Personal Quarterly 3/2021
30 PERSONALquarterly 03 / 21 SCHWERPUNKT _WISSENSTRANSFER und ablauforganisatorische Prozesse in eben jenen Organisa tionen. Die Ausführungen darüber, woran sich Unternehmen mit Blick auf EO orientieren sollten, sind gleichwohl nicht em piriebasiert fundiert. Vielmehr können sie als generische An regungen für die unternehmerische Praxis verstanden werden, deren konkrete Erprobung durchaus lohnenswert erscheint. EO wurden bereits ansatzweise in diversen Kontexten als Anschauungsobjekt für Unternehmen herangezogen. Beispiele hierfür finden sich u. a. im Bereich der Führung in kritischen Situationen, bei der Übertragbarkeit von Vorgehensweisen in Bezug auf Wissen und Informationen oder von Organisa tionsstrukturen auf Bereiche wie Klinikstrukturen oder den Pflegebereich. Beispiele, die sich mit der Übertragbarkeit von Vorgehensweisen der Einsatznachbereitung (bspw. eines Af ter Action Reviews) auf industrielle Branchen wie Software- Entwicklung befassen, finden sich ebenfalls (exemplarisch zu diesen Beispielen Brock et al., 2009, Godé/Barbaroux, 2012, Küpper/Wilkens, 2012, Vashdi et al., 2007). Auch die Übertrag barkeit von strukturellen Eigenschaften oder Handlungsmus tern von EO wurde erforscht. Weil das Militär ein detailliertes Verständnis dafür entwickelt hat, wie Teams in komplexen und dynamischen Situationen fehlerfrei handeln, wurden bspw. Guidelines zur Gestaltung eines effektiven und effizienten Teamtrainings für medizinische Teams abgeleitet, da diese ebenfalls fehlerfrei arbeiten müssen. Wenn wir nun den Bogen zwischen einem adäquaten Um gang mit Wissen in einer Einsatzsituation und dem Unter nehmenskontext spannen, so orientieren wir uns dabei in gebotener Kürze an unseren Erkenntnissen über die Einfluss faktoren (Mensch (I), Wissen (II), Einsatz (III) und Organisati on (IV)) bzw. daran, wie EOmit diesen Einflüssen umgehen, um erfolgreich zu handeln. Um sich am „vorbildlichen“ Umgang mit Wissen von EO – im Sinne der erfolgreichen Einsatzdurch führung – zu orientieren, skizzieren wir jeweils prägnant cha rakteristische Aspekte, um ausgehend hiervon kurz auf den potenziellen Unternehmenskontext abzuleiten. (I) Einsatzkräfte zeichnen sich durch einen ausgeprägten of fenen Umgang mit Fehlern aus. Diese und das Wissen hierüber werden eindeutig akzentuiert. Dies geschieht regelmäßig im Rahmen der Einsatzvorbereitung und -durchführung. Für Mit arbeitergespräche, Teamsitzungen oder Projektbesprechungen im Unternehmenskontext bedeutet dies: Kommunizieren Sie eindeutig, benennen Sie Fehler klar und verheimlichen Sie nicht, wer Fehler begangen hat. Insbesondere das Teilen von Wissen, das aufzeigt, weswegen Fehler entstanden sind, ver setzt EO in die Lage, erfolgreich zu handeln. Hieran könnten sich auch Unternehmen stark orientieren. Typisch für EO ist weiterhin: Erfahrene Einsatzkräfte gelten gegenüber ihren Kollegen als glaubhaft und dienen deshalb als geeignete Multiplikatoren, wenn es gilt, aus kritischen Einsatzlagen zu lernen. Deswegen ist deren Einbeziehung in alle Formen der Ausbildung oder Einarbeitung (in diesem Kontext wird in EO oft von „Dienstpostenübergabe“ gespro chen) elementar. Hieran könnten sich auch Unternehmen branchenübergreifend ein Beispiel nehmen, indem Onboar ding-Prozesse gezielt durch bzw. mit erfahrenen Mitarbeitern konzipiert werden. (II) Wissen aus sehr konfliktreichen Einsätzen gilt als äu ßerst hilfreich für die Durchführung nachfolgender Einsätze. Dieses „kritische“ Wissen wird unmittelbar nach dem Ende des Einsatzes transferiert. Der Zeitpunkt des Wissenstrans fers ist maßgeblich für die offene Aufarbeitung von Fehlern, da mit mehr Abstand vom Einsatz Zeit besteht, dass sich die involvierten Personen (teils unbewusst) Rechtfertigungsstra tegien zurechtlegen. Für den Unternehmenskontext bedeutet dies, dass Situationen, in denen Mitarbeiter sehr gefordert wer den – sei es nun eine langandauernde Verkaufsveranstaltung, Lieferengpässe wichtiger Zuliefererprodukte, Störungen von Produktionsanlagen oder Unterbesetzung von Mitarbeitern in hektischen Phasen des Betriebsalltags – gezielt genutzt wer den sollten, um Lessons Learned für die Zukunft abzuleiten. Dies ist in der jeweiligen Situation zwar herausfordernd, weil sehr belastend. Allerdings ergeben sich langfristig, blickt man auf EO, nachhaltige Verbesserungen im Umgang mit diesen Situationen. Mittel der Wahl hierfür sind bspw. Übergabege spräche oder kurze Debriefings – Formate, die ganz gezielt auf den Austausch von implizitem Wissen ausgerichtet sind. Der Aufwand hierfür kann gut eingegrenzt werden, aufwendige Dokumentationsprozesse sind kaum nötig. Was zählt, sind Un mittelbarkeit und Präzision der Maßnahme sowie eine klare Kommunikation. Auf das richtige Wissen kommt es an EO sind in der Lage, sich bei der Durchführung von Einsätzen auf das notwendigste relevante Wissen zu konzentrieren. Dies macht es unerlässlich, auch gezielt auf unnötiges Wissen zu verzichten. Hier zeigt sich wieder die Bedeutung des implizi ten Erfahrungswissens. Wenn in der unmittelbaren Einsatz situation adäquates Handeln erforderlich ist, funktionieren Einsatzkräfte, weil sie – auch aufgrund des angemessenen Abwägens zwischen routiniertem Handeln und Improvisa tion – erfahrungsbasiert handeln. Sie stützen ihr Vorgehen auf passgenaue Wissensschablonen. Dies würde jedoch nicht funktionieren, wenn diese mit unnötigem Wissen gefüllt sind. Unternehmen könnten hiervon lernen, indem sie sich mit dem gezielten Vergessen vonWissen beschäftigen. Im betrieblichen Alltag kann bspw. versucht werden, konsequent zu vermeiden, große (explizite) Wissensbestände (in Form überbordender Do kumentationen, redundanter Ordnerstrukturen oder veralteter Informationen) anzuhäufen. Gerade digitale Unterstützungs möglichkeiten sollten daher immer mit Bedacht ausgewählt und stets passgenau angewandt werden. Dies gilt umso mehr
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==