Personal Quarterly 2/2021

23 02 / 21 PERSONALquarterly D as produzierende und verarbeitende Gewerbe ist ein wichtiger Motor der Wirtschaft. Neben Fachkräften mit abgeschlossener Lehre oder Berufsausbildung sind in diesem Bereich auch viele an- und ungelernte Arbeitskräfte beschäftigt, die oftmals sog. Einfacharbeit ver- richten. Einer zunehmenden Digitalisierung und Technisierung zum Trotz wird diese Einfacharbeit auch zukünftig benötigt, um nicht nur Automatisierungslücken zu schließen, sondern auch anspruchsvollere Aufgaben des Monitorings und Intervenierens bis hin zumMitgestalten von Prozessen zu übernehmen (Hirsch- Kreinsen, 2016). Daher müssen sich die Industriebeschäftigten – ob Fachkraft oder angelernt – stets weiterentwickeln. Die Ma- xime des sog. lebenslangen Lernens ist zu Recht inzwischen auch in der Industrie angekommen. Klassischerweise versteht man unter Weiterbildung und Qualifizierung im industriellen Arbeitskontext formale Fortbildungen und (Um-)Schulungen. Es bestehen jedoch drei Barrieren, die formales Lernen bei In- dustriebeschäftigten erschweren – insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), auf die ein Großteil der Wirt- schaftsleistung des produzierenden und verarbeitenden Gewer- bes entfällt (Europäische Kommission, 2017). 1. KMU können im Vergleich zu größeren Unternehmen we- niger Ressourcen (z. B. Zeit, Geld, Manpower) in die Per- sonalentwicklung investieren; außerdem mangelt es an Fortbildungsangeboten, die die speziellen Bedarfe von KMU berücksichtigen (Moll/Weidner, 2018). 2. Einige der an- und ungelernten Arbeitskräfte stehen auf- grund negativer Vorerfahrungen (u. a. basierend auf Erinnerungen an die eigene Schulzeit) den formalen, un- terrichtsähnlichen Weiterbildungsformaten skeptisch oder ablehnend gegenüber. So nehmen Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen deutlich seltener an Weiterbildungs- programmen teil (Schönfeld/Behringer, 2017). 3. Eine immer geringer werdende „Halbwertszeit desWissens“ sowie unerwartet auftretende Herausforderungen erfordern situatives Lernen und individuelle Problemlösungen. Die- ser Anpassungsdruck zeigt sich insbesondere bei KMU, in denen es erforderlich ist, dass die Beschäftigten sehr schnell lernen und das Gelernte direkt im Arbeitsprozess anwenden (Jeong/McLean/Park, 2018). Formale Lernange- Informelles Lernen am Arbeitsplatz – eine Frage der Demografie und der Branche? Von Dr. Julian Decius und Prof. Dr. Niclas Schaper (Universität Paderborn) bote sind beim Bewältigen solcher dynamischer Lernanfor- derungen meist wenig adäquat. Informelles Lernen als mögliche Antwort auf die Weiterbil- dungsbarrieren Von diesen Barrieren nur wenig betroffen ist das informelle Lernen am Arbeitsplatz, welches sich durch einen geringen Grad an Planung und Organisation bezüglich des Lernkon- textes, der Lernunterstützung, der Lernzeit und der Lernziele auszeichnet (Kyndt/Baert, 2013). Diese Lernform benötigt we- niger Voraussetzungen und ist somit erheblich flexibler als formale Lernformate. Informelles Lernen am Arbeitsplatz gilt als die vorherrschende Form des beruflichen Lernens, insbe- sondere in kleineren und mittleren Betrieben (Bishop, 2020; Kortsch/Schulte/Kauffeld, 2019). Eine Studie von Rowold und Kauffeld (2009) konnte zeigen, dass informelles Lernen den Er- werb von Fach-, Methoden- sowie Sozialkompetenz vorhersagt. Auch in der Metaanalyse von Cerasoli et al. (2018) ergab sich ein robuster positiver Zusammenhang zwischen informellem Lernen und Wissens-/Fähigkeitserwerb. Oftmals wird informelles Lernen durch neue oder heraus- fordernde Arbeitsanforderungen, durch Fehler bei der Arbeit oder Feedback von anderen Personen ausgelöst (Schaper/ Sonntag, 2007). Typische Verhaltensweisen des informellen Lernens umfassen das Ausprobieren und Anwenden von Pro- blemlösungsstrategien, den Austausch mit anderen Personen und die Reflexion der eigenen Arbeitsleistung (Tannenbaum/ Beard/McNall/Salas, 2010). Durch den hohen Grad an Selbst- steuerung ist informelles Lernen zeitlich flexibel, bedarfsori- entiert und aus organisationaler Sicht kostengünstig. Zudem wird es von den Beschäftigten im Gegensatz zum formalen Lernen nicht als „verschult“ erlebt. Informelles Lernen ist ein facettenreiches Konstrukt und kann als eine Kombination ver- schiedener Motivations- und Verhaltensbestandteile angese- hen werden. Diese Bestandteile werden im Oktagon-Modell des informellen Lernens am Arbeitsplatz dargestellt (Decius/ Schaper/Seifert, 2019). Das Oktagon-Modell zeichnet sich da- durch aus, dass es zu den wenigen Ansätzen zählt, die infor- melles Lernen als multidimensionales Konstrukt beschreiben. Somit umfasst das Modell nicht nur Verhaltenskomponenten,

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