Personal quarterly 4/2022

54 PERSONALquarterly 04 / 22 SERVICE_DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE In Deutschland wird über das großangelegte Pilotprojekt zur Viertagewoche in Großbritannien berichtet. Das Experiment wird von „4 Day Week Global“ mit dem „Think Tank Autonomy“ und der „4 Day Week Campaign“ durchgeführt und von Forschenden der Universitäten Cambridge und Oxford in Großbritannien sowie des Boston College in den USA ausgewertet. Im Rahmen dieses Pilotprojekts arbeiten in Großbritannien 3.300 Mitarbeitende in etwa 70 Organisationen für sechs Monate nur vier Tage in der Woche bei gleichbleibendem Vollzeitgehalt. Die große Frage, die sich Unternehmen stellt, ist: Nimmt die Produktivität ab oder zu, wenn statt fünf nur vier Tage pro Woche gearbeitet wird? Medien berichten über das Viertagewoche-Pilotprojekt Auf FAZ.NET war am 7. Juni 2022 zu lesen: „80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Lohn“1. Hier wird auf ähnliche Experimente mit der Viertagewoche aufmerksam gemacht, die in Irland, USA, Kanada, Australien und Neuseeland in Vorbereitung sind. Besonders große Herausforderungen mit einer Viertagewoche hätten produzierende Organisationen im Vergleich zu dienstleistenden zu erwarten. In Deutschland fordere der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) eher eine Aufstockung auf eine 42-Stundenwoche mit einer entsprechenden Gehaltserhöhung statt einer Viertagewoche. Die Wirtschaftswoche titelt am 23. Juni 2022: „Es funktioniert nach dem 100-80-100-Modell“2. Im Interview erklärt Kyle Lewis, Mitgründer des Think Tank Autonomy, dass das 100-80-100-Modell für 100 % Bezahlung, 80 % Zeit, 100 % Produktivität stehe. Es stamme von Andrew Barnes, der diese Strategie 2018 in der Treuhandgesellschaft Perpetual Guardian in Neuseeland umgesetzt habe. Weitere Studien hätten bereits Universalität, Zustimmung der Mitarbeitenden sowie ein hohes Maß an Mitarbeit und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden als die drei entscheidenden Erfolgsfaktoren für die Viertagewoche gezeigt. Auch Der Tagesspiegel behandelt die Viertagewoche im Juni: „Freitag ist der neue Samstag“3. Hier erklärt die Arbeitsexpertin der Financial Times, Sarah O’Connor, dass aufgrund der starken Veränderungen in der Arbeitswelt sowie der Erfahrungen mit dem Homeoffice während der Pandemie der Druck steige, auch die Arbeitsrahmenbedingungen zu verändern. Ökonomen wie Robert Skidelsky bezweifeln, dass eine Viertagewoche in Großbritannien landesweit gesetzlich geregelt werden könnte. Insgesamt stellt sich also die Frage, ob sich für Organisationen und Länder eine Viertagewoche tatsächlich lohnen würde. Der Forschungskontext 3 Forschung zu verschiedenen Arbeitszeitmodellen ist nicht neu. Bereits in den 70er und 80er Jahren war die Humanisierung der Arbeitswelt (u. a. geringere Arbeitszeiten) ein großes Thema, das in den 90er und den Nullerjahren rund um die Diskussion von Vereinbarkeit von Beruf und Familie und aktuell wegen Gedanken zur Nachhaltigkeit und Gesundheit immer wieder neu behandelt wird. 3 Internationale Forschungsergebnisse zu Arbeitszeitmodellen sind überwiegend unter den Begriffen flexible oder compressed workweek schedules, shortened workweek, flexible work arrangements, and work(ing) time zu finden. 3 Zentrale Fragestellungen der Forschung sind bislang z. B., wie sich verschiedene Arbeitszeitmodelle auf Produktivität, Wohlbefinden und die Work-Life-Balance auswirken. Die Forschungslage 3 Die Daten zum Einfluss von verschiedenen Arbeitszeitmodellen auf die Produktivität und Leistung von Mitarbeitenden stammen überwiegend aus experimentellen Studien, die vor der Jahrtausendwende durchgeführt wurden. Experimentelle Studien ermöglichen den Vergleich von Gruppen von Mitarbeitenden, die zu unterschiedlichen Arbeitszeiten – sowohl was Länge als auch Verteilung angeht – arbeiten. 3 Eine Metaanalyse aus dem Jahr 19994 fasst statistisch die Effektstärken von 27 Studien zu flexibler Arbeitszeitgestaltung, also wann im Laufe des Tags gearbeitet wird, und von 12 Studien zu komprimierter Arbeitszeitgestaltung, also bspw. 40 Stunden arbeiten in vier statt fünf Tagen in der Woche, zusammen. - Die Ergebnisse zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung zeigen einen Anstieg von Produktivität, allerdings nicht von selbsteingeschätzter Leistung (was wahrscheinlich an In den Medien wird viel über die „Viertagewoche“ diskutiert. PERSONALquarterly überprüft die Schlagzeilen und Meldungen auf ihre empirische Evidenz. Produktiver durch eine Viertagewoche? Dr. Christina Guthier, Wirtschaftspsychologin in Düsseldorf

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