Personal Quarterly 4/2021

58 SERVICE _EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND PERSONALquarterly 04 / 21 B ei der Verwendung von Statistiken werden bedingte Wahrscheinlichkeiten und die Repräsentativität von Stichproben sehr häufig falsch interpretiert. Ein Bei- spiel hierfür ist ein Artikel in der Frankfurter All- gemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 16. Mai dieses Jahres. Dort wird unter der Überschrift „Die Liebe der Grünen zum SUV“ berichtet, dass Sympathisantinnen und Sympathisanten der Partei Bündnis 90/Die Grünen häufiger als die Anhänger anderer Parteien einen SUV fuhren. Grundlage des Berichts sind Ergebnisse einer Befragung des Beratungsunternehmens Puls Marktforschung in Schwaig bei Nürnberg. Erfasst wur- den 1.042 Personen, die in den nächsten sechs Monaten die Anschaffung eines Autos planten oder in den vergangenen zwölf Monaten ein Auto gekauft hatten. In dieser Gruppe fuh- ren Anhängerinnen und Anhänger der Partei Bündnis 90/Die Grünen am häufigsten einen SUV (16,3 Prozent), gefolgt von Wählerinnen und Wählern der SPD (16,0 Prozent), der AfD (15,9 Prozent), der CDU/CSU (15,6 Prozent), der FDP (13,4 Pro- zent) und der Linken (7,7 Prozent). Die FAS folgert aus diesen Ergebnissen: „Jeder sechste Grünen-Sympathisant hat laut der Puls-Studie einen Geländewagen vor der Tür stehen.“ Bedingte Wahrscheinlichkeit statistisch relevant Mit dieser Aussage wird eine bedingte Wahrscheinlichkeit falsch interpretiert. Denn die Puls-Ergebnisse zeigen lediglich, dass unter denjenigen, die sich in den vergangenen zwölf Mo- naten einen SUV gekauft haben, 16,3 Prozent Sympathisanten von Bündnis 90/Die Grünen sind. Das bedeutet aber nicht, dass jeder sechste Grünen-Wähler einen SUV fährt. Denn aus einer hohen Wahrscheinlichkeit von A (Grünen-Wähler), gege- ben B (SUV-Fahrer), kann man nicht ohne Weiteres auf eine hohe Wahrscheinlichkeit von B (SUV-Fahrer), gegeben A (Grü- nen-Wähler), schließen. Eine derartige Verwechslung von bedingten und bedin- genden Ereignissen kommt immer wieder vor. So wird aus der Tatsache, dass nahezu 60 Prozent aller registrierten Sportun- fälle bei Männern auf Fußballspieler entfallen, gerne fälsch- licherweise gefolgert, dass Fußball die gefährlichste Sportart sei. Dabei ist der recht hohe Anteil von Fußballspielern an re- gistrierten Sportunfällen überwiegend damit zu erklären, dass viele Männer Fußball spielen. Wollte man herausfinden, wie hoch das Verletzungsrisiko für Kicker ist, müsste man die Zahl der registrierten Sportunfälle bei Fußballern ins Verhältnis zu allen fußballspielenden Männern setzen. Ein weiterer regelmäßig vorkommender Fehler betrifft Aussagen zur Repräsentativität von Stichproben. Im Fall der SUV-fahrenden Grünen-Wählerinnen und -Wähler umfasst die verwendete Stichprobe Personen, „die in den nächsten sechs Monaten die Anschaffung eines Autos planen oder in den vergangenen zwölf Monaten ein Auto gekauft haben“. Wie so häufig ist ebenso interessant, wer nicht an der Befragung teil- genommen hat. Hier sind es die Personen, die sich nicht gerade ein Auto gekauft haben oder eine entsprechende Anschaffung planen. So kann die obige Angabe des Anteils der Grünen-Wäh- ler unter den SUV-Fahrern nur sinnvoll interpretiert werden, wenn man beispielsweise gleichzeitig die Parteienpräferenzen derjenigen kennt, die grundsätzlich auf die Nutzung eines Au- tos verzichten. Nichtbefragte können über Tendenz entscheiden Ein ähnliches Problem ergibt sich bei der Interpretation der durchschnittlichen Lohnunterschiede von Männern und Frau- en als Diskriminierungsmerkmal. Löhne können nur von Per- sonen erhoben werden, die eine Beschäftigung haben. Erfolgt die Diskriminierung jedoch bei der Entscheidung, ob eine Frau eine Stelle erhält oder eben nicht, kann eine erhebliche Diskriminierung selbst dann vorliegen, wenn keine Unter- schiede in den durchschnittlichen Löhnen beider Gruppen zu beobachten sind. Am 30. Mai konterte der Spiegel obige Meldung der FAS mit dem Titel „Die Mär von den grünen SUV-Fahrern“. In einer Befragung von 5.004 Personen des auf digitale Meinungsfor- schung spezialisierte Instituts Civey in Berlin antworteten 24 Prozent der Sympathisanten der Bündnis 90/Die Grünen auf die Frage „Können Sie sich grundsätzlich vorstellen, einen SUV zu kaufen?“ mit „Ja“. Sie lagen damit knapp vor Anhängern der Linken (19 Prozent) und hinter Anhängern der SPD (29 Prozent), der CDU/CSU (48 Prozent), der FDP (52 Prozent) und der AfD (54 Prozent). Auf die für den Bundestagswahlkampf offensichtlich so elementare Frage, wie viele Grünen-Sympa- thisanten tatsächlich einen SUV vor der Garage stehen haben, gibt allerdings auch diese Studie letztendlich keine Antwort. Denn es wurde lediglich nach dem Kaufinteresse gefragt und nicht danach, ob man bereits einen SUV fährt. Fehlinterpretationen bei Auto, Motor, Sport Prof. Dr. Thomas K. Bauer ist Vizepräsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, lehrt empirische Wirtschaftsforschung an der Ruhr-Universität Bochum und gehört zum Autorent-Team der „Unstatistik des Monats“ (www.unstatistik.de).

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==