Personal Quarterly 3/2021
58 SERVICE _EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND PERSONALquarterly 03 / 21 W arum scheinen viele Individuen die Vertrau- enswürdigkeit ihrer Mitmenschen derart hoch einzuschätzen, dass sie sogar eine finanzielle Einbuße riskieren, wenn andere Personen das übermäßige Vertrauen ausnutzen? Und: Muss sich Vertrauen in monetärer Form auszahlen, um in der Gesellschaft bestehen zu können? Unsere Forschung (2020) vertritt die Hypothese, dass Ver- trauen eine wichtige Komponente des subjektiven Glücks dar- stellt. Ein isolierter Blick auf das Einkommen verzerrt daher den wahren Nutzen, den Vertrauen für Individuen stiftet. Zu- dem dokumentieren wir anhand umfangreicher Umfrageda- tensätze: Hohes Vertrauen fördert Kooperation und soziales Verhalten über den lokalen Kontext hinaus und ist somit eine wichtige Komponente einer prosperierenden Gesellschaft. Glück misst sich nicht immer in harter Währung Analog zu den Ergebnissen früherer Forschungsarbeiten zei- gen auch die von uns verwendeten Daten ein klares Muster auf: Sehr hohes Vertrauen geht mit einem niedrigeren Einkommen einher. Ein Blick auf Daten der Europäischen Sozialerhebung (ESS), einer groß angelegten Umfrage in zahlreichen Ländern Europas, verdeutlicht: Aus der Einkommensperspektive ist ein moderates Vertrauensniveau optimal. Unsere Schätzungen im- plizieren, dass Befragte mit dem höchsten Vertrauensniveau im Schnitt ein etwa 10 % geringeres Einkommen aufweisen als dies vergleichbare Individuen mit einem moderateren Vertrauensniveau tun. Auch andere Erhebungen aus Schwe- den (Society Opinion Media Survey - SOM) und der Schweiz (Schweizer Haushaltspanel - SHP) liefern sehr ähnliche Ergeb- nisse: Zu hohes Vertrauen zahlt sich nicht aus, zumindest im monetären Sinn. Ein anderes Bild zeigt sich, wenn wir die Analyse der ESS- Daten auf den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Le- benszufriedenheit ausweiten. Hier wird deutlich: Individuen mit höheremVertrauen sind glücklicher, wobei die beobachtete Differenz zwischen mittlerem und hohem Vertrauen ähnlich groß ist wie die zwischen verheirateten und unverheirateten Individuen – erstere sind glücklicher. Mit anderen Worten: Vertrauen macht glücklich, mehr Vertrauen macht glücklicher. Angesichts der deutlichen Effekte ist es allerdings unwahr- scheinlich, dass allein schon der Glaube in eine hohe Vertrau- enswürdigkeit der Mitmenschen für das beobachtete Glück sorgen kann. Wahrscheinlicher ist es, dass Vertrauen eine notwendige Voraussetzung darstellt, gewisse glücksstiftende Handlungen und Erlebnisse überhaupt realisieren zu können. Wer z. B. den Handwerkern beim Wohnungsumbau nicht ver- traut, verbringt die Ferien möglicherweise indigniert auf einer Baustelle statt gut gelaunt am Strand. Die Auswertung der Daten zeigt: Die glücklichsten Indi- viduen sind diejenigen, die sowohl auf der Vertrauensachse als auch in der kooperativen Dimension, gemessen etwa am Spendenverhalten und an politischer Partizipation, hohe Werte aufweisen. Dies ist konsistent mit der Hypothese, dass Vertrau- en allein nicht ausreicht, um die Glückseffekte zu erklären, sondern vielmehr über indirekte Pfade zu höherer Lebenszu- friedenheit führt. Diese Erklärungen setzen in unserem Kontext allerdings voraus, dass Vertrauen tatsächlich zu mehr kooperativem und pro-sozialem Verhalten führt. Hierfür finden wir in allen von uns analysierten Datensätzen einen deutlichen positiven Zusammenhang: Höheres Vertrauen geht einher mit höheren Spenden, mehr Freiwilligenarbeit und einer Präferenz für hö- here Ausgaben für Umweltzwecke, um nur einige Beispiele zu nennen. Interessanterweise scheinen Individuen dabei nicht zu unterscheiden, ob die Kooperation primär auf lokaler Ebene wie in der Freiwilligenarbeit oder auf überregionaler Ebene wie beim Spenden stattfindet – Vertrauen fördert beides. Trust local – act global Hohes Vertrauen fördert Kooperation über den lokalen Kon- text hinaus. Auch aus individueller Perspektive hat hohes Ver- trauen seinen Nutzen: Vertrauen macht zwar nicht unbedingt reicher, aber glücklicher. Dies unterstreicht den gesellschaftli- chen Wert hohen zwischenmenschlichen Vertrauens. Es deutet weiter darauf hin, dass hohes Vertrauen auch dann Teil eines stabilen Gleichgewichts sein kann, wenn es zuweilen ausge- nutzt wird. Die dadurch entstehende Kooperationsbereitschaft könnte somit auch für die Bewältigung von globalen Dilemma- ta, etwa dem Klimawandel, eine wichtige Rolle spielen. Wir vertrauen jedenfalls darauf, dass zukünftige Forschung auch in diesem Gebiet auf neue und wertvolle Erkenntnisse stößt. www.lse.ac.uk/granthaminstitute/publication/ trust-happiness-and-pro-social-behavior Hohes Vertrauen fördert Kooperation Matthias Roesti, Doktorand am Schweizerischen Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität St. Gallen, und Stefano Carattini, Assistenzprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der Georgia State Universität, analysieren den gesell- schaftlichen Wert hohen zwischenmenschlichen Vertrauens.
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