Personal Quarterly 1/2021
66 SERVICE _DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE PERSONALquarterly 01/21 D ieWirtschaftswoche interviewt imMai 2017Karriere coach Martin Wehrle unter dem Titel „Wie sich stille Typen gegen Schwätzer durchsetzen“. Spitzer for muliert es in der gleichen Zeit der Spiegel mit dem „Siegeszug der Schüchternen“. Die Plattform gruenderszene. de ruft im Mai 2018 Führungskräfte dazu auf, als Leader von morgen eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Und im Dezember 2019 erklärt der Human Resources Manager die KEB-Formel (Kommunikation, Emotion, Beziehung) zumMuss für moderne Manager. Jedes Jahr mindestens einmal geraten Manager und ihre Persönlichkeit in die Medien, sei es, weil ei ne Personalberatung eine Studie zum Thema Führungspersön lichkeit auflegt, sei es, weil ein Spitzenmanager einen Skandal provoziert. So wie Thomas Middelhoff, der bei Arcandor Millio nen veruntreute, mit dem Hubschrauber zur Arbeit flog und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Oder wie MartinWinterkorn, der über den VW-Dieselskandal strauchelte, die Gerichte in USA und Deutschland beschäftigt und vom mitreißenden Mit arbeiterlenker in der öffentlichen Meinung zum „gnadenlosen Egoisten“ mutierte (Frankfurter Rundschau, 4.1.2017). Die Dauerfrage lautet: Werden manipulative, narzisstische oder gar psychopathische Menschen eher Chef als angenehme und sachorientierte Charaktere? Extrovertiert und enthusiastisch Karriere machen Im September 2020 berichtete Business Insider über die Lang zeitstudie eines Teams umden Psychologen Cameron Anderson an der University of California in Berkeley. Die Fragestellung: Trügt der Eindruck, dass manipulative, selbstsüchtige Men schen, die ihre Ellenbogen gegen Konkurrenten einsetzen, bessere Chancen auf einen Chefposten haben als andere? Test personen waren 457 Studierende, die 14 Jahre später und mitt lerweile berufstätig noch einmal angesprochen wurden. Rund ein Drittel ließ sich erneut befragen – nach Position und Kar riere. In einer zweiten Erhebung im Abstand von zehn Jahren wurden 214 andere Probanden den identischen Tests und Be fragungen unterzogen. Die Ergebnisse des Psychologenteams weisen darauf hin, dass unangemessenes Verhalten nicht bei der Karriere hilft, aber beim Machterhalt. Insgesamt seien Ex traversion, Enthusiasmus und Kontaktfreude förderlicher als Extreme Persönlichkeitsmerkmale wie Narzissmus bei vorgesetzten Managern können negative Einflüsse auf die Leistung von Mitarbeitern und den Unternehmenserfolg haben. Angenehme Chefs an der Spitze dominant-aggressives Verhalten, denn dieses erschwert das Netzwerken. Die Forscher sehen zunehmend nette Menschen an der Unternehmensspitze. Aber: Die beiden Erhebungen ha ben nicht ergeben, dass miese Typen keine Karriere machen. Professor Dominik Schwarzinger beschreibt in seinem aktu ellen Buch „Die dunkle Triade der Persönlichkeit in der Perso nalauswahl“ die Eigenschaften Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Für den Wirtschaftspsychologie-Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation undWirtschaft in Berlin (HMWK) treten diese Merkmale unter Managern nicht in sehr hoher Zahl auf, aber doch häufiger als im Bevölkerungs durchschnitt. Wenn etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung Psychopathen sind, aber bei Führungskräften zwei bis vier Prozent diese Eigenschaften aufweisen, also bis zu vier Prozent weder gewissenhaft noch verantwortungsvoll agieren, sondern mobben oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belästigen, sollten Chefs ihr Augenmerk darauf richten. Den Ökonomen interessieren die negativen Effekte dieser Persönlichkeits merkmale auf das berufliche Umfeld. Wenn Fehlverhalten be kannt sei, aber mit individuellen Gründen kleingeredet würde, entstünden stabile Muster. Schwarzinger möchte „destruktive Führungskräfte aus den Jobs heraushalten, denn toleriertes Fehlverhalten öffnet dem Machtmissbrauch Tür und Tor“. Des halb fordert der Eignungsdiagnostiker von HR-Managern, die Personalauswahl mit soliden Anforderungsanalysen und mit mehr psychologischem Sachverstand zu strukturieren. Model len wie den Big Five fehlten Kriterien zu den zerstörerischen Momenten von Persönlichkeit, die sich aber auf Leistung und Führung auswirken. Die TOP-Testbatterie, entwickelt unter Leitung des renommierten und emeritierten Professors Heinz Schuler an der Universität Hohenheim, will diese Lücke schlie ßen. Schwarzinger erprobt auch Messansätze in Interviews. Für Leitungsstellen und Leistungsträger bedeutet die Be achtung negativer Persönlichkeitsmerkmale einen starken Umschwung zu den bisherigen Auswahlusancen. „Dezidierte Kriterien-Checklisten sind die Basis, sie müssen die Allgemein plätze der Stellenausschreibungen ersetzen“, sagt Dominik Schwarzinger. „Es sollte bei jeder Position neu überlegt und fixiert werden: Was soll einer können, welche Persönlichkeits merkmale soll er haben und welche nicht?“ Denn manchmal Ruth Lemmer , Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
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