Personal Quarterly 3/2021
16 PERSONALquarterly 03 / 21 SCHWERPUNKT _WISSENSTRANSFER A rbeitsaufgaben an Büroarbeitsplätzen werden kom plexer, da Routinetätigkeiten zunehmend automati siert oder outgesourct werden. Es verbleiben mehr problemhaltige Aufgaben, für die es keine Routine lösungen gibt. Die zur Bearbeitung dieser Probleme verwende ten Software-Werkzeuge werden ebenfalls komplexer und nicht selten wird deren Handhabung selbst zum Problem. Ein Pro blem ist eine Situation, in der einem Individuum das Wissen fehlt, wie ein aktuelles Handlungsziel erreicht werden kann (Newell/Simon, 1972). Damit ist ein Problem aber zugleich auch eine Lerngelegenheit, wenn es nämlich gelingt, das pro blemlösende Handlungswissen zu erlangen und zu speichern. Aus soziokultureller Perspektive heißt lernen immer lernen, etwas mithilfe kulturell erworbener Werkzeuge („cultural tools“, Säljö, 1999) zu tun, wobei der Werkzeugbegriff hier nicht nur physische Werkzeuge, sondern auch intellektuelle Konzepte wie bspw. die Fachsprache oder spezifische Kalkula tionsschemata einschließt. Dabei wird das sprichwörtliche Rad aber meist nicht neu erfunden, sondern es erfolgt ein Transfer von bereits an anderer Stelle erzeugtem Wissen. Werkzeuge an heutigen Büroarbeitsplätzen sind typischerweise komplexe Software-Anwendungen wie bspw. eine Enterprise Resource Planning (ERP) Software oder eine Tabellenkalkulation. Grund legende Funktionen werden in der Regel in formalen Trainings erlernt, aber häufig kommt es bei der Anwendung im Alltag, bei Ausnahmen, Fehlern und Problemen oder bei Software- Updates zu einem „Moment of Need“ (Gottfredson/Mosher, 2011), also einem aktuellen Wissensdefizit in einer konkreten Arbeitssituation. Ein Problem stößt in der Regel eine Reflexion an bzw. ruft laut Karl Duncker, einem Pionier der Problemlöse forschung, „das Denken auf den Plan“ (Duncker, 1935, S. 1). Meist werden dann weitere Informationen gesucht und in die Denkprozesse einbezogen. In ihrer Systematisierung von Infor mationsquellen am Arbeitsplatz unterscheiden Rausch, Schley und Warwas (2015) zwischen eigenen und fremden Plänen auf Basis indirekter Erfahrung in Form von mentalen Modellen der Problemsituation oder unmittelbaren Erfahrungen aus der direkten Interaktion mit der Problemsituation (vgl. Abb. 1). Bei der Suche nach einer Problemlösung sind ausgehend und begleitet von eigenem Denken verschiedene Reihenfolgen und Wissenstransfer am Arbeitsplatz durch Performance Support Von Prof. Dr. Andreas Rausch und Tamara Vanessa Leiß (Universität Mannheim) Kombinationen bei der Nutzung weiterer Informationsquellen denkbar. Wird das zur Lösung der Problemsituation erworbene Wissen gespeichert, stellt die gleiche Situation beim nächsten Mal kein Problem mehr dar, das heißt, ein zielführender Werk zeugeinsatz wurde erlernt. Befunde einer Tagebuchstudie mit erfahrenen Büroangestellten und Auszubildenden unterstrei chen das Lernpotenzial domänenspezifischer Probleme im Arbeitsprozess. Zudem zeigt sich, dass Nachfragen die mit Abstand am häufigsten gewählte Informationsquelle ist und auch relative Expertinnen und Experten in Problemsituationen häufiger auf Nachfragen als auf Nachschlagen zurückgreifen (Rausch et al., 2015). Dieses Nachfragen bindet allerdings wertvolle Ressourcen, nämlich die Arbeitszeit der angefragten Expertinnen und Experten, und aufgrund dieses Ressour cenengpasses ist Nachfragen ggf. nicht immer verfügbar. Im vorliegenden Beitrag werden Electronic-Performance-Support- Systeme (EPSS) als mögliche Ergänzung vorgestellt, und es werden erste Befunde aus einem aktuellen Forschungsprojekt zur Unterstützung des Lernens am Arbeitsplatz präsentiert. Mentale Modelle („Theorie”) Unmittelbare Erfahrung („Empirie”) Eigener Hand- lungsplan Denken (mentale Simu- lation, Analogieschluss, Extrapolation, Abstraktion, Reduktion etc.) Ausprobieren (Hypothe- sentest, Trial-and-Error- Verhalten etc.) Fremder Hand- lungsplan Nachfragen bei anderen Personen Nachschlagen in Handbü- chern, Richtlinien, Check- listen, Lösungsbeispielen, EPSS etc. Beobachten anderer Personen beim Lösen des Problems Quelle: adaptiert von Rausch et al., 2015 Abb. 1: Informationsquellen beim Problemlösen
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