Personal Quarterly 2/2021
PERSONALquarterly 02 / 21 36 NEUE FORSCHUNG _WORK-LIFE-BALANCE N eue Informations- und Kommunikationstechno- logien (IKT), also elektronische Geräte oder Tech- nologien, mit denen Informationen gesammelt, gespeichert oder gesendet werden können, haben zu vielfältigen Veränderungen in der Arbeitswelt geführt. Beispiele für diese Entwicklungen sind erschwingliche Smart- phones und Computer, wachsende Internetabdeckung und Zu- nahme der E-Mail-Nutzung. 2017 hatten 93 % der deutschen Unternehmen Internetzugang und 94 % setzten Computer am Arbeitsplatz ein (Statistisches Bundesamt, 2017). Ein möglicher Vorteil der wachsenden technologischen In- teraktion und des virtuellen Zugriffs ist eine Verbesserung der Arbeitsproduktivität. So sind viele Arbeitnehmer zur Kommu- nikation innerhalb des Unternehmens oder mit externen Part- nern auf IKT angewiesen (Stich/Farley/Cooper/Tarafdar, 2015), und IKT ermöglichen es ihnen, ihrer Arbeit unabhängig von Ort und Zeit nachzugehen (Barber/Santuzzi, 2015). Hierdurch werden flexible Arbeitsmodelle realisierbar, die Mitarbeitende dazu befähigen, jederzeit an den von ihnen präferierten Or- ten zu arbeiten (Ter Hoeven/van Zoonen/Fonner, 2016). Dies könnte jedoch auch dazu führen, dass Personen in ihrer arbeits- freien Zeit Druck verspüren, auf arbeitsbezogene Nachrichten zu antworten (Barber/Santuzzi, 2015). IKT tragen zu einer hö- heren Erreichbarkeit und einer damit verbundenen vermehrten arbeitsbezogenen IKT-Nutzung außerhalb der Arbeitszeit bei, was zur Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Pri- vatleben führen kann (Gadeyne/Verbruggen/Delanoeije/Coo- man, 2018). Smartphones, Tablets und Laptops erschweren es Mitarbeitenden, sich von der Arbeit zu lösen. Die ständige Erreichbarkeit kann zudem zu häufigen Unterbrechungen wie Anrufen, Textnachrichten oder E-Mails führen (Ninaus/Diehl/ Terlutter/Chan/Huang, 2015). Damit einhergehende Risiken sind Stressempfinden und psychische Erkrankungen sowie Konflikte zwischen Arbeits- und Privatleben (Gadeyne et al., 2018). Aufgrund des gestiegenen Bewusstseins für diese Ri- siken haben bspw. Unternehmen wie Volkswagen und BMW Regelungen zur Nutzung von E-Mails außerhalb der Arbeitszeit getroffen. Frankreich hat seine Organisationen aufgefordert, explizit festzulegen, in welchen Zeiten eine Verfügbarkeit nicht erforderlich ist (Schlachter/McDowall/Cropley/Inceoglu, 2018). Zusammengefasst spielen berufliche IKT-Anforderungen wie bspw. Erwartungen an eine ständige Erreichbarkeit sowie die berufliche Nutzung von IKT im Privatleben eine wichtige Rolle beim Erreichen von Work-Life-Balance, also der Wahrnehmung, dass Arbeits- und Privatleben im Einklang stehen. Der Einsatz von IKT könnte die Grenzen zwischen den Lebensbereichen der- art verändern, dass es einerseits zu einem stärkeren negativen Einfluss von Arbeit in der Freizeit kommt, andererseits jedoch auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatem (Hellemans/Flandrin/van de Leemput, 2019). Diverse Studien belegen die Bedeutung von beruflicher IKT- Nutzung für die Work-Life-Balance von Mitarbeitenden, weni- ger häu g werden hingegen Führungskräfte betrachtet. Dies ist erstaunlich, da Führungskräfte aufgrund ihrer Verantwort- lichkeiten besonders wahrscheinlich hohen Erreichbarkeitser- wartungen ausgesetzt sind. Die wenigen vorliegenden Studien weisen entsprechend darauf hin, dass Führungskräfte im Ver- gleich zu Mitarbeitenden vermehrt trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen, sich als jederzeit erreichbar ansehen (Bauer/Fas- soula/Thiele, 2016) und ihre Work-Life-Balance schlechter ein- schätzen (Krampitz, 2015). Ziel dieses Beitrags ist es, die Rolle arbeitsbedingter IKT-Nutzung bei Führungskräften näher zu erforschen, indem die Zusammenhänge von IKT-Anforderun- gen, arbeitsbezogener IKT-Nutzung außerhalb der Arbeitszeit undWork-Life Balance untersucht werden. Dazu werden die Er- gebnisse einer 2019 durchgeführten Fragebogenuntersuchung mit 85 Führungskräften präsentiert. IKT-Anforderungen Das Konzept der IKT-Anforderungen wurde aufgrund der in- tensiven Nutzung von IKT im Arbeitskontext gebräuchlich. Es handelt sich hierbei um über die allgemeine Arbeitsbelas tung hinausgehende Anforderungen im technischen Umfeld (Barber/Santuzzi, 2015). Dies können zum einen soziale An- forderungen wie Missverständnisse bei der E-Mail-Kommu- nikation sowie Unterbrechungen durch E-Mails und hohe Erwartungen hinsichtlich deren sofortiger Beantwortung sein und zum anderen Probleme im Zusammenhang mit einer er- höhten Arbeitsbelastung und technischen Störungen (Ninaus et al., 2015). Konkret wurden u. a. folgende IKT-bezogene An- Work-Life-Balance und die Rolle von Informa- tions- und Kommunikationstechnologie Von Prof. Dr. Katrin Böttcher (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) und Prof. Dr. Laura Venz (Leuphana Universität Lüneburg)
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==