Personal Quarterly 2/2021
26 PERSONALquarterly 02 / 21 SCHWERPUNKT _NEUES LERNEN Die Stichprobe Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden die Daten einer Paper-Pencil-Befragung mit Industriebeschäftigten in 37 deutschen KMU ausgewertet (11 KMU < 100 Beschäftigte, 11 KMU 100-250 Beschäftigte, 15 KMU > 250 Beschäftigte). Fol- gende Branchen waren vertreten: Metallverarbeitung (12 KMU); Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeugbau (6); Kunststoff und Che- mie (6); Lebensmittel und Agrar (5); Elektrotechnik (4); Papier-, Textil- und Druckindustrie (2); Sonstiges (Möbel und Tresore, 2). Insgesamt liegen vollständige Datensätze von 1.053 befragten Personen vor. Davon sind 76,8 %männlich, was durchaus typisch für das verarbeitende Gewerbe ist. Aus Gründen der Anonymi- tät wurde das Alter der Befragten in den folgenden Kategorien erfasst: 16-25 Jahre (14,0 %), 26-35 Jahre (20,7 %), 36-45 Jahre (19,4 %), 46-55 Jahre (31,8 %), 56 Jahre und älter (14,1 %). Von den Befragten gaben 15,9 % an, keinen beruflichen Abschluss zu besitzen. Die große Mehrheit von 74,7 % hatte eine Ausbildung oder Lehre absolviert; 9,5 % gaben einen akademischen Ab- schluss an. Zur Messung des informellen Lernens kam eine Ska- la zum Einsatz, die jede der acht Subkomponenten mit jeweils drei Items erfasst (Decius et al., 2019). Ein Beispiel-Item für die Komponente „Modelllernen“ lautet: „Ich schaue, wie andere im Betrieb arbeiten, um meine Arbeit zu verbessern“; Die Kompo- nente „stellvertretendes Feedback“ wurde u. a. mit diesem Item gemessen: „Ich frage meine Kollegen, welche Methoden und Tricks sie bei der Arbeit nutzen.“ 1 Die Ergebnisse In Abbildung 3 und 4 werden die Ergebnisse des demografischen Merkmals „Alter“ und des organisationalen Merkmals „Bran- chenzugehörigkeit“ dargestellt, da sich insbesondere bei diesen Merkmalen signifikante und praxisrelevante Unterschiede er- gaben. Der Wert 0 in den Diagrammen steht für den Mittelwert der Gesamtstichprobe bezogen auf das jeweilige Merkmal. Die Skalierung steht für die Anzahl der Standardabweichungen, die der Subgruppen-Mittelwert vomGesamtmittelwert abweicht. Ein Wert von 0,5 bedeutet somit, dass der Mittelwert der Subgruppe (z. B. 16- bis 25-Jährige) eine halbe Standardabweichung über dem Gesamtmittelwert aller Altersgruppen liegt. Ein Wert von -0,5 würde bedeuten, dass der Mittelwert der Subgruppe eine halbe Standardabweichung unter dem Gesamtmittelwert liegt. Der erste Abschnitt links in jedem Diagramm bezieht sich auf den Durchschnittswert des informellen Lernens, d. h. den Mittel- wert über alle 24 Items des informellen Lernens. Die acht jeweils folgenden Abschnitte in jedem Diagramm beziehen sich auf die Durchschnittswerte der acht Subkomponenten des informellen Lernens, d. h. die Mittelwerte der jeweiligen drei Items von „Eige- nes Ausprobieren“, „Modelllernen“ usw. Bei allen signifikanten Unterschieden ist zudem die Effektstärke Cohen’s d angegeben, die die praktische Relevanz des Unterschieds verkörpert. 2 Bezüglich des Alters (vgl. Abb. 3) fällt auf, dass das infor- melle Lernen insgesamt mit zunehmendem Alter abnimmt. Hier zeigen sich mittlere bis große Effekte. Bezüglich der acht Komponenten des informellen Lernens ergibt sich dieser Al- terseffekt insbesondere bei Modelllernen, direktem Feedback, stellvertretendem Feedback und extrinsischer Lernintention. Was das eigene Ausprobieren sowie die Reflexion im Nach- hinein angeht, zeigen sich keine Unterschiede über die Al- tersgruppen. Bei der vorausschauenden Reflexion ist sogar festzustellen, dass die Gruppe der 46- bis 55-Jährigen die eige- nen Arbeitsschritte intensiver im Vorhinein plant und durch- denkt im Vergleich zu den 16- bis 25-Jährigen. Während die extrinsische Lernintention über den Altersverlauf abnimmt, gibt es in Hinblick auf die intrinsische Lernintention einen signifikanten „Knick“ erst bei der Altersgruppe > 55 Jahre. Bei der Branchenzugehörigkeit (vgl. Abb. 4) gibt es keinen derart eindeutigen Trend wie beim Alter. Auffällig ist, dass insbesondere in der Branche „Maschinen- & Fahrzeugbau“ besonders intensiv informell gelernt wird. Dies zeigt sich auch bei den einzelnen Komponenten des Modelllernens, des direkten Feedbacks, des stellvertretenden Feedbacks sowie der Reflexion im Nachhinein – nicht jedoch bei den anderen Komponenten. Im Vergleich zum Maschinenbau wird in den Branchen „Metallverarbeitung“ und „Lebensmittel & Agrar“ bei den ersten drei genannten Komponenten signifikant we- niger informell gelernt. Die Effektstärken der Unterschiede liegen mehrheitlich im mittleren Bereich. Zudem sticht die intrinsische Lernintention in der Branche „Sonstiges (Möbel & Tresore)“ heraus. 3 Bezüglich des demografischen Merkmals „Geschlecht“ ist kein signifikanter Unterschied beim Gesamtwert des infor- mellen Lernens ersichtlich. Bei den einzelnen Komponenten des informellen Lernens zeigen sich allerdings signifikant höhere Werte bezüglich eigenem Ausprobieren, Modelllernen und extrinsischer Lernintention bei männlichen Beschäftigten. Die Effektstärken sind jedoch eher als niedrig zu bewerten. Die Betrachtung des demografischen Merkmals „Berufsab- schluss“ ergibt ebenfalls keinen signifikanten Unterschied beim Gesamtwert des informellen Lernens. Einzig signifikant sind die Unterschiede beim eigenen Ausprobieren und bei vorausschau- ender Reflexion. Beim eigenen Ausprobieren weist die Subgrup- pe ohne Berufsabschluss einen niedrigeren Wert im Vergleich zu den Subgruppen „Ausbildung/Lehre“ sowie „Akademischer Abschluss“ auf; bei vorausschauender Reflexion ist lediglich 1 Die vollständige Skala zur Messung des informellen Lernens am Arbeitsplatz auf Deutsch und Englisch ist unter einer Creative Commons Attribution License veröffentlicht und kann bei angemessener Nennung der Quelle kostenfrei (auch für kommerzielle Zwecke) verwendet werden: https://doi.org/10.1002/hrdq.21368 2 Nach Cohen (1988) gilt ein Unterschied mit d = 0,20 als klein, mit d = 0,50 als mittel, und mit d = 0,80 als groß. 3 Ein Grund dafür könnte sein, dass das KMU, welches bei dieser Kategorie die meisten Teilnehmerin- nen und Teilnehmer repräsentiert, aus dem Tresorbereich stammt und überwiegend vertriebsorien- tiert statt produktionsorientiert agiert.
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