Personal Quarterly 4/2021
22 PERSONALquarterly 04 / 21 SCHWERPUNKT _FÜHRUNG I nformelle Führung – die Ausübung von sozialem Einfluss auf andere Teammitglieder, um sie in Richtung eines Ziels zu lenken, ohne formelle Autorität zu besitzen – kann die Leistungsfähigkeit von Teams erhöhen und Innovativität fördern (Carte et al., 2006; Gerpott et al., 2019). Um von diesen Vorteilen zu profitieren und in einer immer komplexeren und schnelllebigen Arbeitswelt überlebensfähig zu bleiben, versu chen Unternehmen vermehrt, Teammitglieder zur Übernahme informeller Führung zu motivieren. Auch die Wissenschaft hat inzwischen ein umfassendes Verständnis davon, welche Persönlichkeitseigenschaften, Verhaltensweisen und Kontext faktoren dazu beitragen, dass Teammitglieder informelle Füh rung übernehmen (für einen Überblick vgl. Hanna et al., 2021). Ein bislang jedoch kaum betrachtetes Forschungsfeld betrifft die Frage, wie formelle Führung (ausgeübt durch eine wei sungsbefugte Führungskraft) und informelle Führung (ausge übt durch Teammitglieder) zusammenspielen. Egal ob „klassisches“ Team oder selbstgesteuerte Arbeitsgrup pe – die meisten Zusammenarbeitsformen existieren nicht in einem hierarchiefreien Vakuum. Vielmehr müssen sich Teams in irgendeiner Form mit einer Führungskraft koordinieren, die formell weisungsbefugt ist. Die in diesem Artikel entwickelte 3x3-Matrix (in-)formeller Führung beschreibt, welche Formen der Abgabe und Annahme von Führung zwischen formeller Führungskraft und Teammitgliedern auftreten können und wie die zu erwartenden Konsequenzen aussehen. Wir diskutieren, welche Kombinationen am vorteilhaftesten für die Leistung und Motivation von Führungskraft und Team sind, und leiten prak tische Implikationen für die Personalentwicklung und unterstüt zende HR-Maßnahmen ab. Eine 3x3-Matrix (in-)formeller Führung Um das Zusammenspiel von formeller und informeller Führung zu systematisieren, ist es zunächst sinnvoll, sich anzusehen, welche Verhaltensoptionen der formellen Führungskraft und den Teammitgliedern im Kontext der sozialen Einflussnah me zur Verfügung stehen. Beide Interaktionsparteien können (1) aktiv gestaltend, (2) passiv oder (3) aufeinander bezogen agieren, sodass sich eine 3x3-Matrix möglicher Verhaltens kombinationen ergibt (vgl. Abb. 1). Die Matrix verdeutlicht die Wer führt hier wen und wozu führt das? Eine 3x3-Matrix (in-)formeller Führung Von Prof. Dr. Fabiola H. Gerpott (WHU – Otto Beisheim School of Management) und Prof. Dr. Rudolf Kerschreiter (Freie Universität Berlin) zentrale Rolle der Teammitglieder: Sie bestimmen, ob und wie der Wunsch nach informeller Führung in die Realität umgesetzt wird. Je nach Aufteilung von Führung zwischen der formellen Führungskraft und den Teammitgliedern ergeben sich posi tive, neutrale oder negative Konsequenzen. Zum einen betref fen diese Konsequenzen das Team, welches in der Leistung, Motivation, Innovativität sowie Teamstimmung beeinflusst wird. Zum anderen ergeben sich Konsequenzen für die for melle Führungskraft. Diese erlebt Auswirkungen auf ihre rol lenbezogene Selbstwirksamkeit (= persönliche Überzeugung, Herausforderungen als Führungskraft erfolgreich bewältigen zu können), ihre Karriereambitionen (= Wahrscheinlichkeit der Weiterverfolgung einer Führungskarriere) und ihr Stresslevel (= empfundene körperliche und geistige Belastung). Die progressive Führungskraft: „Ich gebe Führung dyna- misch ab“ – klingt gut in der Theorie, aber in der Praxis? Die positivste Form des Zusammenwirkens entsteht, wenn die Führungskraft eine gemeinsame Gestaltung von sozialen Einflussprozessen zulässt, indem sie Führung je nach Situati onsanforderung dynamisch abgibt und Teammitglieder diese Führungsangebote annehmen. Stellen Sie sich bspw. ein auto nomes Projektteam vor, das wöchentliche Koordinationsmee tings mit der formellen Führungskraft hat. Man einigt sich zuvor auf eine Agenda und im Teammeeting wird die Dis kussion der einzelnen Agendapunkte jeweils von der Person mit dem größten themenbezogenen Wissen, die auch für die Delegation von Aufgaben verantwortlich ist, geleitet. Die Füh rungskraft ist ein Teil des Teams, diskutiert mit und springt ein, wenn sie merkt, dass sie motivierende Worte, neue Ideen oder Richtungsvorgaben sinnvoll einbringen kann – genau wie jedes andere Teammitglied. Die Teammitglieder ducken sich nicht vor der Verantwortungsübernahme, sondern steuern den Aufgabenfortschritt selbst und fragen aktiv nach Führung von der formellen Führungskraft, wenn sie in einer Sackgasse ste cken. Die Führungskraft kann eine derartige Verantwortungs übernahme fördern, indem sie die Teammitglieder aktiv zu Beiträgen in Diskussionen ermuntert und bei Entscheidungen auffordert, ihre Meinung zu sagen. Idealerweise werden die Beiträge der Teammitglieder anschließend entsprechend durch
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==