Personal Quarterly 4/2021

51 04 / 21 PERSONALquarterly Frithjof führte intensive Gespräche und erhielt Unterstüt- zung für sein Werben um neue „Center of New Work“. Um 1998/99 war Frithjof Bergmann in Lauchhammer im Süden von Brandenburg bei der Wirtschaftsentwicklungs- und Qualifizierungsgesellschaft GmbH tätig. Diese Arbeits- und Qualifizierungsgesellschaft erhielt die Förderung einer Ar- beitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) für 15 Personen, die sich nach den Vorstellungen von Frithjof Bergmann ausgehend von ihren Wünschen eine berufliche Zukunft entwickeln sollten. Das Vorhaben wurde von dem damaligen Abteilungsleiter des Arbeitsministeriums Brandenburg, Dr. Rolf Schmachtenberg, ideell sehr unterstützt und begleitet. Für das Projekt wurde ein architektonisch gelungenes Holzhaus gebaut, das „Haus der Möglichkeiten“, wo Veran- staltungen und Seminare der ABM stattfanden. Es entstand auch eine Töpferei, die mehrere Jahre betrieben wurde. Frithjof Bergmann entwickelte mit den Teilnehmern das Konzept, die aufgelassene Friedensgedächtnis-Kirche in Lauchhammer als „Zentrum für Kunst, Kultur und Politik“ zu nutzen. 2010 wurde die Breuninger Stiftung aktiv. Gefördert durch ESF-Mittel des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg und mit Unterstützung der Breuninger Stiftung wurde vomEuropäischen Regionalen Förder­ verein e. V. als Träger das Projekt „100 x Neues Leben und Arbei- ten in der Uckermark“ in Angermünde für 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Mitte 2011 bis Ende 2013 umgesetzt. Die Breuninger Stiftung erwarb das Gebäude der ehemaligen Berufsschule in Angermünde. Es bot u. a. große Ateliers für Ma- lerinnen und für ein Technologielabor mit 3D-Drucker etc. Das Haus steht – jetzt unter der Bezeichnung „Projekthaus AHA“ – den Bewohnern Angermündes und Umgebung für ein geringes Entgelt zur Nutzung zur Verfügung. Akteure aus dem Projekt in Angermünde engagieren sich im Hebewerk e. V. in Eber- walde, das dort ein „Offenes Technologie Labor“ betreibt. Hier treffen sich junge Leute zum Ideenaustausch, zur Entwicklung von Start-ups, zum gemeinsamen Arbeiten und auch Forschen. Bereits 2006, als noch niemand von 3D-Druckern in Bran- denburg sprach, wies Frithjof Bergmann auf diese technische Neuerung hin. Letztendlich durch seinen Anstoß wurde 2017 ein Kompetenzzentrum für 3D-Druck-Verfahren von dem da- maligen Bereichsleiter der Deutschen Angestellten Akademie (DAA), Hans Stegemann, in Eberswalde eingerichtet. Was wirkt arbeitsmarktpolitisch nach? Unmittelbar geht auf Frithjof Bergmann in Brandenburg die Wiederbelebung der säkularisierten „Friedensgedächtniskir- che“ in Lauchhammer als ein Zentrum für Kultur, Kunst und Politik zurück. Darüber hinaus hat er die Verbindungen nach Österreich zu den „Offenen Technologie Laboren“ hergestellt und verstärkt und die Schaffung nichtkommerzieller Co-Wor- king-Spaces in Brandenburg beflügelt. Darüber hinaus wäre das 3D-Druck Kompetenzzentrum der DAA in Eberswalde ohne seine Kontakte zu Professor Andreas Gebhardt, FH, einem Pio- nier des 3D-Drucks in Deutschland, nicht zustande gekommen. Die Formulierung einer konkreten Utopie – „ein Drittel der Zeit für Lohnarbeit, ein Drittel der Zeit für High Tech Self Pro- viding und ein Drittel der Zeit, für das, was man wirklich, wirklich will“ - wird nachwirken als Anstoß zum Nachdenken über die Überwindung des heutigen auf Profit und Konsum basierenden Wirtschaftssystems. Sein Vorschlag des High Tech Self Providing könnte dazu füh- ren, dass das Wirtschaften ökologischer wird, da Gebrauchsge- genstände, weil selbst gemacht, weniger weggeworfen werden. Bergmann stellte sich diesen Ansatz vor allen Dingen für arme, in prekären Situationen lebende Menschen vor, für die 80 % der Menschen, die er als „Wüstenmenschen“ bezeichnete, während er in Bezug auf Deutschland und Österreich immer von „Inseln der – ahnungslosen – Glückseligen“ sprach. Bemerkenswert war seine stete Suche nach technischen Neuerungen zur Ver- wirklichung des High Tech Self Providing. Es wirkt nach, dass Bergmanns Idee eine wissenschaftlich fundierte Theorie ist, die in Anlehnung an Erich Fromm und Karl Marx die philosophische Grundlage der „Freiheit der Men- schen zur Entscheidung“ weiterentwickelt und auf die neue Grundlage „der Freiheit der Menschen zum Handeln“ gestellt hat. Das ist ein enormer Schritt und beinhaltet die Wandlung vom Passiven ins Aktive. Und das ist auch der Kern vieler „Center of NewWork“: die Unterstützung der Einzelnen bei der Entwicklung der Freiheit zum Handeln. Und auf dem Weg da- hin zu erkennen, was wir „wirklich, wirklich wollen“. „Sein eigenes Ding durchzuziehen mit den Chancen zur schöpferischen Entfaltung“ bilden das Zentrum der Über- legungen. Arbeit soll uns nicht auslaugen und erschöpfen, sondern mehr Kraft und Energie geben; sie soll uns zu voll- kommeneren und glücklicherenMenschen machen. Wenn jetzt allerdings in Unternehmen von allen Mitarbeitern in falsch verstandener Anlehnung an New Work – New Culture die völ- lige Hingabe an die Arbeit verlangt wird, selbst wenn man sich „nur“ den Lebensunterhalt verdienen will, z. B als Essenslie- ferant, ist das eine Perversion des Bergmannschen Ansatzes. DIETER WAGNER ist emeritierter Professor der Betriebswirt­ schafslehre an der Universität Potsdam und Ehrenheraus­ geber der Zeitschrift „PERSONALquarterly“. URSULA KLINGMÜLLER war Referatsleiterin im Branden­ burgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. ANDREAS GEBHARDT war Professor an der FH Aachen und u.a. Experte für 3D-Technologien. Beide waren mit Frith­ jof Bergmann eng befreundet.

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