Personal Quarterly 1/2021

PERSONALquarterly 01/21 22 SCHWERPUNKT _FUTURE WORK: DIE ROLLE DES BÜROS vor beruflicher und sozialer Isolation, die mit örtlicher Flexibi- lität einhergehen kann. Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass das Ausmaß an Flexibilität eine entscheidende Rolle für die wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität spielt. Wenn Unternehmen die Möglich- keit bieten, zu wählen, wann und wo Mitarbeiter arbeiten, neh- men diese das höchste Maß an Arbeitgeberattraktivität wahr. Senden Unternehmen Informationen über das Vorhandensein flexibler Arbeitszeiten und -orte, kann dies von potenziellen Bewerbern als Signal verstanden werden, dass ihnen das Un- ternehmen das höchste Maß an Autonomie und Selbstkontrol- le ermöglicht. Die bisherige Forschung zeigt, dass zeitliche Flexibilität die Beziehung zwischen örtlicher Flexibilität und dem Work-Family-Konflikt abschwächen kann (Allen/Golden/ Shockley, 2015). Außerdem spielen auch arbeitsphysiologische Aspekte eine wichtige Rolle. Jemand der bspw. im Homeoffice arbeitet, dies allerdings exakt von 9:00 bis 17:00 Uhr tun muss und über keinerlei zeitliche Gestaltungsmöglichkeiten verfügt, kann den Arbeitsalltag genauso wenig an seinen Biorhythmus anpassen wie jemand mit festem Büroarbeitsplatz. Eine moderierende Rolle der leistungsorientierten Vertei- lung von zeitlicher und örtlicher Flexibilität kann nicht be- stätigt werden. Entgegen der Erwartungen legen die Befunde nahe, dass es keinen signifikanten Einfluss hat, ob die Res- sourcenallokation auf Basis von Leistung erfolgt oder zeit- und ortsflexibles Arbeiten allen Organisationsmitgliedern zugäng- lich ist. Dieser Befund ist angesichts gesellschaftlicher Indivi- dualisierungstendenzen auf den ersten Blick verwunderlich. Die Ergebnisse können jedoch dadurch erklärt werden, dass wahrgenommene Verteilungsgerechtigkeit insbesondere eine entscheidende Rolle spielt, nachdem eine Verteilung tatsäch- lich stattgefunden hat. Darüber hinaus könnte auch die Uner- fahrenheit der Probanden eine Erklärung dafür bieten, dass die Art der Verteilung keinen signifikanten Einfluss hat, denn in der Forschung zu organisationaler Gerechtigkeit herrscht weitestgehend Konsens darüber, dass bisherige persönliche Er- fahrungen eine wichtige Determinante bei der Bildung von or- ganisationalen Gerechtigkeitsurteilen sind (Kray/Lind, 2002). Praxisimplikationen Aus der vorliegenden Experimentalstudie resultieren Beiträge für die Unternehmenspraxis. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass zeit- und ortsflexibles Arbeiten erhebliche Potenziale bie- tet, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Bisher werden diese Potenziale im Rahmen der Rekrutierung jedoch nicht immer ausgeschöpft. Insofern bietet die Studie einen Anlass, Entscheidungsträger für die attraktivitätssteigernde Wirkung von zeit- und ortsflexibler Arbeit zu sensibilisieren. Insbesondere das Recruiting ist gefordert, potenzielle Bewer- ber frühzeitig mit geeigneten Informationen zu versorgen, um dadurch den Wunsch nach Zugehörigkeit zum Unternehmen zu wecken oder zu verstärken. Unternehmen, die ohnehin zeit- und/oder ortsflexibles Arbeiten anbieten, können den positiven Signalwert von zeit- und ortsflexibler Arbeit nutzen, indem sie potenziellen Bewerbern das Angebot bereits frühzeitig im Re- krutierungsprozess offensiv kommunizieren. So ist es ratsam, diesen „Benefit“ bereits in Stellenanzeigen zu adressieren. Dies ist besonders interessant, da ein solches Signal ohne hohen Zusatzaufwand gesendet werden kann. Dabei ist es in Hinblick auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit jedoch wichtig, dass die postulierten Signale der Realität im Unternehmensalltag auch tatsächlich entsprechen. Wahrheitsgetreue Informationen sind für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines vertrauens- vollen Arbeitsverhältnisses von elementarer Bedeutung, auch um ungewollte Frühfluktuation zu verhindern. Die Studienergebnisse zeigen auch, dass das Angebot von zeitlicher Flexibilität einen stärkeren Effekt auf die wahrgenom- mene Arbeitgeberattraktivität hat als das Angebot von örtlicher Flexibilität. Dieser Befund ist insbesondere für Unternehmen interessant, die ihren Mitarbeitern, bspw. aus Gründen der Ar- beitsorganisation, keine örtliche Flexibilität ermöglichen kön- nen. Umso mehr gilt es in einem solchen Fall, das Angebot an zeitlicher Flexibilität im Rekrutierungsprozess herauszustellen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Nichtsdestotrotz zeigt sich, dass Unternehmen, die Flexibili- tät hinsichtlich beider Dimensionen anbieten, von potenziellen Bewerbern als attraktiver wahrgenommen werden als Unter- nehmen, die lediglich Flexibilität in einer Dimension ermögli- chen. Bietet ein Unternehmen sowohl zeitliche als auch örtliche Flexibilität an, sollte dies auch im Rahmen des Rekrutierungs- prozesses differenziert herausgestellt werden. Es ist in diesem Zusammenhang daher nicht ratsam, pauschal von „flexibler Arbeitsgestaltung“ oder „Work-Life-Balance-Maßnahmen“ zu sprechen, sondern hinsichtlich zeitlicher und örtlicher Fle- xibilität zu differenzieren. Nur so können Unternehmen im Rahmen der Mitarbeitergewinnung vom gemeinsamen Effekt beider Dimensionen profitieren (Schmoll/Süß, 2019).

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