Personal Quarterly 1/2021

PERSONALquarterly 01/21 38 SCHWERPUNKT _FUTURE WORK: DIE ROLLE DES BÜROS V or der Corona-Krise wünschten sich rund 40 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch- land, zumindest zeitweise von zu Hause aus arbeiten zu können. Realisieren konnte dies jedoch nur etwa jede/-r Zehnte (Destatis, 2018). Mit der Krise wurde das Home­ office für diejenigen, die drinnen bleiben konnten, plötzlich zum Normalfall. Das Sozialexperiment mit den in aller Eile im- provisierten Heimarbeitsplätzen zeigt einerseits, dass vor der Krise erhebliches Potenzial zur Dezentralisierung von Arbeit ungenutzt blieb. Viele Arbeitgeber, insbesondere Dienstleister, Banken und Versicherungen wollen die gewonnene Erfahrung nutzen, um ihre Arbeitsorganisation neu auszurichten und künftig stärker ortsflexible Formen der Arbeit zu etablieren (Erdsiek, 2020). Auch die Mehrheit der Beschäftigten, die Homeoffice aufgrund ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich hält, wünscht sich nach der Corona-Krise mehr Homeoffice als zuvor. Andererseits sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Homeoffice zwiespältig (Schröder et al., 2020). Sicherlich sind aktuell aufgetretene Probleme der mangeln- den Ausstattung und Erfahrung, des Arbeitsschutzes und der Informationssicherheit kurz- bis mittelfristig lösbar. Bereits jetzt gibt ein Teil der Beschäftigten in Befragungen an, im Homeoffice produktiver als im Büro zu sein (Schröder et al., 2020). Ein anderer Teil hält jedoch das Gegenteil für zutref- fend. Bezüglich der Arbeitszufriedenheit zeigen sich ähnlich divergente Einschätzungen. Einerseits gewinnen Beschäftigte potenziell an Zeitsouveränität, zugleich übernehmen sie er- höhte Verantwortung, diese mit betrieblichen Anforderungen auszubalancieren. Andererseits will gelernt sein, isoliert in häuslicher Umgebung einen effizienten Arbeitsablauf zu struk- turieren. Die Wohnverhältnisse sind im Regelfall keineswegs auf die Arbeit vorbereitet und nur schwer umzugestalten. Über die Krise hinaus, wenn Kitas und Schulen wieder im Normalbetrieb funktionieren, stellen sich damit Fragen der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in neuer Form. Schon jetzt ist festzustellen, dass Frauen, welche die mit der Heim- arbeit gewonnene Flexibilität häufiger für die familiäre Sor- ge- und Hausarbeit nutzen, stärker belastet sind (Kohlrausch/ Zucco, 2020). Aktuelle Befragungen zeigen, dass ein Teil der imHomeoffice Tätigen in Ermangelung einer räumlichen Tren- Co-Working-Spaces: Eine Alternative zwischen Homeoffice und Büroarbeitsplatz Von Prof. Dr. Wenzel Matiaske (Helmut-Schmidt-Universität/Uni Bw H) und Dr. Hartmut Seifert, selbstständiger Wissenschaftler und Berater (eh. Leiter des WSI) nung zwischen Arbeit und Freizeit das Gefühl hat, nicht ab- schalten zu können. Soziale Isolation gilt schon seit früheren Untersuchungen als ein zentrales Problem der in Teleheim­ arbeit tätigen Personen (Lott, 2020). Ein Blick zurück Die Dichotomie zwischen Büroarbeitsplatz und Homeoffice, auf welche die Corona-Krise das Erleben verengt, sollte jedoch das Denken in Alternativen nicht beschränken. Bereits im Gefolge einer anderen Krise, dem Ölpreisschock 1973, wurden in den USA Ideen zum „Telecommuting“ entwickelt und durch Alvin Toffler in seinem Buch „The Third Wave“ (1980) popularisiert. Die Daten und nicht die damit Arbeitenden sollten pendeln. Als sich dann in den 1980er-Jahren der PC mit Großrechnern verband und mittlere Datentechnik zu verdrängen begann, diskutierten und erprobten Wissenschaft und Praxis Zwi- schenformen der Arbeitsorganisation. Das Satellitenbüro eines großen Arbeitgebers sollte hohe Raummieten im Zentrum durch geringere in der Peripherie ersetzen und Pendelzeiten aus dem Umland verkürzen. Im Nachbarschaftsbüro teilten sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschiedener, ty- pischerweise kleinerer Arbeitgeber oder auch Selbstständige den Büroraum. Der Laptop ermöglichte bald darauf zunächst häufig im Außendienst die mobile Telearbeit oder bspw. in der Unternehmensberatung die On-site-Telearbeit, bei der in der Fremdfirma auch die Dokumentation für das eigene Unterneh- men erarbeitet wird (Godehardt, 1994). Sinkende Preise für Hardware und Telekommunikation und die Erfahrungen mit dem heimischen PC fokussierten dann auf die Teleheimarbeit, die seit den 1990er-Jahren auch im Mittelpunkt der Politik steht und in der Arbeitsstättenverordnung geregelt worden ist (BMWi/BMAS, 1998). Die Motivdiskussion verengte sich auf Fragen der Vereinbarkeit und der Zeitsouveränität. Ökolo- gische Aspekte und der Gedanke gemeinschaftlicher Nutzung von Ressourcen traten in den Hintergrund. Neue Perspektiven im digitalen Dorf Erst im neuen Jahrtausend wird dann in Debatten um die „cre- ative class“, die „digital nomads“ oder – hierzulande – die „digitale Bohème“ das Nachbarschaftsbüro als Co-Working-

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