Personal Quarterly 4/2021

55 04 / 21 PERSONALquarterly Deutschland mit diesen Werten um rund vier Prozentpunkte zurück. „Die Erfolgreichen“, so Isabell Welpe, „konnten schon als Kinder und Jugendliche Selbstvertrauen und Widerstands- fähigkeit aufbauen, weil die Eltern ihnen Vertrauen und Frei- heit gaben.“ Geschlechtsspezifische Zuschreibungen habe es in den Elternhäusern kaum gegeben. Das war und ist in Unternehmen anders. Von stereotypen Rollenzuschreibungen und schlechten Scherzen haben alle Managerinnen berichtet. „Aber die Frauen, die wir interview­ ten, haben sich den geschlechtsspezifischen Klischees nicht unterworfen“, sagt Isabell Welpe. „Sie ignorierten Diskrimi- nierung und suchten die Freiheit, Entscheidungen zu treffen.“ Nachweislich gibt es für Frauen mehr kritisches Feedback als für Männer. Und doch haben die Aufsteigerinnen sich nicht unterkriegen lassen, Niederlagen reflektiert und sich durchgesetzt. Denn ohne Muster zu brechen, führt der Kar- riereweg nicht nach oben. Gemeinsam, so ein TUM-Ergebnis, ist allen Topmanagern ein großer Arbeitsaufwand. Allerdings wirkt sich das bei Frauen anders auf die Familienplanung aus: 59 Prozent der Managerinnen sind kinderlos, aber nur 21 Prozent ihrer männlichen Kollegen haben keine Kinder. Nachwuchsfrauen raten die befragten Spitzenmanagerinnen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen – in Netzwerken und bei der Aufgabenübernahme – und sich nicht durch Überanpassung unsichtbar zu machen. „Die Frauen sollten ihrer Persönlich- keit und ihren Werten treu bleiben“, so ein Fazit der Spitzen- managerinnen in der TUM-Befragung. Vom Betriebsratsmitglied zum Arbeitsdirektor: ein Risiko Die Karrieren einer ganz anderen Gruppe hat sich Professor Erhard Tietel angeschaut – eine, deren Berufswege Umbrüche aufweist: Betriebsratsmitglieder. Der Hochschullehrer am Zen- trum für Arbeit und Politik der Universität Bremen führte bio­ grafische Interviews. Zum einen sprach der Wissenschaftler mit ehemaligen Betriebsratsmitgliedern, die mehrere Amts- zeiten und oft freigestellt eine exponierte Stellung in ihrem Gremium innehatten und dann ausschieden, an ihren oder einen vergleichbaren Arbeitsplatz zurückkehrten oder in den Ruhestand gingen. Zum anderen befragte der Betriebswirt und Psychologe Führungskräfte und Arbeitsdirektoren, die aus der Arbeitnehmervertretung ins Management gewechselt waren. Der Aufstieg ins leitende Management birgt Risiken. Zum einen, so erfuhr es Erhard Tietel in seinen hermeneutisch- psychoanalytischen Interviews, erwarten Vorstände, „dass das neue Mitglied einer von uns wird“. Die Neulinge müssen „kapieren, dass sie jetzt Vorstand sind“. Zum anderen wird so manche ihrer Personal- und Organisationsentscheidungen Frust beim Betriebsrat erzeugen. Aber auch ohne große Karriereschritte ist ein Wechsel zwi- schen Arbeitnehmervertretung und betrieblichem Arbeits- platz nicht immer einfach zu bewältigen. „Waren früher vor allem gewerblich Beschäftigte mit starker Gewerkschaftsbin- dung führend, sehen Betriebsratsmitglieder heute ihre Arbeit als Lebensabschnittsaufgabe“, beschreibt Tietel die Folgen des Generationswechsels. Die Akademisierung der Berufe und Räte trägt dazu bei. „Die Gremien sind nicht mehr so naturwüchsig, sondern arbeitsteiliger aufgestellt, ihre Inhalte, die Organisation und die Sozialbeziehungen untereinander sind komplexer.“ Dennoch geht keiner, der abgewählt wird oder sich selbst ein anderes Lebensprojekt sucht, an seinen Arbeitsplatz zurück, ohne sich verändert zu haben. „Die Per- sönlichkeit verändert sich“, so der Forscher. „Man lernt, auf das ganze Unternehmen zu schauen und sich auf dem Parkett anders zu bewegen, der Habitus wird ein anderer.“ Es helfe, wenn die Kollegen Kontakte gehalten hätten zu ihren Abtei- lungen, ein bisschen einer von ihnen geblieben ist. „Denn als Betriebsratsmitglied kommt man von oben, da ist die Rück- kehr schwierig.“ V. l. n. r.: Dr. Aleksandra Endemann, Lehrbeauftragte (Universität Hamburg), Prof. Dr. Isabell M. Welpe (Technische Universität München), Prof. Dr. Erhard Tietel (Universität Bremen) Foto: Faces by Frank/TUM

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