Personal Quarterly 4/2021

23 04 / 21 PERSONALquarterly ABSTRACT Forschungsfrage: Welche Konstellationen im Zusammenspiel formeller und informeller Führung zwischen Führungskraft und Teammitglieder existieren und wie wirken diese? Methodik: Wir entwickeln auf Basis bisheriger Forschung ein konzeptuelles Modell des Abgebens und Annehmens von Führungsverantwortung zwischen formeller Führungskraft und Teammitgliedern. Praktische Implikationen: Die formelle Führungskraft und die Teammitglieder sollten dy- namisch zwischen führen und führen lassen wechseln und dabei nicht in Kämpfe um Führung abdriften. Weniger „ich alleine“ und mehr „wir zusammen“ ist die Devise. die Führungskraft gewürdigt (Nembhard/Edmondson, 2006). Während eine derartige dynamische Koordination in der The­ orie gut klingt und auch in der Praxis erfolgreich wäre, findet sie sich in der Realität recht selten. Dies liegt darin begründet, dass sowohl aufseiten der Führungskraft als auch aufseiten der Teammitglieder die benötigten Fähigkeiten und Persön­ lichkeitsmerkmale häufig nicht derart stark ausgeprägt sind, wie es für ein Erreichen dieses Wunschzustands adaptiv wech­ selnder Führung notwendig wäre. Welche Hindernisse lassen sich identifizieren? Zunächst ist mit Blick auf die formelle Führungskraft zu kon­ statieren, dass das Ego oft im Weg steht. Die Forschung zeigt: Je höher der Status bzw. die hierarchische Stellung der Füh­ rungskraft ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich durch einen Prozess der dynamischen Koordination in ihrer Identität als Führungskraft bedroht fühlt (Stewart et al., 2017). Entsprechend schwer fällt es der Führungskraft, sich auf eine Zusammenarbeitsform der dynamischen Delegation von Führung mit Teammitgliedern einzulassen. Allerdings kommt es selbst dann, wenn die formelle Füh­ rungskraft Führung abgeben möchte, häufig zu einer frustrie­ renden Situation: Die Teammitglieder bleiben passiv, indem sie bspw. auf Gestaltungsfreiräume oder Ermutigungen zum Einbringen eigener Vorschläge nicht reagieren („Ablehnung informeller Führung“). Teilweise geben sie den durch die Füh­ rungskraft angebotenen Freiraum zur Übernahme von Gestal­ tungsspielraum sogar aktiv zurück („Rückgabe informeller Führung“). Dieses oft beklagte Phänomenmanifestiert sich z. B., wenn Teammitglieder die ihnen übertragenen Verantwortungs­ bereiche mit (Schein-)Erklärungen – bspw. fehlende Eignung oder Kompetenz – rückdelegieren. Anscheinend möchte nicht jeder in Führung gehen. Doch woran liegt das? Erstens ist festzuhalten, dass sich das Bedürfnis nach Füh­ rung („need for leadership“) zwischen Teams und auch einzel­ nen Teammitgliedern unterscheidet. Je höher dieses Bedürfnis ausgeprägt ist, desto geringer die Begeisterung, wenn Führung dynamisch koordiniert werden soll (Breevaart et al., 2016). Zweitens spielt auch der Kenntnisstand der Teammitglieder ei­ ne Rolle: je geringer ihr Wissen und die vorhandenen Fähigkei­ ten im zu bearbeitenden Aufgabenbereich, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass die Teammitglieder die übertragenen Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich eigenständig ausgestal­ ten. Drittens ist die Übernahme informeller Führung nicht nur mit möglicher Anerkennung verbunden, sondern bringt auch Risiken des Scheiterns, des Anfallens zusätzlicher Arbeit oder des Gegenwinds von anderen mit sich (Zhang et al., 2020). Eine Ablehnung oder Rückgabe informeller Führung kann zudem nicht nur in den Teammitgliedern begründet liegen. Vielmehr haben auch Führungskräfte unbewusste Vorstel­ lungen davon, wie viel Führung ihre Mitarbeitenden überneh­ men können oder wollen sowie ob diese eher eigengesteuert oder durch äußere Anreize motiviert werden (Whiteley et al., 2012). Diese impliziten Theorien im Kopf von Führungskräf­ ten haben einen entscheidenden Einfluss darauf, ob und wie die dynamische Koordination von Führung gelingt, da sie das Verhalten der Führungskraft und ihre Reaktionen auf das Ver­ halten von Teammitgliedern steuern. Die passive Führungskraft: „Ich vermeide Führung“ – eine gute Möglichkeit zur Selbstführung der Teammitglieder? Organisationen, die informelle Führung in Teams fördern wollen, kommen gelegentlich auf die Idee, formelle Führungs­ kräfte zu passiverem Verhalten zu ermutigen (Wellmann et al., 2019). Dieser Führungsstil wird auch als „Laissez-faire“ bezeichnet und ist durch ein Vermeiden von Entscheidungen, Inaktivität und die häufige Abwesenheit der Führungskraft gekennzeichnet. Der Gedanke hinter passivem Führungsver­ halten ist, dass Teammitglieder merken, dass es einen Bedarf nach Führung gibt, den sie befriedigen können, wenn sie sich selbst in eine informelle Führungsrolle begeben. Wenn Letz­ teres passiert, befindet sich das Team in einem Zustand der „Selbstführung“, der positive Konsequenzen für die Ergebnisse des Teams und für die Führungskraft entfaltet. Während diese Logik in der Theorie bestechend erscheint, zeigt die Realität allerdings, dass Teams, die mit einer passiven formellen Führungskraft arbeiten, selten diese aktive Form der Selbstführung durch eigenständige Koordination zeigen (Wellmann et al., 2019). Vielmehr wirkt die „Laissez-faire“-Füh­ rungskraft als Rollenvorbild, deren passives Verhalten von den Teammitgliedern übernommen wird, sodass ein Zustand der

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