PERSONALquarterly 3/2020
50 SERVICE _DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE PERSONALquarterly 03/20 P ünktlich zum Lockdown entdeckte die Taz am 23. März die Online-Lehre: „Plötzlich Realexperiment“. Schon am 14. März hatte das Handelsblatt unter der Überschrift „Schulschließungen legen Versäumnisse der Länder bei Digitalisierung in der Bildung offen“ kritisch berichtet, dass bisher sehr wenig Geld aus dem Digitalpakt abgerufen wurde. Mit der Zukunft wiederum beschäftigte sich am 19. März der Tagesschau-Podcast „Wie Corona Bildung re- volutionieren könnte“. Und die Süddeutsche Zeitung fordert Lehrer und Schüler am 13. März zwar mit dem Artikel „In Zeiten des Coronavirus ist die Digitalisierung ein Segen“ zum Experimentieren auf, sieht am 24. April die deutschen Schulen allerdings eher „im digitalen Dickicht“ herumirren. Doch nicht nur in und für allgemeinbildende Schulen ist Online-Bildung die mal schrille, mal lebhafte Begleitmusik zu Covid-19. Auch das Hochschulwesen und die Erwachse- nenweiterbildung trifft die Pause alles Analogen zumeist un- verhofft und unvorbereitet. Ob die Volkshochschulen oder die Anbieter von Fach- und Führungsseminaren: Darauf, online zu unterrichten, war nur eine Minderheit der Marktteilneh- mer eingestellt. Zwar verzeichnet das MMB-Institut in Essen im jährlichen Branchenmonitor „E-Learning-Wirtschaft“ zwei- stellige Wachstumsraten, Präsenzunterricht aber liegt immer noch weit vorn. Seit März stieg das Interesse an der abstands- wahrenden Fortbildung schlagartig. Rasch wurden virtuelle Klassenräume installiert, Webinare gebucht, Erklärvideos heruntergeladen und auch mobile Selbstlernprogramme er- hielten einen Schub. „Krisengewinnler E-Learning“ titelt denn auch das Magazin Wirtschaft + Weiterbildung im Mai. Deshalb passt das Forschungsprojekt „Work & Study“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ seit 2014 gefördert wird, gut in die aktuelle Blended-Learning-Landschaft. Das bundesländerübergreifen- de Verbundprojekt der Hochschulen Worms, Koblenz, Bonn- Rhein-Sieg sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes entwickelt ein wirtschaftswissenschaftliches Studium für Menschen, die traditionell nicht studieren. Be- sonderheiten wie die Anrechnung von Leistungsnachweisen etwa aus IHK-Kursen und anderen beruflichen Zertifikaten Die Digitalisierung der Bildung erhält durch die Corona-Zwänge einen kräftigen Schub. Damit werden in Schule, Hochschule und Weiterbildung Schieflagen sichtbar. Digitaltools innovativ einsetzen soll Berufstätigen den Einstieg erleichtern – entweder mit dem Ziel, direkt einen Bachelorabschluss zu erlangen oder einzelne Zertifikate zu sammeln, die zu einem späteren Zeitpunkt zum Gesamtabschluss führen können. Kurze Präsenzzeiten und längere E-Learning-Phasen sol- len sich ablösen. Noch existiert der Studiengang nicht, aber die Forscher wollen diesen gerne in naher Zukunft umset- zen – wenn die Finanzierung gesichert werden kann. So un- tersuchte Henning Kehr, Wirtschaftsprofessor und Leiter des Forschungsprojekts Work & Study an der Hochschule Worms, mit seinem Team zur Projektabrundung, welchen ergän- zenden Beratungs-, Orientierungs- und Unterstützungsbedarf nichttraditionell Studierende haben und wie die Hochschulen ein Unterstützungssystem gestalten müssen, um diesen Be- dürfnissen gerecht zu werden. „Die Hochschulen mit ihren Lernplattformen sind da durchaus im Vorteil“, sagt Kehr. Und schließt an: „Natürlich steigt das Interesse an diesen Formaten in diesen Corona-Zeiten.“ Allerdings versteht der Hochschul- lehrer weit mehr als Video-Vorlesen unter Digitalisierung. Denn auch durch Problem Based Learning können in Online- szenarien positive Lerneffekte erzielt werden. Professor Kehr: „Mit spielerischen Lehrformen kann man zum Beispiel statis tische Verfahren gut vermitteln.“ Ein Online-Wettbewerb zum Wechselkursmanagement überzeugte die Testpersonen – und machte sogar Spaß. Per Video wenig Raum für Emotionen und Smalltalk Auch wenn Online-Lernen gerade einen kräftigen Schub erhält, pur genossen fehlt dieser Lernform eine gute Portion Emo- tionalität. Davon ist jedenfalls Anne Burmeister überzeugt, Professorin an der Rotterdam School of Management. Die HR- Forscherin hat als Projektleiterin mit Kollegen für den Goinger Kreis empirisch das Thema Emotionen in der virtuellen Zusam- menarbeit untersucht. Unter dem Titel „Fernverbindung“ wur- den die Ergebnisse im April publiziert. Die Technik hat weit besser funktioniert als vielfach erwartet. Leitungen standen, die Software war beherrschbar. Doch die Studienergebnisse offenbaren Probleme auf der zwischenmenschlichen Ebene: Mitarbeiter, die Interaktion und Unterstützung brauchen oder introvertiert sind, fühlen sich schneller isoliert und alleinge- Ruth Lemmer , Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg
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