Personal Quarterly 2/2021
24 PERSONALquarterly 02 / 21 SCHWERPUNKT _NEUES LERNEN ABSTRACT Forschungsfrage: Informelles Lernen ist die vorherrschende Form der Weiterbildung in der Industrie. Dennoch ist wenig über Lernunterschiede in verschiedenen Subgruppen bekannt. Methodik: Auf Basis des sog. Oktagon-Modells wurden Fragebogendaten von mehr als 1.000 Industriebeschäftigten erhoben und varianzanalytisch ausgewertet. Praktische Implikationen: Insbesondere jüngere Personen und Beschäftigte im Maschinenbau lernen ausgeprägt informell, wobei sich Unterschiede in den Oktagon-Kom- ponenten zeigen. Bei der Förderung des Lernens müssen Praktiker auf Bildungsabschluss, Geschlecht und Unternehmensgröße weniger Rücksicht nehmen. sondern auch kognitive und motivationale Bestandteile und er- möglicht eine realistischere und umfassendere Beschreibung und Erfassung des informellen Lernens am Arbeitsplatz. Das Oktagon-Modell des informellen Lernens am Arbeitsplatz Das Oktagon-Modell basiert auf dem dynamischen Modell des informellen Lernens von Tannenbaum et al. (2010). Das dy- namische Modell enthält die vier Faktoren „Erfahrung/Hand- lung“, „Feedback“, „Reflexion“, sowie „Lernintention“. Gemäß dem Modell kann jeder Faktor als Auslöser eines anderen Fak- tors dienen und diesem somit vorausgehen, aber auch jedem anderen Faktor nachfolgen. Demnach enthält das Modell kei- nen festen Start- oder Endpunkt, was den dynamischen Cha- rakter des Lernens verdeutlichen soll. Die lernende Person kann jeden Faktor im informellen Lernprozess einmal oder mehrmals durchlaufen. Der Lernprozess gilt jedoch dann als am effizientesten, wenn alle vier Faktoren darin involviert sind. Das Oktagon-Modell erweitert das dynamische Modell, in- dem es die vier Faktoren in jeweils zwei Komponenten un- terteilt (vgl. Abb. 1). Dadurch lassen sich die Bestandteile des informellen Lernens präziser beschreiben – die Komplexität des realen Lernens im Unternehmen kann somit besser er- fasst werden. Dem Faktor „Erfahrung/Handlung“ aus dem dy- namischen Modell sind im Oktagon-Modell die Komponenten „Eigenes Ausprobieren“ (d. h. Anwenden eigener Ideen) und „Modelllernen“ (d. h. Beobachten und Übernehmen erfolg- reicher Verhaltensweisen anderer Beschäftigter) zugeordnet. Der Faktor „Feedback“ umfasst die Komponenten „Direktes Feedback“ (d. h. Rückmeldungen zur eigenen Arbeitsleistung einholen) sowie „Stellvertretendes Feedback“ (d. h. Erfahrungs- austausch mit anderen Beschäftigten zu erfolgskritischen Arbeitssituationen). Der Faktor „Reflexion“ beinhaltet die Komponenten „Vorausschauende Reflexion“ (d. h. die Planung von Aufgabenschritten unter Berücksichtigung möglicher Hin- dernisse) und „Reflexion im Nachhinein“ (d. h. das Nachden- ken über Verbesserungsmöglichkeiten nach Abschluss einer Arbeitsaufgabe). Der Faktor „Lernintention“ besteht aus den Komponenten „Intrinsische Lernintention“ (d. h. Lernen aus Freude am Lernprozess) sowie „Extrinsische Lernintention“ (d. h. Lernen aufgrund äußerer Anreize wie Lob von Vorge- setzten oder Aussicht auf eine positive Karriereentwicklung). Informelles Lernen im Kontext industrieller Arbeit Im Rahmen einer teilnehmenden Selbstbeobachtung erfasste der Erstautor dieser Studie den eigenen informellen Lernpro- zess mithilfe eines Lerntagebuchs während eines zweiwö- chigen Arbeitseinsatzes als ungelernter Mitarbeiter in einem metallverarbeitenden KMU (vgl. Decius, 2020). Dabei wurden jeweils nach Schichtende die subjektiven Lernerfahrungen Abb. 1: Oktagon-Modell des informellen Lernens am Arbeitsplatz Quelle: in Anlehnung an Decius/Schaper/Seifert, 2019, S. 502 Informelles Lernen am Arbeitsplatz Lernhandlung Reflexion Feed back Lern intention Direktes Feedback Eigenes Ausprobieren Modelllernen Voraus- schauende Reflexion Reflexion im Nachhinein Stellver- tretendes Feedback Extrinsische Lernintention Intrinsische Lernintention
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==