Personal Quarterly 4/2021
52 ESSENTIALS _REZENSIONEN PERSONALquarterly 04 / 21 W ährend die durchschnittliche wöchentliche Ar- beitszeit in Deutschland seit den 1990ern kon- stant ist bzw. teilweise leicht sinkt, können in einigen Bereichen wie der Strategieberatung stark steigende Arbeitszeiten beobachtet werden. Dies ist der Fall trotz negativer Effekte für Gesellschaft, Unternehmen und Individuen. Die Autoren definieren extreme Arbeitszeiten als 60-120 Stunden in der Woche und analysieren Primär- (88 Tiefeninterviews) und Sekundärdaten (z. B. Presseberichte, Geschäftsberichte oder Industriereports) einer anonymisierten Strategieberatung über den Zeitraum von 40 Jahren. Obwohl das Unternehmen einige organisationale Initiativen auf den Weg gebracht hat, um die Arbeitszeiten zu senken, kann die steigende Anzahl an Arbeitsstunden als empirisches Rätsel bezeichnet werden. Nach Auswertung der Daten identifizie- ren die Autoren eine zeitliche Entkopplung der Arbeitszeiten von Gesellschaftsnormen in Kombination mit positiver Ver- stärkung als Haupttreiber dieser Entwicklung. Während in den 1980ern die Rolle von Beratern als ergebnisorientiert und analytisch beschrieben wird, entwickelte sich Ende der 1980er eine Präsenzkultur, die zu der langsamen Entkopplung mit gesellschaftlich etablierten Arbeitszeiten führte. Dieser Pro- zess entwickelte sich nicht intentional. Das erhöhte Angebot an Präsenzprojekten führte zu einer höheren Nachfrage nach diesen Projekten, wodurch das Angebot weiter erhöht wurde. Während in den 1980ern vorwiegend laterale Einstellungen von Beratern mit Industrieerfahrung vorgenommen wurden, bedeutete die Einstellung von homogenen Beratern (meist jung, unverheiratet und männlich) eine weitere positive Ver- stärkung. Projektkalkulationen wurden vermehrt bereits auf Basis von steigender Arbeitszeit kalkuliert und potenzielle Abweichler durch sozialen Druck sanktioniert. Diese Feed- backprozesse führten zu einer Spirale der Entkopplung von Arbeitszeit und gesellschaftlicher Norm. Die Autoren schlagen eine Reihe von Maßnahmen vor, um die Feedbackprozesse zu unterbrechen, z. B. die Umstellung des Geschäftsmodells in- klusive neuer organisationaler Prozesse, neuer Umsatzbringer und dem Ändern des Wertversprechens. Besprochen von Johannes Brunzel Z u Beginn der Coronakrise standen viele Mitarbeiter vor neuen Herausforderungen: Die Unternehmen passten kurzfristig Arbeitsabläufe und Kommunikati- onswege an und führten mobiles Arbeiten ein. Neben der Arbeit gab es weitere Belastungen, allem voran gesund- heitliche Ängste oder tatsächliche Covid-19-Erkrankungen, begrenzter Ausgleich im Privaten und zusätzlich mehr Care- Work. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet lässt sich erkennen, dass Unternehmen ganz unterschiedliche Maßnah- men getroffen haben, um die Krise zu bewältigen, Unterstüt- zungsleistungen für ihre Mitarbeiter anzubieten und damit das arbeitsplatzbezogene Wohlbefinden und die emotionale Bindung an den Arbeitsplatz zu sichern. Die hier vorgestell- te Studie untersucht, welche Maßnahmen ergriffen wurden und welche besonders wirksam waren. Die Datenerhebung lief über die Plattform Prolific, die kurzfristige wissenschaftliche Online-Befragungen ermöglicht. Es wurden in Großbritannien von Ende Mai bis Anfang Juni 2020 in zwei Durchgängen 295 Angestellte im Alter von 22 bis 65 befragt. In dieser Zeit galt in UK ein Lockdown und alle Studienteilnehmer arbeiteten im Homeoffice. Die Ergebnisse zeigen, dass Mitarbeiter in Kri- sensituationen ein geringeres arbeitsbezogenes Wohlbefinden zeigen, Unternehmen aber die Möglichkeit haben, dem ent- gegenzuwirken. Dabei können auf verschiedenen Ebenen der Organisation Unterstützungsleistungen erbracht werden. Auf organisatorischer Ebene kann die Unterstützung bspw. darin bestehen, zeitgemäße Kommunikationstechnologien bereitzu- stellen und Flexibilität in der Arbeitszeit anzubieten. Auch sollte die wirtschaftliche Situation des Unternehmens jederzeit möglichst klar kommuniziert werden, um Unsicherheiten zu vermeiden. Auf der Ebene der Vorgesetzten können Maßnah- men, wie eine gesteigerte Interaktion mit den Mitarbeitern und eine einfache Erreichbarkeit der Führungskraft, Unsicher- heiten in Bezug auf die Erwartungen auflösen. Die Autoren kommen jedoch zu dem Schluss, dass Unternehmen möglichst individuelle Unterstützungsmaßnahmen für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter finden sollten. Besprochen von Peter Göhre , Lehrstuhl International Business, Universität Paderborn Warum es extreme Arbeitszeiten gibt Blagoev, B. (Leuphana University of Lüneburg) & Schreyögg, G. (Freie Universität Berlin, University of Graz): Why do extreme work hours persist? Temporal uncoupling as a new way of see- ing. Academy of Management Journal, 62(6), 2019, 1818-1847. https://doi.org/10.5465/amj.2017.1481 So kann man in Krisen Mitarbeiter unterstützen Mihalache, M. (Amsterdam Business School) & Mihalache, O. R. (Vrije Universiteit Amsterdam): How workplace support for the COVID-19 pandemic and personality traits affect changes in employees‘ affective commitment to the organization and job- related well-being, Human Resource Management 2021, 1-20.
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