Personal Quarterly 4/2021

PERSONALquarterly 04 / 21 44 NEUE FORSCHUNG _TRANSFORMATION führen, wie dies von unseren Experten häufig vorgeschlagen wird. Einige praktische Fragen sprechen jedoch gegen diese Lösung, da sich die erforderlichen Fähigkeiten zwischen den beiden Phasen stark unterscheiden: In der Pre-Merger-Phase sind analytische Fähigkeiten der handelnden Manager gefragt, während bei der Umsetzung eher motivationale Fähigkeiten gefragt sind (Rathnow, 2014, S. 351). Wenn eine persönliche Gesamtverantwortung nicht möglich oder ratsam ist, können zwei alternative organisatorische Maßnahmen eine integrierte Verantwortung unterstützen: 1. In der Pre-Merger-Phase sollte eine kulturelle Due Diligence inklusive Aktionsplan für kritische Aspekte zwingend vor- geschrieben werden. Technisch lässt sich dies mit dem in vielen Unternehmen von den Aufsichtsgremien geforderten „Authorisation-for-Signing“-Meilenstein realisieren. Dies würde die Qualität der Integration durch eine angemes- senere Einbeziehung der Kultur verbessern. Darüber hinaus würde es Geschäfte verhindern, die in Bezug auf die Kultur offensichtlich unpassend bzw. hoch risikoreich sind. 2. Eine zweite Maßnahme bestünde darin, die verantwortlichen Manager in der Phase vor der Fusion auf der Grundlage von Zielvorgaben für die Wertschöpfung des Geschäfts zu incen- tivieren. Die größte Herausforderung hierbei sind sinnvolle, verständliche und akzeptierte Ziele zur Leistungsmessung. Diese sollte neben den projektspezifischen Zieldaten (z. B. Produktkosten und -ergebnis, Entwicklungsmeilensteine) auch Integrations-KPI enthalten (z. B. Fluktuationsquote, Krankheitsquote, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit). Um eine effektive Kontrolle der Zielerreichung zu ermögli- chen, muss vor der Unterzeichnung ein unabhängiges Akqui- sitionscontrolling vorhanden sein (Rathnow, 2014, S. 333). Diese Maßnahmen werden sehr wahrscheinlich das Haupt- problem der geteilten Zuständigkeiten lösen. Um die Situation bedeutend zu verbessern, reichen diese Maßnahmen jedoch nicht aus. Auch die Denkweise der Verantwortlichen bei M&A- Projekten muss sich ändern, und zwar hin zu einer vermehrt mitarbeiterorientierten, wertschätzenden Führung. Dies mag unrealistisch erscheinen, aber neue Organisationsformen (New Work), agile Methoden und die Einbeziehung von mehr Topmanagerinnen in großen Unternehmen weisen genau in diese Richtung. Auch der Paradigmenwechsel von der klas- sischen ökonomischen Rationalität hin zu neuen Paradigmen wie der Verhaltensökonomie stimmt optimistisch. Kritische Würdigung der Forschungsergebnisse Die vorliegende Studie ist explorativ und qualitativ. Sie prüft keine Hypothese, sondern legt vielmehr eine mögliche Erklä- rung dafür vor, warum ein aktives Management des „Faktor Mensch“ bei vielen M&As noch immer nicht Standard ist, ob- wohl viele Studien die positiven Auswirkungen solcher Maß- nahmen auf den Erfolg von M&A-Projekten belegen. Die zwölf Diese Argumentation setzt sich in der Post-Merger-Phase fort. Da der „Faktor Mensch“ vorher nicht als relevant erachtet wurde, ist es nahezu zwangsläufig, ihn auch jetzt außer Acht zu lassen, da sonst die vorherige Entscheidung in Frage gestellt werden würde. Kognitive Dissonanzen lassen sich also leicht vermeiden, wenn der „Faktor Mensch“ während des gesamten M&A-Prozesses aktiv ausgeklammert wird. Die meisten Top- manager und M&A-Manager verfügen heute über eine betriebs- wirtschaftliche Ausbildung mit einem wesentlichen Gewicht auf zahlengetriebenen Fachgebieten wie Finance, Accounting und Controlling. Das erleichtert es ihnen, den „Faktor Mensch“ in M&As zu missachten oder sogar lächerlich zu machen, selbst wenn Unternehmensberater oder neuere Studien alternative Begründungen und Ansätze vorbringen. Selbst wenn Topmanager eine positivere Meinung über den „Faktor Mensch“ bei M&A-Projekten haben, ist es schwierig, diese Meinung tatsächlich umzusetzen. Wie bereits erwähnt, ist die Phase vor der Fusion mit zeitlichen Zwängen und einem chancenorientierten Ansatz verbunden. Unter solchen Bedin- gungen neigen Menschen dazu, bei der Entscheidungsfindung eher Typ-2-Prozesse (heuristisch) als Typ-1-Prozesse (ratio- nal) zu verwenden. Hier ist es viel wahrscheinlicher, dass die Menschen auf ihren vorgegebenen Wegen bleiben und keine radikal neuen Ansätze verwenden (Evans, 2008), insbeson- dere wenn solche neuen Ansätze mehr Geld kosten würden als traditionelle Ansätze. Erschwerend kommt hinzu, dass der Mehraufwand in der Regel vor einer Genehmigungsinstanz (z. B. Aufsichtsrat) argumentiert werden muss, die häufig nicht sehr offen für solche neuen Ansätze ist. Handlungsempfehlungen Auf den ersten Blick zeichnet die vorliegende Studie ein düs­ teres Bild der Change-Management-Praxis in M&A-Projekten. Es scheint möglich, dass mehr empirische Erkenntnisse und möglicherweise noch aufwendigere Change-Management- Maßnahmen mit einer hohen Erfolgsquote nicht zu einer hö- heren Wertschätzung des „Faktor Mensch“ in M&A-Projekten führen. Da anzunehmen ist, dass die meisten Entscheidungs- träger in M&A-Projekten bereits über die Bedeutung des „Fak- tor Mensch“ in M&A-Transaktionen grundsätzlich Bescheid wissen, ist es gut möglich, dass zusätzliche Erkenntnisse und Instrumente bewusst oder auch unbewusst ignoriert werden. Unsere Studie hat jedoch auch einige Auswirkungen, die sich positiv auf den Erfolg von M&A-Transaktionen auswirken könnten. Unternehmen sollten ein Team oder eine Organisati- onseinheit einrichten, die für das gesamte M&A-Projekt von der Phase vor der Fusion bis zur Phase nach der Fusion verantwort- lich ist. Die derzeit übliche Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Deal Closing und Post-Merger-Integration sollte ab- geschafft werden. Dies könnte auch zur Einbeziehung von As- pekten der Unternehmenskultur in den Due-Diligence-Prozess

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