein praktischer Ansatz, dieses Wissen zu vermitteln, sind Seminare und die Verbreitung von Informationen über andere Medien (z. B. Podcasts oder Videos). Jedoch zeigen die Interviews auch, dass diese Angebote überwiegend von Unternehmer/-innen in Anspruch genommen werden, die bereits grundsätzlich Interesse am Thema haben. Nicht zuletzt auch aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung ist es jedoch wichtig sicherzustellen, dass auch die Unternehmer/-innen erreicht werden, die das Thema Stress am Arbeitsplatz für unwichtig halten oder sich nicht wohl damit fühlen, es bei ihren Mitarbeitenden zu thematisieren. Bei dieser Zielgruppe kann es helfen, die Informationen bereits zu einem frühen Zeitpunkt und in einem anderen Kontext zu vermitteln. Dies kann bspw. im Rahmen von Gründungsberatungen oder Fortbildungen zur allgemeinen Unternehmensführung geschehen, die von Start-up-Centern, im Rahmen von Förderprogrammen zur Unternehmensgründung oder als Teil des Weiterbildungsportfolios der Industrie- und Handels- bzw. Handwerkskammer angeboten werden. 2. Nutzen, was da ist, statt neu anzufangen Auch wenn die gängigen stresspräventiven Maßnahmen selten in KKU umgesetzt werden, sind die Unternehmer/-innen keineswegs inaktiv. ImGegenteil: Die Unternehmer/-innen berichten von einer Vielzahl von organisatorischen oder informellen Ansätzen, die die Arbeitsbedingungen und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden verbessern sollen. Hierzu zählen bspw. innovative Lösungen bei der Terminplanung oder regelmäßige Teamausflüge. Laut Unternehmer/-innen leisten diese Ansätze bereits einen ersten Beitrag zur Stressprävention, auch wenn sie nicht primär zu diesem Zweck eingeführt wurden. Um die Motivation der Unternehmer/-innen zu erhöhen, präventiv gegen Stress vorzugehen, kann es ratsam sein, auf diesen bestehenden Ansätzen aufzubauen, um so die Zeit und Kosten für die Einführung von neuen Maßnahmen so gering wie möglich zu halten. Viele Unternehmen führen bspw. bereits regelmäßige Teammeetings durch. Insbesondere in KKU besteht so die Möglichkeit, die gesamte Belegschaft zu versammeln, um z. B. das Angebot eines Stressmanagementtrainings vorzustellen. Gleichzeitig können solche Treffen genutzt werden, um die Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung Psyche zu besprechen und gemeinsam zu entscheiden, welche Veränderungen am Arbeitsplatz vorgenommen werden sollten, um psychische Belastungen zu reduzieren und Stress vorzubeugen. Viele Unternehmer/-innen betonen die Flexibilität in ihren Betrieben, und dass es ihnen wichtig ist, ihren Mitarbeitenden den Freiraum einzuräumen, regelmäßig neue Aufgaben und Bereiche auszuprobieren. Diese Flexibilität ist einem halbstrukturierten Leitfaden. Die transkribierten Audioaufnahmen wurden anschließend von der Erstautorin nach den Regeln der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse analysiert (Kuckartz/Rädiker, 2022). Die Vorgehensweise beschränkte sich auf eine rein induktive Bildung von Haupt- und Subkategorien zur Beantwortung der vorliegenden Forschungsfrage. Die Interviewstudie wurde im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojekts „PragmatiKK“ durchgeführt, das die Implementierung von Stressprävention in KKU untersucht (Engels et al., 2022), und von der Ethikkommission der Universität zu Köln genehmigt. Neben dem vorliegenden Aufsatz wurden noch weitere wissenschaftliche Studien auf Basis der erhobenen Daten angefertigt. Mithilfe eines kurzen Vorabfragebogens wurden demografische Daten der befragten Unternehmer/-innen (vgl. Abb. 1) und ihren Unternehmen (vgl. Abb. 2) gesammelt. Die Mehrheit der Unternehmer/-innen war männlich (83 %) und hatte entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung (42 %) oder ein abgeschlossenes Studium (50 %). Insgesamt gaben die meisten Unternehmer/-innen an, dass sie mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiteten (75 %). Im Durchschnitt waren die Unternehmer/-innen 44 Jahre alt und seit 12 Jahren in ihrer aktuellen Position. Die Unternehmer/-innen führten ihre Unternehmen überwiegend allein (42 %) oder im Team mit einer weiteren Person (38 %). Bezüglich der Branchen sind Unternehmen aus demHandwerk (54 %) und aus demDienstleistungsbereich (46 %) vertreten. Es wurden sowohl Unternehmer/-innen interviewt, die bereits Erfahrung mit stresspräventiven Maßnahmen gemacht haben (46 %), als auch Unternehmer/-innen, die bisher noch keine stresspräventiven Maßnahmen in ihrem Unternehmen eingeführt haben (54 %). Lösungsansätze, um Unternehmer/-innen für Stressprävention zu motivieren 1. Tabus durchbrechen und Stress zum Thema machen Selbst wenn Sätze wie „Puh, bin ich gestresst“ und „Das liegt bestimmt am ganzen Stress“ häufig am Arbeitsplatz fallen, zeigen die Interviews, dass es selten vorkommt, dass bei diesen Gesprächen mehr in die Tiefe gegangen wird. Einerseits fürchten Unternehmer/-innen Schuldzuweisungen, andererseits vermuten sie auch, dass ihre Mitarbeitenden fürchten, durch etwaige Eingeständnisse als schwach oder nicht belastbar angesehen zu werden. Umso wichtiger ist es also, das Thema Stress am Arbeitsplatz zu enttabuisieren und Unternehmer/-innen für dessen Wichtigkeit zu sensibilisieren. Ein wichtiger erster Schritt für diese Enttabuierung ist es, Unternehmerinnen und Unternehmer mit dem notwendigen Wissen auszustatten, wie Stress am Arbeitsplatz entsteht und welche (ökonomischen) Folgen Stress haben kann. So lernen Unternehmer/-innen, wie vielschichtig Stress auf der Arbeit sein kann und dass es bspw. zu kurz gedacht ist, eine einzelne Person dafür verantwort
13 04 / 22 PERSONALquarterly von Stress betroffen zu sein. Somit sehen viele Unternehmer/ -innen keinen Bedarf, proaktiv gegen Stress am Arbeitsplatz vorzugehen. Dabei wird unterschätzt, dass die Einführung stresspräventiver Maßnahmen auch positive Folgen für Mitarbeitende und Betriebe haben kann (bspw. Steigerung der Arbeitgeberattraktivität). Bei der Motivation von Unternehmer/-innen sollten darum genau diese Vorteile betont werden. Eine besondere Herausforderung ist für viele der befragten Unternehmer/-innen der Fachkräftemangel. Hierdurch werden Themen wie die Bindung von Mitarbeitenden und die Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber immer wichtiger. In den Interviews betonen Unternehmer/-innen, dass es ihnen als KKU beim Wettbewerb um gute Arbeitskräfte oft schwer fällt, mit größeren Unternehmen mitzuhalten. Insbesondere weisen sie darauf hin, dass ihnen die finanziellen Mittel fehlen, um konkurrenzfähigen Gehälter zu bezahlen oder andere Arbeitgeberleistungen anzubieten. Die Einführung stresspräventiver Maßnahmen kann insbesondere für diese Unternehmer/-innen gerade in KKU gut zu realisieren, da nicht für jede neue Aufgabe eine neue Fachkraft eingestellt werden kann, sondern eher einzelne Mitarbeitende mit einer größeren Aufgabenvielfalt bedacht werden. Statt also das Thema Stressprävention als weiteres (lästiges) To-do auf der eigenen Liste zu sehen, können Unternehmer/-innen Teile der Aufgabe (z. B. Recherche von Angeboten oder Abstimmungen im Team) an Mitarbeitende delegieren und somit ihren Mitarbeitenden ermöglichen, sich in einem neuen Themenfeld einzufinden. 3. Stressprävention als Mittel gegen den Fachkräftemangel Allein der Begriff „Stressprävention“ macht deutlich, dass das übergeordnete Ziel der Maßnahmen die Vermeidung von Stress und der damit einhergehenden negativen Konsequenzen für Mitarbeitende und das Unternehmen ist. Die meisten Unternehmer/-innen berichteten jedoch, dass dieses Ziel für sie nicht relevant sei, da sie es für einen unwahrscheinlichen Extremfall hielten, tatsächlich von den negativen Konsequenzen Abb. 2: Demografische Informationen über die Unternehmen Quelle: Eigene Darstellung Gesamt Kleinstunternehmen1 Kleinunternehmen1 Total (%) Total (%) Total (%) Gesamt 24 (100) 10 (42) 14 (58) Branche Handwerk 13 (54) 5 (21) 8 (33) Dienstleistung 11 (46) 5 (21) 6 (25) Erfahrung mit Stressprävention Ja 11 (46) 3 (13) 10 (42) Nein 13 (54) 6 (25) 8 Unternehmensform Familiengeführt 11 (46) 3 (13) 8 (33) Eigentümer/-innengeführt 24 (100) 10 (42) 14 (58) Anzahl an Unternehmer/- innen Eine(-r) 10 (42) 5 (21) 5 (21) Zwei 9 (38) 4 (17) 5 (21) Drei 3 (13) 1 (4) 2 (8) Vier 2 (8) 0 (0) 2 (8) M SA Min Max M SA Min Max M SA Min Max Alter des Unternehmens 32.1 36.8 2 166 12.5 9.2 2 30 46.1 42.3 4 166 Anteil der weiblichen Mitarbeiterinnen 29.4 23.7 0 87.5 24 26.7 0 87.5 33.6 20.1 5 65 Anmerkung: Total N = 24. M = Mittelwert, SA = Standardabweichung, Min = Minimum, Max = Maximum. 1 Die Anzahl der Mitarbeitenden bezieht sich auf die Vollzeitäquivalente laut Unternehmer/-innen.
PERSONALquarterly 04 / 22 14 SCHWERPUNKT_PEOPLE MANAGEMENT interessant werden, weil sie sie als niedrigschwellige Maßnahme nutzen können, um ihr Unternehmen als attraktiven und modernen Arbeitsplatz zu profilieren. Hier helfen Zertifikate und Siegel, die Betriebe bspw. als Gesundheitsbetriebe auszeichnen und die erfolgreiche Umsetzung von stresspräventiven Maßnahmen bestätigen. Mit diesen Auszeichnungen können Unternehmer/-innen auf ihrenWebsites und in Stellenausschreibungen werben. Folglich spielt die Kommunikation der eingeführten Maßnahmen eine wichtige Rolle. Stressmanagementtrainings können z. B. der Anfang oder eine Ergänzung des Weiterbildungsangebots werden. Alternativ ist die Gefährdungsbeurteilung Psyche nicht nur eine Arbeitsplatzanalyse, um Stressoren zu identifizieren. Vielmehr versteckt sich dahinter ein wichtiges Instrument, mit dem allgemeine Stärken eines Unternehmens herausgearbeitet und gefördert werden können. Indem die positiven Effekte von stresspräventiven Maßnahmen klar kommuniziert werden, werden sie greifbarer und geben Unternehmer/-innen die Möglichkeit bestehenden und künftigen Mitarbeitenden zu zeigen: „Es ist mir wichtig, wie es euch geht. Ich kümmere mich um euch!“ 4. Es geht nicht nur darum, wie und was gesagt wird, sondern wer es sagt Zuletzt zeigen die Interviews, dass Unternehmer/-innen das Thema Stressprävention selten proaktiv angehen oder selbstständig nach geeigneten Maßnahmen suchen. Dies begründen sie einerseits damit, dass es ihnen leichter fällt, auf individuelle Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu reagieren als vorab in präventive Maßnahmen zu investieren. Andererseits betonen die Unternehmer/-innen, dass sie bei der Vielzahl an Angeboten oft unsicher sind, welches Angebot zu ihnen passt und von hoher Qualität ist. Eine Lösungsoption für diese Herausforderung ist die Orientierung an schnell erkennbaren und vertrauenswürdigen Qualitätsmerkmalen, wie z. B. einer Empfehlung oder dem Siegel einer Institution. Inhaltlich eignen sich Institutionen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz, wie z. B. Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften. Jedoch besteht bei Empfehlungen durch Krankenkassen und Berufsgenossenschaften die Herausforderung, dass diese Institutionen vermehrt von Unternehmer/-innen aufgesucht werden, die bereits von der Thematik überzeugt sind. Unternehmer/-innen, die wenig Erfahrung im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz haben, berichten stattdessen, dass sie diese Institutionen nicht kennen oder ihnen skeptisch gegenüberstehen. Als Alternative nennen die Unternehmer/-innen „neutralere“ Institutionen, wie z. B. die Industrie- und Handelskammer oder die Handwerkskammer, deren Urteil sie vertrauen. Ebenso positiv werden fachliche Netzwerke wie bspw. Innungen hervorgehoben. Ein wichtiger Faktor, der Unternehmer/-innen dazu bringt, Empfehlungen zu vertrauen, ist, wenn sie erkennen können, dass die Institution Erfahrungen mit KKU hat und deren spezielle Bedürfnisse kennt. Nicht zuletzt deswegen nennen die Unternehmer/-innen noch einen weiteren Weg, auf den sie am liebsten und häufigsten zurückgreifen würden, wenn sie eine stresspräventive Maßnahme auswählen müssten: ihr direktes und persönliches Netzwerk. Letztlich glauben und vertrauen Unternehmer/-innen ihren persönlichen Kontakten und Bekannten, wenn diese sagen: „Ich habe hier etwas ausprobiert. Das solltest du auch machen.“ Es reicht also nicht, wenn Maßnahmen zur Stressprävention von externen Institutionen angeboten und empfohlen werden, sondern es ist ebenso wichtig, dass das Thema Stressprävention innerhalb des persönlichen Netzwerks thematisiert und legitimiert wird. Praktisch kann dies so umgesetzt werden, dass aktive und überzeugte Unternehmer/-innen als Change Agents eingesetzt werden und anderen von ihren Erfahrungen mit stresspräventiven Maßnahmen berichten. Dies kann sowohl bei formellen Anlässen wie einem Fachverbandstreffen als auch informell beim Stammtisch stattfinden. Die überzeugten Unternehmer/-innen sollten hierbei nicht nur betonen, wie wichtig es ist, das Thema Stress im Arbeitsalltag gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu besprechen und anzugehen, sondern auch die weiteren Vorteile für den Betrieb betonen. Fazit Stressprävention muss auch für KKU ein Thema sein und umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass alle Unternehmen und ihre Mitarbeitenden ausreichend geschützt sind. Sowohl ökonomische und soziale als auch rechtliche Gründe sprechen dafür, dass sich KKU aktiv mit dem Thema Stress am Arbeitsplatz befassen und stresspräventive Maßnahmen in ihren Unternehmen einführen. Die aktuelle Studie verdeutlicht, dass ein Schlüssel zur besseren Verbreitung von Stressprävention in KKU die Motivation der Unternehmer/-innen selbst ist. Auf inhaltlicher Ebene ist es wichtig, dass sich Unternehmer/-innen besser mit dem Thema Stressprävention vertraut machen, um Vorbehalte und Tabus am Arbeitsplatz zu durchbrechen. Die bisherigen Bemühungen von KKU die Mitarbeitenden zu fördern, sollten anerkannt und genutzt werden, um eine möglichst reibungslose und ressourcenschonende Einführung von stresspräventiven Maßnahmen zu ermöglichen. Stressprävention kann neben dem Verhindern der negativen Konsequenzen von Stress auch positive Folgen für Mitarbeitende und Unternehmen habe. Gerade die positiven Effekte für die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitenden sollten betont werden. Außerdem ist es wichtig, bei der Kommunikation vertraute Netzwerke von Unternehmer/-innen einzubinden, die das Thema Stressprävention thematisieren und Maßnahmen empfehlen. Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, wie wichtig es ist, die individuellen Perspektiven und Bedürfnisse von Unternehmer/-innen zu berücksichtigen, um die Verbreitung
15 04 / 22 PERSONALquarterly SUMMARY Research question: How to motivate entrepreneurs of micro and small enterprises (MSEs) to introduce stress prevention measures? Methodology: Based on 24 interviews, we infer suggestions on how to motivate entrepreneurs to introduce stress prevention measures. Practical implications: 1. It is essential to break the taboo of stress at work. 2. Stress prevention needs to connect to the established structures in MSEs. 3. Stress prevention should be positioned as a means to overcome the shortage of skilled labor. 4. Well-known networks need to recommend stress prevention. JOHANNA KUSKE, M. SC. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Entrepreneurship und Management der Universität zu Köln Orcid-ID: 0000-0002-1581-9268 E-Mail: kuske@wiso.uni-koeln.de www.ims.uni-koeln.de LITERATURVERZEICHNIS ArbSchG (1996): Arbeitsschutzgesetz. 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MATTHIAS SCHULZ Professur für Entrepreneurship und Management Universität zu Köln Orcid-ID: 0000-0002-2391-8442 E-Mail: matthias.schulz@wiso.uni-koeln.de www.ims.uni-koeln.de PROF. DR. FLORIAN B. ZAPKAU Department für Welthandel Wirtschaftsuniversität Wien Orcid-ID: 0000-0002-9556-070X E-Mail: florian.zapkau@wu.ac.at www.wu.ac.at/welthandel PROF. DR. CHRISTIAN SCHWENS Professur für Entrepreneurship und Management Universität zu Köln Orcid-ID: 0000-0002-4576-5520 E-Mail: schwens@wiso.uni-koeln.de www.ims.uni-koeln.de von Stressprävention in KKU zu erhöhen. Die entwickelten Lösungsansätze richten sich auch an Anbieter von Stresspräventionsmaßnahmen und Institutionen im Arbeits- und Gesundheitsschutz.
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