Personal Quarterly 3/2021
28 PERSONALquarterly 03 / 21 SCHWERPUNKT _WISSENSTRANSFER O bwohl Einsatzorganisationen (EO) fester Bestand teil des öffentlichen Lebens sind, ist die Kenntnis um die Besonderheiten dieses Organisationstypus vergleichsweise gering ausgeprägt. Dass Organisa tionen wie Feuerwehr oder Rettungsdienste ihre Einsätze weit gehend fehlerfrei und unter höchst dynamischen Umständen erfolgreich durchführen, ist auch deshalb der Fall, weil sie effizient mit einsatzrelevantem Wissen umgehen. Unternehmen setzen in den unterschiedlichsten Bereichen – sei es nun Personal, Logistik oder IT – immer häufiger agile Arbeitsformen ein, um schnell und zielgerichtet auf unvor hergesehene Situationen reagieren zu können. Insbesondere äußerst dynamische und atypische Situationen, mit denen sich letztlich Unternehmen aller Branchen in einer globalisierten und digital vernetzten Welt konfrontiert sehen, lassen es somit sinnvoll erscheinen, einen Blick auf EO zu richten, da deren passgenauer Umgang mit Wissen in kritischen Einsatzlagen im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig ist. Durch den spezifischen Umgang mit Wissen sind EO in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zu einer sicheren Gesellschaft zu leisten. Dies wird oftmals als Selbstverständlichkeit betrachtet. Der Frage jedoch, was Unternehmen hiervon für den eigenen Um gang mit unerwarteten Situationen und Handeln unter Unsi cherheit lernen könnten, wird kaum nachgegangen. In unserem Beitrag, der auf zwei empirisch durchgeführten Interviewstudien basiert, widmen wir uns daher dem poten ziellen Nutzen, der für Unternehmen entstehen kann, wenn sie sich an Handlungsmustern von EO orientieren. Der Fokus liegt hierbei insbesondere auf dem zielorientierten Umgang mit re levantem Wissen, da dies für Unternehmen der Privatwirt schaft und EO gleichermaßen von immenser Bedeutung ist. Was Einsatzorganisationen besonders macht EO sind Organisationen, deren Zweck darin besteht, eine Leis tungserbringung in dringlichen Situationen zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der normalen Lebensführung oder des menschlichen Überlebens zu erbringen (Bruderer, 1979). Beispiele sind Polizei, Rettungsdienste, die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Bergwacht oder Streitkräfte. Diese Or ganisationen sind in der Lage, in unbekannten Situationen, Vorbild Einsatzorganisation – Anregungen zum Wissenstransfer für die Praxis Von Dr. Johannes C. Müller (Stiftung Familienunternehmen) und Univ.-Prof. Dr. Eva-Maria Kern (Universität der Bundeswehr München) die durch Stress, Zeitdruck und eine oftmals unvollständige Informationslage geprägt sind, zu agieren. Charakteristisch für Einsatzorganisationen ist, dass sie kurzfristig und zügig situ ationsgerechte Entscheidungen treffen. Somit kann flexibles Handeln, welches an diverse Umweltsituationen angepasst werden kann, sichergestellt werden. Dieses Verhalten ermög licht ein hocheffizientes Arbeiten in Extremsituationen unter hohem Zeit-, Entscheidungs- und Handlungsdruck (Müller, 2018, Mistele/Kirpal, 2006). Konstituierendes Merkmal für EO ist das Vorhandensein zweier unterschiedlicher formaler Strukturen der Aufbauor ganisation (Kern, 2020): eine bürokratische Struktur im Be reitschaftszustand sowie eine flexible Einsatzstruktur, also gewissermaßen eine Dualität der Organisation durch die Be schreibung von zwei unterschiedlichen Zuständen – ein kalter Zustand (im Grundbetrieb) und ein heißer Zustand (unter Ein satz-/Kampfbedingungen). Insbesondere Letzterer ist es, der EO so besonders macht, da sie auch unter Gefahr für Leib und Leben agieren und funktionieren müssen. Damit die unterneh merische Praxis von den Einsatzerfahrungen im Umgang mit hoher Wissensintensität und dynamischen Situationen profi tieren kann, unternimmt der vorliegende Beitrag den Versuch, die „Terra incognita Einsatzorganisation“ ein Stück weit zu erkunden. So könnte ggf. ein unternehmerischer Nutzen ge stiftet werden. Warum Wissen für Einsatzorganisationen wichtig ist Das Leistungsspektrum von EO ist äußerst vielfältig: Es um fasst z. B. die Rettung von Verletzten, das Löschen von Brän den, die Sicherung von Großveranstaltungen, die Befreiung von Geiseln, die Hilfe bei Umweltkatastrophen oder auch die Entschärfung von Bomben. EO verfügen qua Auftrag über ein sehr spezifisches Potenzial an Fähigkeiten. Dies muss im kon kreten Einsatzfall jederzeit individuell abrufbar sein. Damit dieses Abrufen – und somit eine erfolgreiche Einsatzdurchfüh rung – gelingt, ist es von elementarer Bedeutung, das relevante Know-how möglichst adäquat zu managen. Dies gestaltet sich jedoch als herausfordernd, da Einsätze häufig wissens- und kommunikationsintensiv sowie schwer planbar sind. Überdies finden sie zum Teil nur sehr unregelmäßig statt. Da Einsatzer
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==