Personal Quarterly 2/2021
6 SCHWERPUNKT _INTERVIEW PERSONALquarterly 02 / 21 PERSONALquarterly: Wenn Sie sich selbst neue Inhalte erschließen: Wie lernen Sie? Dirk Ifenthaler: Ich lerne, wie jeder andere auch, täglich. Lernen verstehe ich als graduellen Aufbau und stetige Veränderung individueller Dispositionen durch Verarbeitung von Informa tionen. Dabei messe ich der Planung, Organisation und Ge staltung jeglicher Gelegenheiten zum Lernen eine besondere Bedeutung zu und verknüpfe die Lernaktivitäten mit meinen Interessen, bereits Gelerntem und meinen Alltagserfahrungen. Auch lerne ich aus eigenen Fehlern, indem ich die Situati on reflektiere und nach alternativen Lösungsansätzen frage. Entscheidend für Lernen ist alles in allem nicht das mecha nische Auswendiglernen, sondern der Aufbau von kognitiven Strukturen. Dabei stellt sich die Frage nach dem Sinn des Ge lernten, denn Sinnstrukturen stellen einen ausgezeichneten Ankergrund für nachhaltiges Lernen dar. PERSONALquarterly: In Organisationen wird im Moment häufig vom neuen Lernen, dem agilen Lernen oder dem digitalen Lernen gesprochen. Was sind die Trends beim Lernen, die die nächsten Jahre Bestand haben werden? Welche Entwicklungen sehen Sie? Dirk Ifenthaler: Die internationale Lernforschung hat in den vergangenen Jahren umfassende Beiträge zu Gelegenheiten des lebenslangen Lernens vorgelegt. Wortkreationen, wie z. B. Learnagility, folgen aktuellen Trends, orientieren sich jedoch im Kern an theoretisch und empirisch fundierten Konzepten der Lernforschung. Dazu zählt selbstgesteuertes Lernen, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Lernende aktiv über Lern aktivitäten bestimmen und diese überwachen. Neben robusten Befunden zum Lernen in der Schule, der Hochschule und der Weiterbildung stehen erst seit Kurzem das Lernen am Arbeits platz und dessen Auswirkungen auf die Mitarbeitenden, die Or ganisationen und die Gesellschaft im Fokus. Man ist sich einig, dass formale Lerngelegenheiten, z. B. Schulungen, den Aufbau von Kompetenzen fördern. Diese Form des Lernens wird zu nehmend durch digitale Angebote unterstützt. Dazu zählen Gamification, Game-based Learning, Simulationen, Massive Open Online Courses sowie Virtual und Augmented Reality. Potenziale dieser digitalen Medien und Technologien für die „Das Potenzial von Learning Analytics wird noch nicht ausgeschöpft“ Das Interview mit Prof. Dr. Dirk Ifenthaler führte Prof. Dr. Simone Kauffeld Arbeitswelt sind individualisierte Lernartefakte und authen tische Lernumgebungen, die uneingeschränkte und flexible Verfügbarkeit von Lerngelegenheiten sowie die Skalierbarkeit der Lernangebote bei optimierter Kosten-Nutzen-Relation. Ne ben den weitverbreiteten formalen Lernangeboten steht ver mehrt das informelle Lernen am Arbeitsplatz im Vordergrund. Informelle Lerngelegenheiten, wie z. B. der stetige Austausch mit Mitarbeitenden, unterstützen die tiefe Durchdringung komplexer Problemlösesituationen und reflexive Erfahrungen. Auch hier bieten digitale Medien und Technologien Potenziale zur Unterstützung. Chatbots z. B. helfen bei der Reflexion in spezifischen Situationen, oder ein Enterprise Social Network vermittelt Expertinnen für konkrete Aufgabenstellungen. Mit dem Einzug dieser digitalen Systeme fallen in Organisationen umfassende Bildungsdaten an. Deren Analysen wird in naher Zukunft eine bedeutende Rolle für die Unterstützung jeglicher Lern-Lehr-Prozesse zugeschrieben. PERSONALquarterly: Big Data und Analytics transformieren ganze Branchen und verändern das Verbraucherverhalten. Banken, Versicherungen, Telekommunikation und Unterhaltung nutzen kunden- und nutzergenerierte Informationen, um aus den Daten heraus effizient Entscheidungen zu treffen und um damit Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Wie können Unternehmen und Bildungsanbieter Analytics-Anwendungen beim Lernen nutzen? Dirk Ifenthaler: Durch Analysen von umfassenden Bildungsdaten entstehen Potenziale für unterschiedliche Stakeholder einer Organisation. Auf der Organisationsebene können Ressourcen anhand von datenevidenten Informationen bedarfsgerecht verteilt werden. Lehrende erhalten jederzeit Einblicke in die Fortschritte der Lernenden und wie diese die Lernmaterialien nutzen. Auch können Lernangebote an die heterogenen Ziel gruppen angepasst oder für anstehende Projekte optimiert werden. Darüber hinaus kann der individuelle Lernerfolg vorhergesagt und es können relevante nächste Lernschritte und Lernmaterialien empfohlen werden. Visualisierungen von Lernprozessen ermöglichen die Reflexion über das eigene Lernen und identifizieren unerwünschtes Lernverhalten und -schwierigkeiten. Schließlich können Datenanalysen soziale Lernprozesse unterstützen.
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