Personal Quarterly 2/2021
20 PERSONALquarterly 02 / 21 SCHWERPUNKT _NEUES LERNEN Literaturrecherche. Zusätzlich sind Sie im Schritt der Analyse dazu aufgefordert, Literatur heranzuziehen, die Sie dabei un- terstützt, das Problem genauer zu verstehen. Hierbei können Sie eine direkte Literatursuche nach dem Problem durchfüh- ren. Gleichzeitig sollten Sie ein höheres Abstraktionslevel vor- nehmen und ebenfalls nach Konzepten und Theorien suchen, die „hinter dem Problem“ stecken könnten. Motivation und Selbstregulation könnten bspw. als Schlüs- selfaktoren für eine neue Lernlösung dienen. Zusätzlich ist der Einbezug von Theorien zum Umgang mit Bedrohungen, Ambivalenzen und Diskrepanzen relevant. THEORIE/TEST Im dritten Schritt werden wissenschaftliche Theorien zumVer- ständnis des Problems und zur Gestaltung möglicher Lösungen herangezogen. Nun gilt es von der Analyse zum theoriegelei- teten und möglichst vollständigen Prozessmodell zu kommen, welches im Test überprüft wird. Ziel ist es, ein Rahmenmodell für die Wirkungsprozesse erstellen zu können. Zu testende Hypothesen (H) werden mit bereits bestehenden empirischen Ergebnissen abgeglichen. Sollte eine Hypothese nicht bestätigt werden können, sollte sie mit Vorsicht angenommen werden. Wird eine Hypothese in der Forschung widerlegt, so muss sie adaptiert werden. Dies zeigt sich an folgendem Beispiel: Motivation und Demotivation. Personen sind motiviert, positive Endzustände zu erreichen (Annäherungsziele) oder sich von negativen Endzuständen zu entfernen (Vermeidungsziele). Sie sind daher dann besonders motiviert, wenn sie eine Tätigkeit als lohnend wahrnehmen, weil sie hierdurch bestimmte Dinge erreichen können (extrinsische Motivation) oder persönliche Bedürfnisse, Werte oder angenehme Zustände durch die Tätig- keit erzielen (intrinsische Motivation). Die Self-Determination- Theorie (SDT) besagt in Bezug auf motivationale Zustände, dass drei grundlegende Bedürfnisse – Autonomie, Zugehö- rigkeit, Kompetenz – intrinsische Motivatoren sind, die das menschliche Handeln maßgeblich leiten. Nimmt eine Person eines oder mehrere Bedürfnisse als bedroht wahr, könnte dies bspw. zu Abwendung von der vorliegenden Situation hin zu attraktiveren Situationen führen oder zu Demotivation, wenn die Situation nicht selbstbestimmt beeinflusst werden kann. Hypothese testen: (H)Werden bei der Gestaltung von Situationen, die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Autonomie und Kompe- tenz berücksichtigt, erhöht dies die Motivation (vgl. Amorose/ Anderson-Butcher, 2007 für einen empirischen Beleg). Sicherheit vs. Wachstum. Die Theorie des regulatorischen Fokus von Higgins (1998) unterscheidet zwischen zwei motivatio- nalen Grundorientierungen, die beeinflussen, wie Menschen ihre Ziele verfolgen: wachstumsorientierter Promotion-Fokus und sicherheitsorientierter Prevention-Fokus. Abhängig vom Fokus einer Person kann es gravierende Unterschiede dabei geben, auf welche Informationen vornehmlich die Aufmerk- samkeit gelegt wird, welche Strategien bei der Zielverfolgung angewendet und welche Erlebnisse als Erfolg bzw. Misserfolg interpretiert werden. Hypothese testen: (H) Eine Passung zwischen der Formulierung von Arbeitsaufträgen und dem persönlichen regulatorischen Fokus steigert besonders für „Preventer“ die Motivation. (vgl. Higgins/Spiegel, 2004, für einen empirischen Beleg). Stress und Bedrohung. Das Anxiety-to-Approach-Modell (Jonas et al., 2014) verdeutlicht, dass Personen einen motivational- affektiven und -kognitiven Prozess durchlaufen, wenn sie sich fundamental bedroht fühlen, weil sie den Verlust von Kontrolle erleben oder mit Unsicherheiten in Bezug auf ihr Selbst und ihre Zugehörigkeit konfrontiert sind. Wenn sich Menschen bedroht fühlen, reagieren sie häufig durch erhöhtes starres oder ausweichendes Verhalten (Verteidigung ihrer allgemei- nen Weltsichten und ihres Selbsts), obwohl es meist zielfüh- render wäre, auf die gegebene Situation lösungsorientiert zu reagieren. Hypothese testen: (H) Wenn Personen emotional gestärkt wer- den und Unterstützung dabei erhalten, die mit Bedrohungen verbundenen negativen Emotionen zu regulieren und die be- drohlichen Informationen mit ihrem Selbst in Verbindung zu setzen, dann zeigen sie adaptiveres und lösungsorientiertes Verhalten (vgl. Stollberg/Debus, 2020, und Reiss/Prentice/ Schulte-Cloos/Jonas, 2019, für empirische Belege). Prozess-Modell: Menschliches Handeln kann als Selbstregula- tionsprozess verstanden werden, bei dem in Abhängigkeit von der gegebenen Situation das Verhalten und Erleben mit allen Wahrnehmungen, Gedanken, Emotionen, Fertigkeiten und Ak- tivitäten zur Erreichung eigener Ziele so koordiniert wird, dass letztlich das eigene Wohlbefinden gefördert und Verletzungen der eigenen Person reduziert werden können. Menschliches Handeln ist somit der letzte Akt, nachdem Motivation, Emoti- onen und Kognitionen in koordinierter und zielgerichteter Art und Weise zusammengewirkt haben, um entweder bestimmte Endzustände zu erreichen (Annäherungsziele) oder sich von diesen zu distanzieren (Vermeidungsziele). In diesem Prozess wirken zu bestimmten Anteilen immer Faktoren zusammen, die in der Person begründet liegen (z. B. Promotion oder Pre- vention, Bedürfniserfüllung) oder aus der Situation entstehen (z. B. Bedrohungen durch die Pandemiesituation). Fazit: Hilfestellungen für Mitarbeitende sollten Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Kompetenz, Autonomie aufgreifen, Wachs- tum sowie Sicherheit im Umgang mit Risiken ermöglichen und die Verstärkung von Bedrohungen vermeiden. HILFE Im vierten Schritt wird die Lösung ausgewählt, die auf Basis des Wirkungsmodells und der bereits vorhandenen Forschung zum Thema am hilfreichsten und effektivsten erscheint. Letztlich folgt die Erstellung einer Intervention (=Hilfe). Das
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