Personal Quarterly 2/2021
8 SCHWERPUNKT _INTERVIEW PERSONALquarterly 02 / 21 können? Welche Rahmenbedingungen z. B. hinsichtlich des Datenschutzes sind zu berücksichtigen? Dirk Ifenthaler: Für Learning Analytics werden insbesondere Da ten über Lernende, wie z. B. deren Vorwissen und Erfahrungen, Daten über Aktivitäten in der Lernumgebung und am Arbeits platz, z. B. Nutzerpfade und Lernergebnisse, sowie Daten über soziale Interaktionen, z. B. Aktivitäten in sozialen Netzwer ken, analysiert. Learning Analytics greifen also auf Daten aus verschiedenen Kontexten der Organisation, wie der Personal verwaltung, der Lernumgebung oder sozialen Interaktionen, zu. Die Bereitschaft Mitarbeitender, Daten preiszugeben, kann in den jeweiligen Kontexten unterschiedlich sein. Dabei steht die Bereitschaft von Mitarbeitenden, personenbezogene Daten preiszugeben, im positiven Zusammenhang mit dem antizipierten Nutzen einer Learning-Analytics-Anwendung so wie der wahrgenommenen Kontrolle über die eigenen Daten. Folglich müssen sich Organisationen der Datenschutzthemen annehmen, die in Verbindung mit Learning Analytics stehen, wie Zugriffsrechten, Speicherdauer, Analysen und Schluss folgerungen. Datenschutzprinzipien für Learning Analytics unterstreichen die aktive Rolle der Mitarbeitenden in ihren Lernprozessen, den temporären Charakter und die Unvollstän digkeit von vorhandenen Daten, auf denen Learning Analytics basieren, sowie insbesondere Transparenz hinsichtlich Nut zung, Analysen, Zweck, Zugriff, Kontrolle und Eigentumsver hältnissen der anfallenden Daten. PERSONALquarterly: Wie können digitale Bildungsdaten für den Lernenden, die Lehrenden, die Organisationen und Weiterbil- dungseinrichtungen nutzbar gemacht werden? Dirk Ifenthaler: Die erfolgreiche Einführung von Learning Analy tics in Organisationen setzt eine sorgfältig geplante Verände rungsstrategie voraus, die auf einer eingehenden Überprüfung der vorhandenen Praktiken, Verfahren und Fähigkeiten ba siert. Die Veränderungsstrategie verlangt Entscheidungen darüber, welche Vorteile und spezifischen Merkmale von Lear ning Analytics einbezogen werden sollen und welche Infra struktur für eine erfolgreiche Implementierung von Learning Analytics erforderlich ist. Die eingehende Bewertung (Readi ness Assessment) erfordert belastbare Daten der Organisa tion, welche mittels standardisierter Instrumente gewonnen werden. Daten für die eingehende Bewertung werden auf or ganisatorischer Ebene (z. B. bestehende Richtlinien, Daten schutzbestimmungen) mit einem besonderen Schwerpunkt auf erforderliche Technologien (z. B. Data Warehouse, Systeminte gration) und in Bezug auf die Fähigkeiten, die Mitarbeitende der Organisation besitzen (z. B. Bildungsdatenkompetenz, Data Analytics), durchgeführt. Basierend auf den Ergebnissen der eingehenden Bewertung deckt die resultierende Umsetzungs strategie alle Bereiche der Veränderung ab. Darüber hinaus soll die schrittweise Implementierung von Learning Analytics im Hinblick auf vordefinierte und messbare KPIs (Key Perfor mance Indicators) überwacht und bewertet werden. PERSONALquarterly: Welche Gefahren sehen Sie beim Einsatz von Learning Analytics? Dirk Ifenthaler: Learning Analytics ermöglichen eine effektive Bewältigung der dynamischen und vielfach unvollständig er fassbaren Lern-Lehr-Prozesse. Jedoch sind Learning-Analy tics-Systeme für Beteiligte schwer einzuschätzen und deren Vorhersagen bzw. Empfehlungen können zu unerwartetem Verhalten bzw. ungewollten Aktivitäten führen (Black-Box- Phänomen). Unsere Studienergebnisse weisen darauf hin (vgl. Literaturhinweise auf www.ifenthaler.info), da ss Lernende trotz antizipierter Vorteile nicht bereit sind, alle Daten für Learning Analytics preiszugeben. Es wird zwar Bereitschaft signalisiert, lernbezogene Daten zu teilen, nicht aber persön liche Informationen oder soziale Nutzerpfade. Insbesondere bei der Implementierung der vielseitig geforderten adaptiven Learning-Analytics-Systeme, welche auf eine Vielzahl an Da ten angewiesen sind, bleibt dies ein kritischer Aspekt. Ein Kernproblem beim Einsatz von Learning Analytics in Orga nisationen ist die Kontextabhängigkeit, Fragmentierung und Verzerrung verfügbarer Daten. Entscheidungen, welche aus umfangreichen Trainingsdaten hervorgehen, können bei un zureichender Datengrundlage und mangelnder Transparenz zu Einseitigkeiten oder Befangenheiten führen. Eine Diskri minierung von Personen durch Learning Analytics ist somit nicht mehr auszuschließen. Folglich sind holistische Learning- Analytics-Systeme, die theoretisch fundierte und transparente Datenanalysen mit pädagogisch relevanten Indikatoren und verlässlichen Interventionen ermöglichen, Ziel der aktuellen Forschung. Dabei ist zu erwarten, dass neben bereits beste henden datenschutzrechtlichen Standards auch ethische Leit prinzipien zum Austausch und der Analyse von Daten aus dem Bildungskontext weiterentwickelt werden. PERSONALquarterly: Wie weit sind Learning Analytics noch von der Realität entfernt? Kennen Sie erfolgreiche Anwendungsbeispiele und können diese kurz skizzieren? Dirk Ifenthaler: Seit über zehn Jahren verharren Learning Analy tics als schlafender Riese im Bildungskontext. Trotz der großen Aufmerksamkeit für das Thema Learning Analytics bleibt die praktische Anwendung weit hinter den antizipierten Poten zialen zurück. Als Gründe konnten wir in einer internatio nalen Studie Defizite in organisatorischen Strukturen sowie mangelnde personelle und technologische Ausstattungen der Organisationen identifizieren. In einer systematischen Über sichtsarbeit zu Gelingensbedingungen für die Implementation von Learning Analytics konnten wir über 6.000 wissenschaft liche Veröffentlichungen sichten. Vordergründig erscheint die Entwicklung von flexiblen Learning-Analytics-Systemen
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