Personal Quarterly 2/2021
PERSONALquarterly 02 / 21 38 NEUE FORSCHUNG _WORK-LIFE-BALANCE Santuzzi, 2015). Dabei kann die Forderung nach sofortiger Re- aktion und ständiger Erreichbarkeit über die regulären Ar- beitszeiten hinausgehen und in Feierabend, Urlaub und auch Krankheitszeiten hineinreichen (Day et al., 2012). Arbeitende können sich also aufgrund hoher wahrgenommener IKT-An- forderungen, konkret hoher Erwartungen an die Reaktionsge- schwindigkeit und daran, rund um die Uhr verfügbar zu sein, verpflichtet fühlen, auch außerhalb ihrer formalen Arbeits- zeiten auf berufliche E-Mails zu reagieren (Schlachter et al., 2018). Zusätzlich können technische Probleme und eine hohe IKT-bedingte Arbeitsbelastung Arbeitende veranlassen, auch außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeit berufliche E-Mails zu bearbeiten oder Anrufe entgegenzunehmen. Entsprechend geht diese Studie davon aus, dass IKT-Anfor- derungen positiv mit der arbeitsbezogenen Nutzung von IKT außerhalb der Arbeitszeit, konkret mit der beruflichen E-Mail- Nutzung am Feierabend, am Wochenende, im Urlaub und bei Krankheit sowie der arbeitsbezogenen Smartphone-Nutzung am Feierabend, zusammenhängen. IKT und Work-Life-Balance Das Thema Work-Life-Balance (WLB – die individuelle Wahr- nehmung einer Person über den Einklang zwischen Arbeit und Privatleben) erfährt große Aufmerksamkeit und ist eng mit den Veränderungen in der Arbeitswelt verbunden, in der Flexibilitätsanforderungen steigen und Arbeits- und Privat leben enger verknüpft sind. Generell spielen berufliche Anfor- derungen eine Rolle für die Entstehung von Konflikten versus Balance zwischen Arbeit und Privatleben (Hellemans et al., 2019). IKT können hierbei zum einen flexible Arbeitsoptionen und Autonomie unterstützen und somit zu einer Verbesserung der wahrgenommenen WLB beitragen, zum anderen kann die arbeitsbedingte Nutzung von IKT außerhalb der Arbeitszeit aber auch zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und damit einhergehend einer verschlechterten WLB beitragen. So kann es z. B. zu zeitbasierten Konflikten, wie weniger Zeit für Familienmitglieder, oder auch zu men- talen Konflikten, wie der fehlenden Ablösung von der Arbeit, kommen (Gadeyne et al., 2018). Vor allem Erwartungen an eine ständige Erreichbarkeit, gestiegener Arbeitsdruck und höhere IKT-bedingte Arbeitsanforderungen werden hierbei mit einem zunehmenden Konflikt zwischen Arbeits- und Privatleben in Verbindung gebracht (Stich et al., 2015). Diese Studie nimmt daher an, dass IKT-Anforderungen sowie arbeitsbezogene IKT- Nutzung außerhalb der Arbeitszeit negativ mit der Work-Life- Balance von Führungskräften zusammenhängen. Abbildung 1 fasst die Annahmen dieser Studie zusammen. Beschreibung der empirischen Studie Die empirische Untersuchung erfolgte mithilfe eines Online- Fragebogens, der sich an Führungskräfte richtete. Als Mess instrumente wurden etablierte Skalen genutzt. Die unabhängige Variable „IKT-Anforderungen“ mit den spezifischen Anforderun- gen „Erwartungen an die Reaktionsgeschwindigkeit“ (z. B.: „Es wird von mir erwartet, dass ich auf E-Mails sofort antworte“, Reliabilitätsmaß Cronbachs α = .67), „Erwartungen an ständige Erreichbarkeit“ (z. B.: „Es wird von mir erwartet, dass ich zu jeder Zeit erreichbar bin (z. B. per Pager, Handy, E-Mail)“, α = .79), „IKT-bezogene Lernerwartungen“ (z. B.: „Es wird von mir erwartet, dass ich mich über technologische Neuerungen bei der Arbeit auf dem Laufenden halte“, α = .65), „IKT-bedingte Arbeits- belastung“ (z. B.: „Internetbenutzung erhöht meine Arbeitsbelas tung“, α = .75) und „technische Probleme“ ( α = .82) wurde mit einer ins Deutsche übersetzten Version der „ICT Demands Scale“ von Day und Kollegen (2012) gemessen. Die Häufigkeit der „ar- beitsbezogenen E-Mail-Beantwortung außerhalb der Arbeitszeit“ wurde mit vier Fragen („am Feierabend“, „am Wochenende“, „im Urlaub“, „bei Krankheit“; α = .84; Barber/Santuzzi, 2015) und die Häufigkeit der „arbeitsbezogenen Smartphone-Nutzung am Feierabend“ mit einer Frage (Ohly/Latour, 2014) erhoben; beide stellen sowohl abhängige als auch unabhängige Variablen dar. Die abhängige Variable „Work-Life-Balance“ wurde mit der Trierer Kurzskala zur Messung von Work-Life-Balance (Syrek/ Bauer-Emmel/Antoni/Klusemann, 2011) erhoben (z. B. „Ich bin zufrieden mit meiner Balance zwischen Arbeit und Privatleben“, α = .79). Insgesamt haben 85 Führungskräfte (45 Frauen und 38 Männer, 2 ohne Angabe) an der Studie teilgenommen. 65 hat- ten ein abgeschlossenes Studium. Das mittlere Alter lag bei 38,8 Jahren (SD = 11,65), die mittlere wöchentliche Arbeits- zeit bei 44 Stunden. Die Führungskräfte gaben an, im Mittel Führungsverantwortung für 17 Mitarbeitende zu haben. Die befragten Führungskräfte gaben an, durchschnittlich 62 % ih- rer Arbeitszeit mit E-Mail-Schreiben und -Lesen zu verbringen; 73 % erledigen täglich nach ihrem offiziellen Feierabend noch arbeitsbezogene Aufgaben. Ergebnisse der Studie Die Analyse der Daten wurde mittels linearer Regressions analysen vorgenommen, einmal zur Vorhersage der zwei In- dikatoren von arbeitsbezogener IKT-Nutzung außerhalb der Arbeitszeit, einmal zur Vorhersage von WLB. In einem ersten Schritt wurden jeweils die Kontrollvariablen Alter, Geschlecht und Anzahl geführter Mitarbeitender aufgenommen. Im zwei- ten Schritt kamen die Prädiktorvariablen hinzu. Für die Vor- hersage von arbeitsbezogener IKT-Nutzung außerhalb der Arbeitszeit sowie von arbeitsbezogener Smartphone-Nutzung am Feierabend wurden die fünf IKT-Anforderungen als Prä- diktoren getestet. Durch die gemeinsame Betrachtung der fünf IKT-Anforderungen kann die Stärke der Vorhersagekraft der einzelnen IKT-Anforderungen ermittelt werden, wodurch Aus- sagen zur relativen Relevanz der einzelnen IKT-Anforderungen
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