Personal Quarterly 2/2021
25 02 / 21 PERSONALquarterly des Arbeitstags dokumentiert und in ein Kategoriensystem überführt, welches anhand der acht Komponenten des Okta- gon-Modells strukturiert war. Bspw. vermerkte der Erstautor, in welchen Arbeitssituationen und wie häufig über den Tag verteilt er durch eigenes Ausprobieren etwas gelernt oder sich direktes Feedback zu seiner Arbeitsleistung eingeholt hatte. Hierbei zeigte sich, dass auch bei der Ausübung von Ein- facharbeit zahlreiche (wenngleich oftmals nur geringfügig ausgeprägte) Lerngelegenheiten bestehen. Die Analyse des Lerntagebuchs ergab 125 Lernverhaltensweisen und Lern intentionen während der insgesamt 80 Arbeitsstunden (fünf Tage Frühschicht in der ersten Woche, fünf Tage Spätschicht in der zweiten Woche). Die prozentuale Verteilung und die Pra- xisbeispiele gegliedert nach den Komponenten des Oktagon- Modells sind in Abbildung 2 zu finden. Es ist zwar davon auszugehen, dass reguläre Beschäftigte mit zunehmender Berufserfahrung und Routine weniger Lern erfahrungen im Arbeitsalltag machen, solange sie nicht mit neuen Aufgabenstellungen konfrontiert sind. Dennoch zeigen die Ergebnisse der Lerntagebuchanalyse, dass informelles Ler- nen auch im Bereich der Einfacharbeit vorkommt und somit auch in Industriebetrieben als essenzielle Lernform angesehen werden kann. Für Führungskräfte in den Unternehmen stellt sich somit zwangsläufig die Frage, wie sie das informelle Ler- nen ihrer Beschäftigten unterstützen können. Forschungsfragen der vorliegenden Studie Um das informelle Lernen im Unternehmen bestmöglich för- dern zu können, ist es notwendig, die begünstigenden Rahmen- bedingungen und Einflussfaktoren zu kennen. In der Forschung werden dabei sowohl demografische (z. B. Alter) als auch or- ganisationale (z. B. Unternehmensgröße) Faktoren diskutiert (Kyndt/Baert, 2013). Kaum untersucht wurde dabei allerdings die Gruppe der Industriebeschäftigten. Die vorliegende explo- rative Studie widmet sich daher den folgenden Fragestellungen: 1. Inwiefern unterscheidet sich das informelle Lernen bei In- dustriebeschäftigten mit verschiedenen demografischen Merkmalen (Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss) und in Unternehmen mit verschiedenen organisationalenMerkma- len (Branche, Unternehmensgröße)? 2. Inwiefern ergeben sich Unterschiede in Hinblick auf die acht Subkomponenten des informellen Lernens? Abb. 2: Häufigkeit von informellen Lernaktivitäten bei einer industriellen Tätigkeit auf Basis eines Lerntagebuchs Quelle: in Anlehnung an Decius (2020) Komponenten des Oktagon-Modells Praxisbeispiel Prozentualer Anteil Direktes Feedback Bei Fifty-Fifty-Entscheidungen bezüglich des Produktionsausschusses einen Kolle- gen fragen, ob er das vorliegende produzierte Teil wegen eines geringen Mangels ebenfalls aussortieren würde. 25% Modelllernen Bei einer Kollegin eine alternative Montagetechnik abschauen, mit der sich bei jedem Handgriff Zeit sparen lässt. 15% Eigenes Ausprobieren Reihenfolge von zwei Arbeitsschritten in der Qualitätskontrolle vertauschen, weil dies ergonomisch einen Vorteil bietet. 14% Stellvertretendes Feedback Austausch von Erfahrungswissen, um an einer bestimmten Maschine eine mög- lichst hohe Stückzahl produzieren zu können. 11% Reflexion im Nach hinein Verringerung von Ausschuss durch bewusst reflektierte Änderung der Hand- und Fußpedal-Koordination, um das Herunterfallen von produzierten Teilen beim Entnehmen aus der Maschine zu vermeiden. 10% Vorausschauende Reflexion Abschätzung der voraussichtlichen Produktionsmenge und Bereitstellung der für die Lagerung der produzierten Teile benötigten Boxen, um den Arbeitsprozess nicht zwischendurch unterbrechen zu müssen. 9% Intrinsische Lernintention Der Versuch, lediglich aus Interesse Maschinendaten auf einem Display einer CNC- Drehmaschine zu interpretieren. 8% Extrinsische Lernintention Die Anforderungen an die Reinigung der Maschinen zum Schichtende verinnerli- chen, um nicht negativ aufzufallen. 7%
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