Personal Quarterly 2/2021
12 PERSONALquarterly 02 / 21 SCHWERPUNKT _NEUES LERNEN Basierend auf diesem Modell konnte bereits gezeigt werden, dass fünf der beschriebenen kulturellen Werte (Machtdistanz, Kollektivismus/Individualismus, Weiblichkeit/Männlichkeit, Unsicherheitsvermeidung und Langfrist-/Kurzfrist-Orientie- rung) Einfluss auf die Anwendung informeller Lernstrategien haben. So beeinflusst bspw. die Machtdistanz in einer Kultur vor allem die soziale Form des informellen Austauschs, da ein selbstbestimmer Austausch aufgrund der höheren Distanz zwi- schen den Menschen eher unerwünscht ist. In kollektivistisch geprägten Kulturen arbeitet die Gesellschaft als Einheit zu- sammen, was den Schluss nahelegt, dass intrapersonaler Aus- tausch und gemeinsame Problemlösung häufiger stattfinden als in Kulturen mit individualistischer Prägung. In männlich geprägten Kulturen ist die Bereitschaft, bei der Arbeit Heraus- forderungen anzunehmen, stärker ausgeprägt als in weiblich geprägten Ländern. Dies führt zu einem intrinsischen An- spruch der Selbstverbesserung und kann in diesem Fall auch zu einer häufigen Anwendung von informellem Lernen führen, was sich auf das Selbstkonzept auswirkt und die Arbeitsleis tung und den Erfolg beeinflusst. Bzgl. einer Langzeit- oder Kurzzeitorientierung variieren auch in dieser Dimension die Lernmotivation und die Lernzwecke. In langfristig orientierten Kulturen lernen die Menschen wahrscheinlich für zukünftige Positionen, Arbeitsplätze und unerwartete Veränderungen. Das andere Extrem, die Kurzzeitorientierung, kann dazu füh- ren, dass informelles Lernen seltener ausgeübt wird, da der Fo- kus auf kurzfristigen Herausforderungen liegt (Kim/McLean, 2014). Als eine der genannten sechs Dimensionen beschreibt die Unsicherheitsvermeidung den Umgang mit Stress, der auf- kommt, wenn Unsicherheit über ein bestimmtes Thema und/ oder die Zukunft entsteht (Hofstede et al., 2010). Dies ist vor allem heute von besonderer Relevanz, da mit Schnelllebigkeit und neuen Technologien Unsicherheit einhergeht. In diesem Zusammenhang ist es daher möglich, dass Lernende eines formellen Trainings eine Unsicherheit (bspw. durch fehlende oder unzureichende Informationen) zu einem der behandelten Themen verringern möchten oder eben nicht. Der Schluss liegt nahe, dass Menschen aus Kulturen mit einer hohen Unsicher- heitsvermeidung tendenziell schneller in ein agiles Lernkonti- nuum übergehen als Personen aus Kulturkreisen, die gut mit Unsicherheiten umgehen können (Cerasoli et al., 2018). Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob eine Zufrie- denheit mit einem formellen Training sowie die Unsicherheits- vermeidung als kulturelle Variable mögliche Einflüsse auf das Entstehen eines agilen Lernkontinuums – das Folgen von infor- mellem Lernen auf formelles Lernen – haben können. Beschreibung der Empirie Für die Studie wurden 1.459 Probanden eines Automobilkon- zerns in sechs Ländern zur Online-Befragung eingeladen. Der Fragebogen wurde hierbei über die Trainingsmanager unter- schiedlicher Länder in die Verteilung gegeben und richtete sich an technisches Verkaufs- und Werkstattpersonal. Alle Teil- nehmenden hatten zuvor ein technisches Training besucht, welches sich mit einem neuen Hybridfahrzeug beschäftigte. Die Schulungen an unterschiedlichen Standorten dauerten ein bis vier Tage. Im Anschluss wurde die erste Umfrage zeit- nah nach dem Training durchgeführt. Fünf bis sieben Wochen nachdem die Trainings durchgeführt wurden, folgte die zweite Befragung. In Summe haben 444 Personen die Befragung zu den zwei angesetzten Befragungszeitpunkten durchgeführt; hiervon waren 98 % männlich, was der betrachteten Industrie- sparte entsprach, und zwischen 25-34 Jahre alt. Bei der Konstruktion der Fragebögen wurde auf etablierte, validierte Instrumente zurückgegriffen: Die unabhängige Va- riable „Zufriedenheit nach einem Training“ wurde mithilfe des Fragebogens zur Trainingsevaluation (Q4TE) erfasst (Groh- mann/Kauffeld, 2013). Die Reliabilität war mit einem Chron- bachs Alpha Wert von 0.71 als gut einzuschätzen. Die abhängige Variable und die drei darunterliegenden For- men des informellen Lernens wurden mithilfe des Fragebogens von Holman et al. (2001) erhoben. Die Reliabilität der Skalen bewegte sich hierbei in einem guten Spektrum von 0,71 (für die Skala „Anwendung des Gelernten“) und 0.88 (für die Skala „Lernen von und mit anderen“). Da die Studie Probanden aus unterschiedlichen Ländern ein- schloss (China, Vereinigtes Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika, Australien, Schweiz und Spanien), wurden die Fragebögen entsprechend (wenn nicht vorhanden) übersetzt. Außerdem wurden diverse demografische Angaben der Pro- banden abgefragt (z. B. Alter und Geschlecht) und der dazu- gehörige Wert der Unsicherheitsvermeidung (Hofstede et al., 2010) nachträglich den jeweiligen Probandengruppen zugeord- net, um Unterschiede durch kulturelle Gegebenheiten mitein- beziehen zu können. Ergebnisse der Studie: Zufriedenheit wird für das informelle Lernen unterschätzt, aber die Kultur auch! Ein Strukturgleichungsmodell inklusive Mediationsanalyse wurde auf latenter Ebene berechnet, um den Effekt der Re- flexion der Lernenden auf die zeitlich versetzte Nutzung in- formeller Lernstrategien hin zu untersuchen, wobei sich die Modellpassung als sehr gut herausstellte (CFI = .94 1 ; RMSEA 2 = .08; SRMR 3 = .05). Als Ergebnis zeigte sich, dass die unabhängige Variable der empfundenen Zufriedenheit direkt nach dem Training wie er- wartet signifikant positiv wirkt: Sie erhöht das Aufkommen der informellen Lernformen bei den Teilnehmern nach fünf bis sieben Wochen. Der Zusammenhang zwischen der Zufrieden- heit mit den formalen Trainings und dem informellen Lernen durch andere Quellen war hierbei am höchsten ( β = .60), gefolgt vom Einfluss auf die praktische Anwendung ( β = .49), und
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