Personal Quarterly 3/2021
18 PERSONALquarterly 03 / 21 SCHWERPUNKT _WISSENSTRANSFER sodass doch eher bei erfahrenen Kolleginnen und Kollegen nachgefragt wird. Expertensysteme bieten dagegen vermutlich geringere Lernmöglichkeiten, weil Teilschritte automatisiert sind, die gar nicht mehr von Anwenderinnen und Anwendern ausgeführt werden sollen. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um das Erlernen des Umgangs mit dem Expertensystem, sondern um die Aufgaben, die das Expertensystem übernimmt. Zudem stehen solche Systeme nur für eine sehr begrenzte Anzahl an Aufgaben zur Verfügung. Besonders interessant scheinen die Electronic-Performance-Support-Systeme (EPSS), da sie Lernmöglichkeiten eröffnen, aber den Aufwand und damit die Hürden des Recherchierens verringern. Electronic-Performance-Support-Systeme EPSS werden definiert als „an electronic infrastructure that captures, stores, and distributes individual and corporate know ledge assets throughout an organization to enable individuals to achieve required levels of performance in the fastest possible time and with a minimum of support from other people“ (Noe, 2017, S. 368). Wenngleich die Idee der EPSS aus den 1990er Jahren stammt (z. B. Gery, 1995), scheinen die technologischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung erst in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten bereitzustehen. So wer den sich Nutzerinnen und Nutzer der Microsoft Office-Pakete der frühen 2000er Jahre noch an Karl Klammer (engl. Clippit oder Clippy) erinnern und sich damals vermutlich über den meist fehlenden Problembezug seiner Fragen und Tipps sowie das unverhältnismäßige Ausbremsen der Rechnerleistung bei seinem Auftauchen geärgert haben. Heutige Softwarelösungen und Rechnerleistungen haben mit diesen holprigen Anfängen nur noch wenig gemein. Hinsichtlich der Implementierung von EPSS differenziert Gery (1995) zwischen (1) externalen, (2) extrinsischen und (3) intrinsischen EPSS: 1. Externale EPSS sind nicht in das System integriert und die bereitgestellten Informationen sind nicht kontextspezifisch. Hierunter fallen bspw. unternehmensinterne oder software bezogene Informationsangebote und Wissensportale inkl. Suchfunktionen oder Help Desks. Passende Hilfeinhalte müssen somit zunächst in einem ggf. größeren Bestand un ter Umständen aufwendig und zeitintensiv gesucht werden. 2. Extrinsische EPSS zeichnen sich durch Kontextsensitivität aus, das heißt, die angezeigten Informationen beziehen sich auf die aktuelle Aufgabenstellung. Die Informationen wer den jedoch außerhalb der Benutzeroberfläche der jeweiligen Software in einem eigenen Fenster angezeigt. Beispiele für extrinsische EPSS sind Advisors, Wizards, Cue Cards und Online-Dokumentationen. 3. Intrinsische EPSS stellen die kontextsensitiven Informatio nen direkt innerhalb der Benutzeroberfläche (User Interface) der betreffenden Software bereit. Aufgrund der Integration ist es Nutzerinnen und Nutzern kaummöglich, zwischen der eigentlichen Software und dem EPSS zu unterscheiden. Ein Beispiel für ein intrinsisches EPSS sind die integrierten Hil fen in SAP S/4HANA Cloud. Hierbei werden Eingabefelder, Anzeigen oder Symbole, für die Informationen zur Verfü gung stehen, grafisch hervorgehoben. Durch Anklicken werden kurze Informationstexte auf der Benutzeroberfläche angezeigt. Gelingt die adäquate Bereitstellung granularer Informationen im richtigen Kontext, so erhofft man sich dadurch eine Leis tungssteigerung bei alltäglichen Arbeitsaufgaben (Gery, 1995; Nguyen/Klein, 2008). Zusätzlich können EPSS auch bei bis her unbekannten Funktionalitäten, Updates von Funktionen oder sehr seltenen Aufgaben hilfreich sein (Mao/Brown, 2005). Damit können EPSS auch als Unterstützung im Onboarding von neuen Mitarbeitenden hilfreich sein, um – wenigstens bei einfachsten Funktionen – eine „day-one performance“ (Gery, 1995, S. 48) zu ermöglichen. Schließlich können EPSS formale Trainings ergänzen, indem sie im Sinne eines „Scaffoldings” den Transfer des Erlernten erleichtern (Mao/Brown, 2005). Allerdings werden bereits seit Einführung des EPSS-Begriffs in den frühen 1990er Jahren auch mögliche Nachteile für das Ler nen am Arbeitsplatz diskutiert, da durch die situative Bereit stellung des Wissens die Notwendigkeit fehle, dieses Wissen überhaupt zu memorieren (Geber, 1991). Zudem wird befürch User-Typ Beschreibung N Gelegentliche/-r Nutzer/-in Ich nutze das ERP-System, um bspw. meinen Urlaub genehmigen zu lassen, einen Reise- antrag zu stellen oder für Aktionen, die nur quartalsweise oder einmal im Jahr anfallen. 182 Endanwender/-in Ich nutze das ERP-System regelmäßig als Be- standteil meiner üblichen Arbeitstätigkeiten. 320 Experte/-in Ich habe die Rolle „Key-User/-in“ und/oder ich bin innerhalb meiner Abteilung oder meines Teams die Person, die bei Fragen zum ERP- System angesprochen wird. 91 Administrator /-in oder SAP Berater/-in Im Rahmen meiner Tätigkeit bin ich für die Konfiguration und Anpassung des ERP-Systems zuständig. Oder: Im Rahmen meiner Tätigkeit berate ich andere Unternehmen hinsichtlich der Software von SAP. 59 Quelle: Eigene Darstellung Abb. 3: ERP-User-Typen und Beschreibung
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