PERSONAL quarterly 2/2020

24 PERSONALquarterly 02/20 SCHWERPUNKT _NEW WORK Flexibilisierung vor Enthierarchisierung Insbesondere die Stoßrichtung von New Work, die die ört- liche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit realisiert, ist am meisten vorangeschritten und erscheint deutlich selbst- verständlicher als z. B. weitgehende Demokratisierungsansät- ze in Bezug auf unternehmensstrategische Entscheidungen. Orts- und zeitbezogene Flexibilisierung bedient Interessen der Dispositionsfähigkeit des Unternehmens, ist aber auch eine Reaktion auf die Arbeitsmarktsituation, die Mitarbeitenden ei- ne größere Marktmacht verleiht und deren Forderungen nach Arbeitsformen mit größerer Vereinbarkeit von Berufs- und Pri- vatleben unterstützen. Dabei profitieren diese Arbeitsformen von der aktuellen Arbeitsmarktsituation, auch massiv von den sich aktuell schnell weiterentwickelnden IT-Komponenten, die viele Formen virtueller Zusammenarbeit auch über Zeitzonen hinweg möglich machen. So grundlegend die Flexibilisierung im Einzelnen auch das Arbeitserleben des einzelnen Mitarbei- ters ändert – sie berührt per se nicht angestammte, macht- und funktionsorientierte Veränderungen und erscheint daher auch leichter durchsetzbar. Auch wenn die Referentenzusammenstellung bei mancher Veranstaltung das Gegenteil vermuten lässt: Der Möglich- keitsraum für New Work ist sehr groß und findet ebenso in tradierten Großunternehmen „alter“ Branchen erfolgreiche Umsetzungsformen. Auch in produzierenden Unternehmen sind z. B. Ansätze verstärkter Selbstorganisation in der Ar- beitsplanung gut umsetzbar. Was über die Umsetzungsformen von New Work entscheidet Produktionsbedingungen und die Charakteristika der Ar- beitsprozesse haben genauso wie die Unternehmensgröße klaren Einfluss auf die Möglichkeit, spezifische New-Work- Konzepte umzusetzen. Ortsflexible Arbeit funktioniert nicht für produzierende Arbeitseinheiten am Band; spezifische Flexibilisierungsformen, z. B. der Arbeitszeitflexibilisierung und -individualisierung, machen eine bestimmte „Spielmasse“ an Mitarbeitenden nötig und erfordern ein ermöglichendes Flexibilisierungsmanagement – und damit letztlich eine hin- reichende Unternehmensgröße, die die notwendigen internen Servicefunktionen vorhalten kann. Aber unsere Fallstudien konnten zeigen: Auch in einem Handwerksunternehmen kann flexible und teamorganisierte Schichtplanung realisiert wer- den; ebenso wie in produzierenden Strukturen ein höheres Maß an Selbstorganisation und Teamverantwortlichkeit mög- lich ist, wenn Mitarbeitenden moderne Planungstools zur Ver- fügung gestellt werden und sie neue Entscheidungsspielräume gewährt bekommen. Die Ergebnisse der Studie zeigen meines Erachtens, welche Herausforderung darin besteht, Veränderungen in Richtung von New Work nicht nur in ausgewählten, kleinen Pilotbe- reichen zu etablieren, sondern diese in einem breiteren Ansatz systematisch auf die Gesamtorganisation zu übertragen. Die damit angesprochene Situation der Ambidextrie – der erfor- derlichen Beidhändigkeit der Steuerung von Bereichen unter- schiedlicher Geschwindigkeiten innerhalb einer Organisation – ist ein derzeit intensiv debattiertes Thema der Organisa- tions- und Arbeitswissenschaft. Spannend wird vor allem die Frage, inwieweit es Unternehmen in Zukunft erfolgreich schaf- fen werden, verschiedene Arbeitsformen „unter einem Dach“ auszuhalten bzw. wie eine mittelfristige Durchmischung oder Angleichung der beiden Geschwindigkeiten aussehen kann und wird. Ich bin überzeugt davon, dass die kommende Phase der digitalen Transformation in der Beantwortung dieser Frage eine wichtige Aufgabe hat. Im Spannungsfeld von Hierarchie und Selbstorganisation Einige Fallstudien zeigen die praktischen Umsetzungshürden von weniger hierarchischen Organisationsformen und mehr Partizipation. Dies waren auch die Umsetzungsformen der New Work, die bei öffentlichen Projektveranstaltungen das größte Interesse fanden, aber auch die intensivsten Debatten ausgelöst haben. Sie sind faszinierend, verändern sie doch ganz grund- legende Festlegungen und Machtgefüge in Organisationen, die bis heute überwiegend hierarchisch organisiert sind. So erstre- benswert ein Mehr an Beteiligung in der Regel grundsätzlich ist, so intensiv wird dann im Umkehrschluss auch über ein gesundes Maß und mögliche praktische Umsetzungsformen diskutiert. Die möglichen Schattenseiten von hierarchiefrei- en, hochgradig partizipativen Strukturen waren ein wichtiges Thema: lange und zeitintensive Diskussionsrunden, (zu) viel Zeit für Kommunikation, die teilweise auch als unangemessen empfunden wurde. Auch wenn die jeweiligen Organisationen Höhen und Tiefen durchschritten hatten: Grundsätzlich infrage gestellt wurden diese Prinzipien nicht. Wie so oft, kommen allerdings bei der intensiven Auseinandersetzung mit solchen neuen Organisationsprinzipien die Vorteile der „alten“ wieder nach vorne: Hierarchie organisiert schnelle Entscheidungs- wege, klare Verantwortlichkeiten, spart Zeit – je nach Ent- scheidungssituation und marktspezifischer Anforderung sehr starke Argumente. Es kommt darauf an, für welche Arbeits- prozesse, für welche Organisationsmitglieder und für welche Kunden gearbeitet wird. New Work erfordert einen dauerhaften Kulturwandel In unseren vielen Gesprächen mit Mitarbeitenden, Führungs- kräften und Interessensvertretern wurde eine alte Erkenntnis des Veränderungsmanagements bestätigt: Etablierte Struk- turen, über längere Zeit gewachsen, prägen die Kultur und erfordern eine langandauernde Kraftanstrengung, die Betei- ligten im Sinne der neuen Ansätze wirklich in Bewegung zu bringen. Die alte Kultur „zieht“ zurück – und muss für die er- folgreiche Veränderung sehr entschlossen durch ein nachvoll-

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==