PERSONALquarterly 4/2020
54 SERVICE _EVIDENZ ÜBER DEN TELLERRAND PERSONALquarterly 04/20 D er Beginn der Corona-Pandemie 2020 war von enor- mer Komplexität und Unsicherheit geprägt. Sowohl die exponentielle Verbreitung des Virus als auch das unzureichende Wissen über das Virus selbst recht- fertigten zwar zu diesem Zeitpunkt ethisch und auch verfas- sungsrechtlich die ergriffenen politischen Maßnahmen und den massiven, nahezu flächendeckenden Eingriff in Grundrechte. Doch das auf die gesundheitliche Pandemiekrise folgende sozi- ale und ökonomische Leid der mittelbar und unmittelbar Betrof- fenen blieb vorerst oftmals ungewiss. Selten war der Wunsch nach der Glaskugel größer, denn innerhalb kürzester Zeit waren politische Entscheidungen von enormer Tragweite und gesell- schaftlicher wie ökonomischer Durchdringungskraft zu treffen. Sich dieser Unsicherheit zu stellen, ist eine der wichtigsten Kernaufgaben der politisch handelnden Akteure – um der Gefahr von gesellschaftlicher Spaltung durch Polarisierung und Populis- mus entgegenzuwirken und auch um das Vertrauen in die Politik und schlussendlich die repräsentative Demokratie zu stärken. Doch da es die Glaskugel auf absehbare Zeit nicht geben wird, sind andere Instrumente gefragt, um Orientierung in un- sicheren Zeiten zu geben. Insbesondere muss sich die Politik in einer komplexen Lage den umfassenden Abwägungsprozessen und Zielkonflikten stellen und diese – ebenso wie die politischen Entscheidungen selbst – transparent, faktenbasiert, gut begrün- det und nachvollziehbar für die Öffentlichkeit darstellen. Um risikoadaptiert und faktenbasiert in der Corona-Pandemie agieren zu können, ist daher ein ganzheitlicher Ansatz gefordert, der der Komplexität der Gesamtlage trotz aller Unsicherheiten gerecht wird und auch die mittel- bis langfristigen Folgen der Kri- se in den Blick nimmt. Eine Möglichkeit bietet die systematische und kontinuierliche Erhebung, Aufbereitung und Analyse von Daten, die für die politischen Entscheidungen von Relevanz sind. Unter Einbindung wissenschaftlichen Sachverstands sind dazu in einem ersten Schritt aussagekräftige (Früh-)Indikatoren und Kriterien zusammenzustellen. Anschließend sind Datenquellen zu identifizieren und die Datenlage ist einer Qualitätsprüfung zu unterziehen, auch in Hinblick auf Erhebungsfrequenzen und Aktualität. Nach der Erarbeitung eines Prozesses zur kontinu- ierlichen Datenerhebung und -bereitstellung sind die Daten und Fakten grafisch in Form von Diagrammen, Zeitreihen oder inter- aktiven Karten aufzubereiten und in einem Dashboard zusam- menzuführen, ähnlich einem übersichtlichen Armaturenbrett. Mit dem Corona-Dashboard des Landes Nordrhein-Westfalen folgt die nordrhein-westfälische Landesregierung diesem An- satz und nimmt dabei die Empfehlung des Expertenrats Corona auf, neben den epidemiologischen und medizinischen Daten und Fakten zum Infektionsgeschehen auch ökonomische und soziale Folgewirkungen in den Blick zu nehmen, die aus den politisch beschlossenen Maßnahmen zur Stabilisierung des Gesundheitssystems und zur Eindämmung des Virus resultie- ren. Auf der Grundlage von insgesamt 50 Indikatoren werden im Dashboard neben den tagesaktuellen Entwicklungen beim Infektionsgeschehen auf Landes- und Kreisebene, bei der Kran- kenhausbelegung oder bei den mit dem Coronavirus in Ver- bindung stehenden Sterbefällen auch ökonomische Kennzahlen sowie soziale Indikatoren abgebildet. Darunter befinden sich die genehmigten Anträge auf Soforthilfe, die Umsatzentwicklung in unterschiedlichen Branchen, Geschäfts- und Konsumerwar- tungen, das Verkehrsaufkommen auf Straßen und an Flughäfen sowie die in Anspruch genommene Grundsicherung, das An- ruferaufkommen bei der Telefonseelsorge, die Aufnahmen in Frauenhäuser und die Auslastungen im Kita- und Schulbetrieb. Corona-Dashboard: Blaupause für komplexe Politikthemen Die komplexe Lage und der sich aus den auftretenden Zielkon- flikten ergebene Abwägungsprozess werden so transparent und nachvollziehbar für die Öffentlichkeit dargestellt. Dabei wird bewusst auf eine Interpretation oder Gewichtung der einzelnen Indikatoren verzichtet. Die Abwägung möglicher Zielkonflikte und die Interpretation der Daten bleibt Aufgabe der politisch handelnden Akteure. Das Dashboard ist vollum- fänglich öffentlich zugänglich und dient in dieser bundesweit einmaligen Konzeption nicht nur der Landesregierung als Basis für faktenbasierte politische Entscheidungen, sondern adressiert auch politische Mandats- und Entscheidungsträger von der kommunalen bis zur bundespolitischen Ebene sowie die breite und interessierte Öffentlichkeit. Dieser daten- und faktenorientierte Ansatz lässt sich als Blaupause auf andere politische Themen übertragen, die von Komplexität und Unsicherheit bestimmt werden, wie Krisensi- tuationen, aber auch länger andauernde Transformations- und Veränderungsprozesse mit gesamtgesellschaftlichen Auswir- kungen wie die Digitalisierung. www.corona-dashboard.nrw; ww w.land.nrw/expertenrat-corona Daten systematisch monitoren Jonathan Grunwald ist Leiter des Referats Gesellschaftliche und ökonomische Grundsatzfragen in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein- Westfalen (NRW). Als Geschäftsführer begleitet er den interdisziplinär zusammengesetzten Expertenrat Corona der Landesregierung NRW.
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