Personal Quarterly 2/2021
28 PERSONALquarterly 02 / 21 SCHWERPUNKT _NEUES LERNEN der niedrigere Wert der Subgruppe ohne Berufsabschluss im Vergleich zur Subgruppe „Ausbildung/Lehre“ signifikant. 4 Die Effektstärken liegen im geringen bis mittleren Bereich. Bei der Unternehmensgröße ist zu beobachten, dass in größe- ren Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten geringfügig mehr informell gelernt wird als in mittelgroßen Unternehmen (101 bis 250 Beschäftigte). Die Effektstärke ist allerdings ge- ring. Dieser Unterschied ist vermutlich insbesondere auf die Komponente „Modelllernen“ zurückzuführen, da sich hier ein ähnlicher signifikanter Unterschied offenbart. Bezüglich der anderen Komponenten sind keine signifikanten Unterschiede feststellbar. Einschränkend ist anzumerken, dass mehrere Per- sonen aus den gleichen KMU befragt wurden, was in Hinblick auf die Branche und Unternehmensgröße zu statistischen Ver- zerrungen führen kann. 5 Praxisimplikationen Die Studienergebnisse zeigen, dass es beachtenswerte Un- terschiede in verschiedenen demografischen und organisati- onalen Subgruppen bezüglich des informellen Lernens gibt. Insbesondere das Merkmal „Alter der Beschäftigten“ sollte in der Praxis eine verstärkte Aufmerksamkeit erhalten. Einer- seits ist es wenig überraschend, dass junge Beschäftigte ins- gesamt mehr informell lernen, da sie sich zu einem früheren Zeitpunkt in ihrer Laufbahn befinden und zusätzliche Kom- petenzen erwerben müssen. Andererseits kann dieser Effekt genutzt werden, um z. B. durch altersgemischte Teams die jungen Beschäftigten bestmöglich zu fördern (in Hinblick auf das Lernen am Modell, das Einholen von direktem Feedback zur Arbeitsleistung sowie dem stellvertretenden Feedback/Er- fahrungsaustausch) und gleichzeitig älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die Beschäftigung mit den Lerninhal- ten (erneut) Impulse zum Lernen zu liefern. Außerdem könnte sich durch eine altersgemischte Zusammenarbeit der mit- telgroße Effekt, dass ältere Beschäftigte zumindest teilweise stärker ihren Arbeitsprozess im Vorhinein planen und organi- sieren, durch einen möglichen Wissenstransfer positiv auf die jüngeren Beschäftigten auswirken und deren Planungs- und Organisationskompetenz stärken. Die nur geringen und vereinzelten Unterschiede bei den Merkmalen „Geschlecht“ 6 sowie „Berufsabschluss“ legen na- he, diese Merkmale in der Praxis weniger zu berücksichti- gen im Vergleich zum Alter der Beschäftigten. Zu beachten ist allerdings der mittelgroße Unterschied, dass Personen ohne Berufsabschluss weniger durch eigenes Ausprobieren lernen als Personen mit Berufsabschluss (schließlich zeigt sich bei fast allen anderen Komponenten kein bzw. nur ein geringer Unterschied). Eine mögliche Schlussfolgerung wäre, dass Per- sonen durch eine Ausbildung nicht nur Fachinhalte erlernen, sondern sich auch die Meta-Kompetenz des „lernen Lernens“ aneignen. Auch wenn die genauen Gründe hierfür weiterer Erforschung bedürfen, könnten Führungskräfte in KMU die geringqualifizierten Beschäftigten explizit ermutigen, ihre ei- genen Ideen bei der Arbeit einzubringen und auszuprobieren – auch auf die Gefahr hin, dass dabei zunächst Fehler gemacht werden. Im Sinne eines konstruktiven Lernprozesses gelten Fehler schließlich als unausweichlich und sollten positiv als weitere Lerngelegenheiten wahrgenommen werden. Hinsichtlich der Unternehmensgröße befinden sich KMU mit 100 bis 250 Beschäftigten häufig in einer schwierig zu händelnden „Sandwich-Lage“: Sie sind zu groß, als dass jeder jeden persönlich kennen könnte (was als kommunikations- und lernförderlich gilt), wie es bei kleineren KMU der Fall ist; gleichzeitig fehlen oftmals standardisierte Arbeits- und Weiterbildungsprozesse, die für größere KMU typisch sind. Führungskräfte in solchen mittelgroßen KMU könnten in Hin- blick auf das informelle Lernen zumindest darauf achten, ge- nügend Gelegenheiten für das Modelllernen zu schaffen (z. B. entsprechende Zeitkontingente für den Kontakt der Beschäf- tigten untereinander während der Arbeit anbieten), da sich bei Modelllernen in der Studie ein signifikant geringerer Wert in mittleren KMU im Vergleich zu größeren KMU ergab. Insge- samt sind die Unterschiede beim organisationalen Merkmal der Unternehmensgröße jedoch eher gering. Bezüglich der Branchenzugehörigkeit können Führungs- kräfte anhand der Ergebnisse in Abbildung 4 nachvollziehen, welche Lernkomponenten in ihrer Branche am höchsten aus- geprägt sind. Bspw. zeigt sich in der Branche „Kunststoff & Chemie“, dass das Modelllernen besonders hoch ausgeprägt ist, während es beim eigenen Ausprobieren eher gering ist (wenn auch nicht signifikant geringer als in anderen Bran- chen). Führungskräfte von KMU aus dieser Branche könnten daher ebenfalls gezielt Möglichkeiten zum Modelllernen ein- richten. Bei begrenzten Ressourcen könnten sie hingegen dem eigenen Ausprobieren ggf. vergleichsweise weniger Aufmerk- samkeit schenken, da dies offenbar für ihre Branche weniger typisch ist. Führungskräfte in KMU in der Industrie können die Erkennt- nisse dieser Studie als Anknüpfungspunkt nutzen, um mehr über das informelle Lernen ihrer Beschäftigten herauszufin- den und den Lernprozess nach Möglichkeit bestmöglich zu unterstützen (für praxisorientierte Anregungen dazu vgl. z. B. Ahrens/Molzberger, 2018). 4 Der Mittelwert für die Subgruppe „Akademischer Abschluss“ liegt zwar minimal über dem der Subgruppe „Ausbildung/Lehre“, basiert aber auf einer geringeren Subgruppengröße. Dies ist sehr wahrscheinlich der Grund dafür, dass der Unterschied bei der Signifikanzprüfung nicht als repräsenta- tiv bestätigt werden konnte. 5 Diese Zuordnung der Beschäftigten zu den KMU ließe sich über eine sog. Mehrebenenanalyse berücksichtigen, die allerdings lediglich bei der Untersuchung von Zusammenhängen – nicht wie im vorliegenden Fall von Gruppenunterschieden – eingesetzt werden kann. 6 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Subgruppengrößen „männlich“ und „weiblich“ in der Befragung sehr unterschiedlich ausfielen – der hohe Anteil an männlichen Beschäftigten ist allerdings typisch für die Industriearbeit.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==