PERSONALquarterly 3/2020
46 ESSENTIALS _REZENSIONEN PERSONALquarterly 03/20 D ienende Führung („servant leadership“) bezeichnet einen Führungsstil, bei dem die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Mitarbeitenden für die Füh rungskraft an erster Stelle stehen. Zahlreiche Un tersuchungen weisen darauf hin, dass dienende Führung mit positiven Konsequenzen für die Mitarbeitenden verbunden ist, wie bspw. einer höheren Arbeitszufriedenheit und besseren Leistungen. Eine aktuelle Studie nimmt nun einen Perspektiv wechsel vor und widmet sich den Auswirkungen dienender Führungsverhaltensweisen auf die Führungskräfte selbst. Genauer gesagt wurde der Frage nachgegangen, inwiefern die tägliche Ausübung dienenden Führungsverhaltens die Selbstkontrollfähigkeiten von Führungskräften beeinträchti gen könnte. Die Idee ist, dass die Ausübung dienender Füh rungsverhaltensweisen die begrenzte Menge an Ressourcen, die für die Kontrolle von Gedanken, Gefühlen und Handlungen zur Verfügung stehen, beanspruchen und gegebenenfalls er schöpfen könnte („Selbsterschöpfung“). Zudem nahmen die Autor/innen an, dass Führungskräfte mit gut ausgeprägter Fähigkeit zur Perspektivübernahme weniger Selbstkontrolle ausüben müssen, um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu erkennen und dementsprechend „dienend“ zu handeln. Somit sollten Führungskräfte, die gut darin sind, die Perspektive anderer zu übernehmen, durch die Ausübung dienender Füh rungsverhaltensweisen weniger stark beansprucht werden und somit auch weniger Selbsterschöpfung erleben. Zur Über prüfung dieser Annahmen wurden insgesamt zwei Tagebuch studien durchgeführt, in denen Führungskräfte (Studie 1: 146 Führungskräfte in diversen Branchen mit mindestens einem Mitarbeitenden, Studie 2: 56 Führungskräfte aus einem MBA- Studiengang) über 5 bzw. 10 Arbeitstage hinweg täglich nach Feierabend zu ihrem Führungsverhalten sowie zum Ausmaß ihrer Selbsterschöpfung befragt wurden. Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme wurde als personenbezogenes Merkmal einmalig in einem allgemeinen Fragebogen eine Woche vor Be ginn der täglichen Befragungen erfasst. Die Auswertung ergab, dass Führungskräfte mit gering ausgeprägter Fähigkeit zur Perspektivübernahme an Tagen, an denen sie viele dienende Ist dienendes Führungs- verhalten dienlich für Füh- rungskräfte? C henwei Liao, Hun Whee Lee, Russell E. Johnson (Michi- gan State University), Szu-Han (Joanna) Lin (University of Massachusetts Amherst): Serving You Depletes Me? A Leader- Centric Examination of Servant Leadership Behaviors. Journal of Management. Advance online publication. Führungsverhaltensweisen zeigten, mehr Selbsterschöpfung erlebten. Außerdem tendierten sie am nächsten Tag dazu, mehr passive („laissez-faire“) Führungsverhaltensweisen zu zeigen. Für Führungskräfte mit gut ausgeprägter Fähigkeit zur Perspektivübernahme zeigte sich hingegen ein anderes Bild. Sie erlebten an Tagen, an denen sie viele dienende Führungs verhaltensweisen ausübten, weniger Selbsterschöpfung und zeigten am nächsten Tag auch weniger Laissez-faire-Führungs verhaltensweisen. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte allerdings beachtet werden, dass in der Studie nicht direkt die Ausübung von Selbstkontrolle, sondern die Erschöpfung der Ressourcen für diese erfasst wurde, sodass die genauen Mechanismen zur Erklärung der Zusammenhänge nicht ganz klar sind. Zudem kann die Frage nach der Wirkrichtung nicht beantwortet werden, da das dienende Führungsverhalten und die Selbsterschöpfung zum gleichen Zeitpunkt erfasst wurden. Dennoch zeigt die Studie in sehr interessanter Weise auf, dass es wichtig ist, die täglichen Schwankungen von Führungsver haltensweisen ebenso wie die Auswirkungen von Führung auf die Führungskräfte selbst zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Praxis deuten die Ergebnisse darauf hin, dass – trotz der zahlreichen positiven Konsequenzen für die Mitarbeitenden – die Anforderungen, die dienende Führung an Führungskräfte stellt, nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Es sollte ver sucht werden, möglichen ungünstigen Auswirkungen dienen der Führung auf Führungskräfte entgegenzuwirken, indem z. B. ausreichende Möglichkeiten zur Erholung geschaffen werden. Zudem sollte die Fähigkeit der Führungskräfte zur Perspektivübernahme bspw. durch Trainings (weiter-)entwi ckelt werden, um sicherzustellen, dass Führungskräften zur Ausübung dienender Führungsverhaltensweisen eine ausrei chende Menge an Ressourcen für Selbstkontrolle zur Verfü gung steht. Besprochen von Maie Stein , Lehrstuhl für Arbeits- und Organi- sationspsychologie, Universität Hamburg
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