Personal Quarterly 4/2021

PERSONALquarterly 04 / 21 28 SCHWERPUNKT _FÜHRUNG U nterstützung der Mitarbeiter ist ein zentraler As- pekt modernen Führens. Im transformationalen Führen steht z. B. neben intellektueller Stimulation und Inspiration individualisierte Unterstützung als eine wichtige Komponente (Bass/Riggio, 2006). Dabei nimmt die Führungskraft die Rolle eines „consultant, coach, teacher and mother figure“ ein (Bass, 1985, S. 27). Zwischen diesen Komponenten kann jedoch ein Konflikt bestehen. Eine fürsorgliche, vermeintlich unterstützende Füh- rungskraft kann den Mitarbeitern den Mut und den Raum nehmen, selbstständig tätig werden zu wollen, und damit Inspi- ration, intellektuelle Stimulation und intrinsische Motivation untergraben. Dies wird nicht unbedingt von der Führungskraft wahrgenommen, die es ja nur gut meint. Auch wenn Mitar- beiter sich mit den Zielen der Führungskraft identifizieren, könnten sie sich in ihrer Selbstwirksamkeit (Bandura, 1997) eingeschränkt fühlen. Die Unterstützung der Führungskraft wird dann möglicher- weise von Mitarbeitern innerlich abgelehnt, verschleppt oder gar offen boykottiert, weil sie sich wieder als selbstwirksam wahrnehmen wollen oder von anderen als fähig und autonom erkannt werden wollen. Dies kann theoretisch so weit gehen, dass Mitarbeiter sich selbst schaden. Als Illustration mag der Brexit dienen. Der im Slogan „take back control“ ausgedrückte Wunsch nach Autonomie hat mög- licherweise eine tragende Rolle dabei gespielt, dass viele Briten sich imReferendum für den EU-Austritt entschieden haben, ob- wohl sie damit persönlich materielle Nachteile in Kauf nahmen. Natürlich sind weder der Brexit noch entsprechende Bei- spiele aus der täglichen Führungspraxis Beweise dafür, dass fürsorgliche Eingriffe schädlich sind. Jeder Eingriff einer Füh- rungskraft beinhaltet immer auch ein Stück Kontrolle. Dass Menschen gerne die Kontrolle behalten, um das Ergebnis eines Prozesses zu beeinflussen, ist bereits vielfach gezeigt worden. 1 WennMitarbeiter Unterstützung zurückweisen, wissen wir also nicht, ob sie dies tun, um eigene Ziele zu verfolgen, oder sie den Eingriff als „übergriffig“ ablehnen, obwohl ihre Ziele mit denen der Führungskraft übereinstimmen. Damit wissen wir auch Ablehnung von nicht angefragter Unterstüt- zung: zu viel Fürsorglichkeit beim Führen? Von Prof. Dr. Wendelin Schnedler (Universität Paderborn) nicht, ob das Problem der Ablehnung von Unterstützung ohne Zielkonflikt überhaupt relevant ist. Gibt es Ablehnung von Unterstützung ohne Zielkonflikt? Um sicher zu sein, dass Ablehnung von Unterstützung nicht an einem Zielkonflikt liegt, müssten die Gedanken der Mitarbeiter in realen Situationen mitbeobachtet werden. Das ist natürlich nicht möglich. Allerdings kann eine Entscheidungssituation im Labor erzeugt werden, bei der kein Zielkonflikt vorliegt. Genau auf dieser Idee beruht meine gemeinsame Forschungsarbeit mit Silvia Lübbecke (2020), die hier vorgestellt werden soll. Hierzu wurden über 600 Studierende in das Baer-Lab der Universi- tät Paderborn eingeladen und in Paare aus Führungskraft und Mitarbeiter eingeteilt. Jeder Führungskraft wurde also genau ein Mitarbeiter zugeordnet. Das gemeinsame Ziel beider war es, die richtige Lösung für ein Logikrätsel abzugeben, denn für eine richtige Lösung erhielten sie eine finanzielle Belohnung. Die erste Aufgabe der Mitarbeiter war es, das Rätsel zu lösen. Die meisten (255 der 305) Mitarbeiter waren dazu in der Lage. Vor der Abgabe der Lösung hatte die Führungskraft die Mög- lichkeit, den Mitarbeiter ungefragt zu unterstützen. Sie konnte die richtige Lösung für das Rätsel kaufen und anstelle der Lö- sung des Mitarbeiters vorschlagen. Bei dieser Entscheidung wusste die Führungskraft allerdings nicht, welche Lösung der Mitarbeiter ermittelt hatte und ob diese Lösung richtig war oder nicht. Die Führungskraft steckte also in einem Dilemma: Sollte sie riskieren, dass die Lösung falsch war, oder ungefragt helfen, was nicht nur kostspielig war (Zeit, Aufwand), sondern auch mangelndes Vertrauen zeigte. Da so viele Mitarbeiter bereits die richtige Lösung gefunden hatten, war Hilfe, so gut gemeint sie auch gewesen sein mag, in einer Vielzahl der Fälle nicht notwendig. Nachdem sich die Führungskraft zunächst einmal über den Mitarbeiter hinwegsetzen konnte, hatte der Mitarbeiter auch seinerseits die Gelegenheit, aktiv zu werden, die „fürsorglich verordnete“ Hilfe abzulehnen und darauf zu beharren, seine eigene Lösung abzugeben. Die Mitarbeiter wussten dabei, dass die Lösung der Führungskraft richtig war. Betrachten wir einen der vielen Mitarbeiter, der selbst be- reits die richtige Lösung ermittelt hatte. Weil der Mitarbeiter 1 Vgl.Dietvorst/Simmons/Massey (2016), Bobadilla-Suarez/Sunstein/Sharot (2017), Sloof/von Sie- mens (2017) oder Neri/Rommeswinkel (2014).

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