PERSONALquarterly 4/2020
9 04/20 PERSONALquarterly um sich selbst zu entwickeln. In der Wachstumsphase sind sowieso Abhängigkeiten da, sowohl von finanziellen als auch von anderen Ressourcen. In dieser Phase muss man sich ge- sellschaftsrechtlich vernünftig einigen, um langfristig zusam- menzubleiben. Das ist eine starke Bindung. In den Verträgen legen wir klare Regeln fest, wie kommuniziert wird, wer wel- che Aufgaben und Kompetenzen hat und zu welchem Ausmaß Entscheidungen individuell oder gemeinschaftlich getroffen werden können. PERSONALquarterly: Teams in der Frühphase befinden sich noch in einer Blase. Sozusagen mit sich und den Kunden. Es ist vor allem das Top-Management-Team, welches sie jeden Monat treffen und an das sie direkt berichten. Der Erstkontakt mit den Fachabteilungen kann aber schnell herausfordernd werden. Wie bereitest du deine etablierten Mitarbeiter auf die Zusammenar- beit mit den (potenziellen) Spin-offs vor? Andreas Hartmann: Nach intern kommuniziere ich die Chancen, die mit diesen Projekten verbunden sind. Wir laden die Teams ein und promoten sie. Aber natürlich gibt es am Anfang Situ- ationen, in denen die Fachabteilungen fragen: „Was wollen die denn jetzt von mir, die jungen Leute?“ Der Grund für die Heraus- forderungen liegt vor allen Dingen in den unterschiedlichen Ge- schwindigkeiten. Die Innovationsteams sind viel schneller als wir in den „Bewahrerorganisationen“. Die bestehende Struktur muss dafür Sorge tragen, das Geschäftsmodell vernünftig abzu- wickeln. Veränderungen gehen daher langsam voran. In unseren Spin-offs ist das grundsätzlich anders. Aus der schnellen Veränderung ziehen sie sozusagen ihre Existenzbe- rechtigung. Sie müssen schnell sein und sich zum Teil radikal verändern, um sich an Marktbedingungen und Kundenbedürf- nisse anzupassen. Das gilt gerade auf dem Gebiet der digi- talen Plattformen, auf dem sog. Winner-Take-All-Dynamiken Wachstum erzwingen. Solche Kulturen treffen immer wieder aufeinander. Bspw. schlagen Mitarbeiter des Spin-offs die Hän- de über dem Kopf zusammen, wenn sie zwei Tage auf eine Ent- scheidung der Fachabteilung warten müssen, die festlegt, ob sie nun dieses oder jenes Foto für einen Artikel nutzen dürfen. An diesen Schnittstellen gibt es Konflikte, bei denen sich die Verantwortlichen der Fachabteilungen zurecht auf den Schlips getreten fühlen. Nach den ersten Erfahrungen haben wir als Organisation gelernt. Wir setzen uns mittlerweile imVorhinein mit den Fachabteilungen zusammen und sagen ihnen: Da kom- men bald Wildpferde vorbeigeritten und die brauchen euch. PERSONALquarterly: Welche Signale sendet ihr Gesellschafter in die bestehende Organisation, dass ihr es ernst meint mit dem Thema Corporate Entrepreneurship? Andreas Hartmann: Ich versuche, in meiner Organisation die Leute für Veränderung zu sensibilisieren. Wir haben in unserer Orga- nisation aber grundsätzlich einen großen Veränderungswillen. Im Corporate Entrepreneurship ist es die Hauptaufgabe eines Unternehmers auch bei der operativen Mannschaft ein Ver- ständnis dafür zu erzeugen, dass Veränderungen notwendig sind. Ohne den Veränderungswillen können die Ideen noch so toll sein. Es wird sich nichts ändern. Unsere Führungsmann- schaft hat die Kommunikation sehr gut hinbekommen, selbst vor dem Hintergrund disruptiver Ansätze, die dem einzelnen Mitarbeiter auf die Füße fallen können. Auf Gesellschafterebene haben wir das Thema Corporate Entrepreneurship prominent besetzt. Wir haben frühzeitig ge- fragt, wer Spaß hätte, das Thema zu treiben. Es haben sich ein- flussreiche Gesellschafter gemeldet, welche die Marktchancen der Digitalisierung nicht anderen überlassen wollten. Und die Aufgaben haben alle mit Herz und Seele ausgefüllt. Wir sind eine Kooperation und leben auch an dieser Stelle Kooperation mit vielen engagierten Führungspersönlichkeiten. Außerdem merke ich, wie wahnsinnig viel ich gelernt habe. Die Corporate- Entrepreneurship-Aktivitäten haben mein Leben bereichert, auch weil es einfach so spannend ist. PERSONALquarterly: Wir wissen aus der Forschung, dass die Unter- stützung von Spin-offs gut funktioniert, bis sie aus den Kinder- schuhen herausgewachsen sind. Die Schwierigkeiten kommen auf, wenn die Anforderungen und die zeitliche Belastung der Unterstützer aus dem Top-Management im „Nebenjob“ zu groß werden. An dieser Stelle entstehen häufig Grabenkämpfe und das im Brutkasten aufgezogene Baby wird plötzlich von man- chem als Findelkind wahrgenommen. Wie begegnest du diesen Herausforderungen? Andreas Hartmann: Wenn Mitglieder des Spin-offs unter Druck kommen und auf meine Kollegen und mich zukommen, sind wir gefordert, Probleme, Sorgen und Nöte im Gesellschafter- kreis darzulegen und für weitere Unterstützung zu werben. An dieser Stelle ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, weil neue Geschäftsmodelle immer mal wieder von der Seite in die beste- henden Geschäftsmodelle reingrätschen. Wir beobachten auch, dass nicht überall die Akzeptanz vor- handen ist. In diesen Momenten erinnern wir uns gegenseitig an die gemeinsame Mission. Wir haben uns damals bewusst für einen disruptiven Ansatz entschieden. Mit allen Konse- quenzen. Die Konsequenzen sind, dass wir uns unter Um- ständen Wettbewerb durch unsere eigenen Spin-offs schaffen. Unsere Mission als Stückgutnetzwerk zielt darauf ab, gemein- schaftlich Marktanteile zu verteidigen und keine Kundenzu- gänge zu verlieren. Die fortschreitende Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit dazu, auch wenn Phasen entstehen können, in der wir die alten Geschäftsmodelle mit den neuen Geschäfts- modellen torpedieren. In diesen Momenten müssen wir uns die Vorteile für das bestehende System ins Gedächtnis rufen. Wir erreichen schon jetzt Kundengruppen, die wir ohne die digitalen Spin-offs nicht erreicht haben.
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