Personal Quarterly 4/2021
8 SCHWERPUNKT _INTERVIEW PERSONALquarterly 04 / 21 müssen lernen, mit Unsicherheit umzugehen und akzeptieren, dass sie bestimmte Dinge nicht kontrollieren können. PERSONALquarterly: Worin bestehen die Unterschiede zwischen informeller Führung im Rahmen von Shared Leadership und „klassischer“ formeller Führung? Heike Bruch: Shared Leadership, also geteilte Führung, heißt, dass es nicht einen Leader im Team gibt, sondern dass die Führungsaufgabe im Team geteilt wird und sich oft ändert. Im Gegensatz zur „klassischen“ Führung haben die Teammit- glieder auch keine formale Autorität. Vielmehr ist die (Füh- rungs-)Autorität bei geteilter Führung fluide. Sie hängt von der jeweiligen Kompetenz ab, aber auch davon, wie man von anderen Teammitgliedern gesehen wird. Führungsautorität unter geteilter Führung ist ein relationales Konstrukt und weniger etwas, das einseitig ausgeübt wird. Es hat Vorteile, dass sich Führung bei geteilter Führung aus der Expertise und Kompetenz für die jeweilige Aufgabe ergibt – insbesondere für natürliche Führungskräfte, die ihre Stärke in diesem Kontext voll ausspielen können. Allerdings herrscht in vielen Organisationen weiterhin ein relativ starkes hierarchisches Denken vor. Personen mit for- meller Weisungsbefugnis und entsprechender hierarchischer Macht werden dann einfach anders wahrgenommen und haben aufgrund ihrer Position mehr Autorität und Einfluss. Nicht in allen, aber in vielen klassisch geführten Unternehmen besteht insbesondere in schwierigen Situationen eine erhöhte Sehn- sucht nach formeller Führung. Shared Leadership ist damit auch Bestandteil einer reiferen Kultur und muss in klassisch hierarchisch sozialisierten Unternehmen mitunter über eine längere Zeit erst entwickelt bzw. erworben werden. PERSONALquarterly: Wenn wir von der einzelnen Führungskraft abstrahieren und auf das „große Ganze“ schauen: Wie können Organisationen Shared Leadership fördern? Heike Bruch: Bei den strukturellen Rahmenbedingungen, das heißt demManagementsystem, lassen sich drei Faktoren anfüh- ren, die Shared Leadership begünstigen: Erstens wäre da der Umgang mit Visionen zu nennen und wie fokussiert die Stra- tegie des Unternehmens ist. Je stärker sich die Mitarbeitenden mit der Vision und Strategie identifizieren, desto stärker werden sie sich auch eigeninitiativ einbringen und Shared Leadership zeigen. Zweitens spielt die Organisationsstruktur eine sehr große Rolle. Dezentrale Strukturen, klare Spielregeln und netz- werkartige Formen der Zusammenarbeit, bei denen Eigenini tiative und bereichsübergreifende Abstimmung die Norm sind, fördern Selbstorganisation und Shared Leadership. Der dritte Faktor betrifft die Kultur und hierbei vor allem eine Vertrauens- kultur im Gegensatz zu einer eher angstgetriebenen Kultur. Zur Kultur gehört auch ein Leadership-Klima, das transformationale, empowernde und unterstützende Führungsstile beinhaltet. PERSONALquarterly: Wenn Unternehmen daran scheitern, diese strukturellen Rahmenbedingungen organisationsweit zu schaf- fen oder vielleicht in einem Bereich noch nicht so weit sind: Können dann „Insellösungen“ funktionieren? Heike Bruch: Es gibt extra Konzepte, die gezielt auf solche In- seln setzen, wenn das Gesamtunternehmen eher schwerfällig oder hierarchisch ist und damit auch Shared Leadership entge- gensteht. Dies ist auch Teil der eingangs erwähnten Beidhän- digkeit und zwar bei der sog. strukturellen Beidhändigkeit. Hierbei werden gezielt Organisationseinheiten mit Rahmen- bedingungen für Exploration und Innovation geschaffen, die vom Normalbetrieb abgekoppelt werden (durch Projekträume, Inkubatoren etc.). Von diesen verspricht man sich nicht nur be- sondere Innovations-Outputs, sondern auch Spill-over-Effekte für die gesamte Organisation. Das Ziel sollte sein, diese Beid- händigkeit in der Kultur des Unternehmens bzw. im kollek- tiven Mindset zu verankern. Fragen, die man bei einer solchen Kulturtransformation beantworten muss, sind: Wann liegt ei- ne Explorationsaufgabe, wann eine Umsetzungsaufgabe vor? Wie kann ich auch in umsetzungsorientierten, hochstandar- disierten Bereichen Exploration und Innovation fördern, um bspw. Prozesse effizienter zu gestalten? Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte und Teams für eine beidhändige Arbeitsweise? „New Leadership heißt nicht weniger Führungsbedarf, sondern Leadership wird bestärkt. Es gibt ein leider weitverbreitetes Missverständnis, dass New Leadership mit „keine Führung“ gleichzusetzen ist.“ Prof. Dr. Heike Bruch
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