Personal Quarterly 1/2021
8 SCHWERPUNKT _INTERVIEW PERSONALquarterly 01/21 hinterfragen und dabei nicht nur Effizienzkriterien, sondern auch die Bedürfnisse der Beschäftigten und die Bedeutung für Gesellschaft und Umwelt zu reflektieren. Die Erkenntnis, dass es ein Zurück zum Status quo vor der Corona-Pandemie höchstwahrscheinlich nicht geben wird, kann durchaus befrei- end sein und zusätzliche Energie für die Entwicklung gesünde- rer und klimafreundlicherer Arbeitsformen freisetzen. Die Empfehlung für die Neugestaltung von Arbeit lautet daher, die bisherigen Arbeitsprozesse insgesamt zu diskutieren und neue Lösungen auszuprobieren, die neben Effizienz vor allem zur Gesundheit und Motivation der Beschäftigten beitragen. Das kann ein höherer Anteil an Homeoffice-Zeiten sein, um Pendlerverkehr zu reduzieren, bei gleichzeitiger Koordinati- on der Anwesenheitszeiten im Büro, damit sich die Beschäf- tigten treffen und austauschen können. Auch hier sind die Arbeitsanforderungen entscheidend, bspw. wie viel Präsenz- kontakt zu Kunden, Partnern oder Klienten notwendig ist oder wie viel spontaner Austausch innerhalb des Teams gebraucht wird. Dazu kommt dann noch die individuelle Situation der Beschäftigten: Homeoffice bietet oft bessere Möglichkeiten für konzentriertes Arbeiten, vorausgesetzt, die familiäre Situation passt dazu. PERSONALquarterly: Effektives Arbeiten im Homeoffice steht im Konflikt zu Homeschooling oder Kinderbetreuung. Welche Regelungen können Unternehmen einsetzen, um diese Konflikte zu reduzieren? Guido Hertel: Tatsächlich zeigen empirische Studien, dass Be- rufstätige mit familiären Betreuungsaufgaben von virtueller Teamarbeit weniger profitieren als Berufstätige ohne solche Verpflichtungen. Mit anderen Worten: Homeoffice kann für ei- nige Berufstätige deutlich stressiger sein als ein traditioneller Arbeitsplatz. Hier lautet die Empfehlung, den Beschäftigten möglichst viel Flexibilität zu geben, je nachdemwelche Lösung am besten passt. Dies gilt insbesondere für Zeiten von uner- warteten Doppelbelastungen durch Homeschooling. PERSONALquarterly: Welche Strategien empfehlen Sie Beschäftigten generell, die im Homeoffice nicht so gut zurechtkommen? Guido Hertel: Wenn Homeoffice unvermeidbar ist, dann sollten Beschäftigte ihre Tage gut strukturieren und dabei auch re- gelmäßige Kontakte mit ihren KollegInnen einplanen. Außer- dem können Trainings und Support-Strukturen helfen, bspw. zum Zeitmanagement oder zur Lösung technischer Probleme. Ein erster Schritt besteht in einer genaueren Analyse, warum jemand im Homeoffice nicht gut zurechtkommt. Oft wissen die Betroffenen das schon ganz gut, sodass man gemeinsam Lösungen finden kann. Diese fallen dann recht unterschiedlich aus, je nachdem, ob die eigenständige Motivierung und Struk- turierung des Arbeitstags das Hauptproblem ist oder aber der fehlende Kontakt zu den anderen Teammitgliedern. PERSONALquarterly: Wenn Sie an die bisherige Pandemiezeit zu- rückdenken: Was war die überraschendste Erkenntnis für Sie? Guido Hertel: Ich war sehr überrascht, wie schnell in dieser Zeit digitale Arbeitsformen umgesetzt wurden, vor allem in Be- reichen, die vorher wenig technikaffin waren. Das fand ich sehr mutig. Überrascht hat mich auch, dass die digitale Infrastruktur in vielen Bereichen erstaunlich stabil geblieben ist. Bei uns an der Universität können wir seit einem halben Jahr regelmäßig Videokonferenzen mit mehreren Hundert Personen in einer Konferenz durchführen, das hätte vor Corona keiner geglaubt. PERSONALquarterly: Es ist sicherlich noch zu früh für eine abschlie- ßende Bewertung der Pandemie. Erlauben Sie dennoch die Fra- ge: Welche wesentlichen langfristigen Auswirkungen sehen Sie für die Gestaltung von Arbeit und insbesondere die Gestaltung des Arbeitsorts? Welche aktuellen Trends sind unter Umständen auch gefährlich? Guido Hertel: Eine langfristige Auswirkung ist sicherlich der starke Impuls für die weitere Digitalisierung von Arbeitspro- zessen. Neben den Möglichkeiten, Arbeit in geschützter Form fortsetzen zu können, haben Berufstätige viele weitere Vorteile von Digitalisierung erlebt und wollen diese auch weiterhin nut- zen. Außerdem hat die Notwendigkeit, eingefahrene Routinen zu hinterfragen und innovativ zu sein, auch grundsätzlich Än- derungsbereitschaft und Flexibilität gefördert. Die erfolgreiche Bewältigung von Krisen stärkt nicht nur unser Verhaltens- repertoire, sondern auch unser Selbstvertrauen und unsere Zuversicht mit Blick auf kommende Schwierigkeiten. Diese Erfahrungen sollten wir wertschätzen. Es wäre schade, dieses Potenzial nur auf das Thema Homeoffice zu reduzieren. PERSONALquarterly: Welche Tools und technischen Innovationen halten Sie für besonders empfehlenswert? Wo sollten Unterneh- men investieren? Welche Trainingsmaßnahmen sind besonders wichtig? Guido Hertel: Nach wie vor gibt es viele Trainingsbedarfe im Be- reich Medienkompetenz, also dem richtigen Einsatz digitaler Kommunikation. Wichtig ist mir dabei der Blick auf die Chan- cen, die technische Innovationen bieten. Wir haben ja oft eine eher negative Brille und schauen auf das, was wegfällt. Bspw. beklagen viele Beschäftigte in virtuellen Teams, dass der Man- gel an Präsenztreffen den Aufbau von Vertrauen erschwert, obwohl Vertrauen gerade bei digitalisierter Zusammenarbeit wichtig ist. Dabei wird übersehen, dass digitalisierte Zusam- menarbeit zusätzliche Möglichkeiten bietet, die einzelnen Arbeitsschritte und Anteile transparent zu machen, bspw. in Projektmanagement-Tools, und dadurch eine höhere Fairness ermöglicht als traditionelle Teamarbeit. Spannend finde ich außerdem aktuelle Entwicklungen im Bereich Virtual und Augmented Reality sowie selbstlernender Algorithmen (sog. künstliche Intelligenz). Hier untersuchen wir bspw., inwiefern
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