PERSONALquarterly 4/2020

52 SERVICE _FORSCHERPORTRÄT PERSONALquarterly 04/20 Resilient reagieren Thomas Rigotti erforscht an der Universität Mainz, was Individuen im Arbeitsleben gesund erhält. Der AOW-Professor will psychische Gesundheit erhalten und fördern. Ruth Lemmer, Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg F airness und Vertrauenskultur, Arbeitsplatzgestaltung und Laufbahnentwicklung, Arbeitsunterbrechungen und implizite Erwartungen, Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitsunfälle. Professor Thomas Rigotti verfolgt eine Vielzahl von Detailthemen, die die Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit beschreiben. An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat er die Professur für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie (AOW) inne. Seine Grundthematik: die Erhaltung und Förderung psychischer Gesundheit. Die Sichtweise des Psychologen umfasst immer das Zusammendenken von Person und Umwelt, denn, so Rigotti, „die reine Individualperspektive führt in der Arbeitswelt weder zu Leistung noch zu Zufriedenheit und schon gar nicht zu Gesundheit“. Der 45-Jährige sucht den Mechanismus, mit dem Menschen mehr oder weniger resilient reagieren, wenn er fragt: „Wa- rum nehmen einige Arbeitnehmer Belastungen als Herausfor- derung wahr, andere als Bedrohung?“ Oder: „Welchen Effekt haben gesellschaftliche Veränderungen auf die Arbeitswelt?“ Und: „Wann löst Zeitdruck chronischen Stress aus und wann wirkt er motivierend?“ Professor Rigotti betont, dass es ihm nie um Selbstoptimierung gehe: „Man darf und muss nicht den Menschen an schlechte Arbeitsbedingungen anpassen, son- dern vor allem Arbeit so gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschen entspricht.“ Es ist für ihn ein positiver Nebenef- fekt, dass psychisch Gesunde mehr leisten als Kranke. „Aber nicht der Profit von Unternehmen steht imMittelpunkt unserer Forschung und Lehre, sondern der Mensch“, beschreibt Tho- mas Rigotti seine Haltung. Ein Beispiel ist das Projekt „Erho- lungskompass“. Dort wird gerade erforscht, wie und wo sich berufstätige Eltern von der Arbeit erholen – ob mit Kindern oder ohne, ob während der Arbeit oder in der Freizeit. Ziel ist es, die Ressourcen zu benennen und zu fördern. Dazu gehört auch die Frage der impliziten Erwartungen, mit denen sich der junge Wissenschaftler Rigotti schon im Studium beschäftigt hat. Geboren und aufgewachsen in Weilheim blieb er bis zum Ende des Zivildienstes in der Behindertenhilfe im bayerischen Oberland. Dann zog es ihn nach Leipzig, wo Rigotti keinen Erstsemesterplatz an der Universität, aber eine Freun- din hatte. Seine Abiturnote lag deutlich über dem Numerus clausus für Psychologie, aber er besuchte engagiert und of- fensiv Psychologievorlesungen und -seminare, klagte parallel erfolgreich auf einen Studienplatz und konnte sich im Januar 1997 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in Psychologie einschreiben. Doch der Student blieb der Uni Leipzig – immerhin die zweit­ älteste ununterbrochen lehrende und forschende Universität Deutschlands – und der lebendigen aufstrebenden sächsischen Großstadt treu. Ab dem Sommersemester 1997 konnte er sich immatrikulieren und Scheine sammeln. Thomas Rigotti pro- movierte 2008. Seine Dissertation zu „Psychological Con- tracts: Antecedents, Consequences and Refinements“ basierte auf einem internationalen Projekt. Mit den niederländischen, schwedischen, englischen, israelischen und spanischen For- scherkollegen wurden seitdem weitere Projekte gestemmt. Denn die Beziehungsgestaltung zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten bleibt Rigottis Arbeitsschwerpunkt. Kontrakte in der Arbeitswelt bleiben oft unausgesprochen. Es beginnt mit dem sozialen Austausch zwischen Arbeitgebern und Arbeit- nehmern und geht weiter auf der Ebene von Führungskräften und Teammitgliedern. „Im Grunde genommen funktionieren auch Paarbeziehungen über gegenseitige Erwartungen“, be- tont Thomas Rigotti. „Diese bleiben oft unerfüllt, weil der an- dere nichts von ihnen weiß.“ Deshalb werden Lob und Tadel, Chancen und Wertschätzung nur ausgesprochen wirksam. Lehren liegt dem AOW-Professor am Herzen Das scheint auch bei den Studierenden angekommen zu sein. 2012 erhielt er als wissenschaftlicher Mitarbeiter den Theodor Litt Preis der Universität Leipzig für besonderes Engagement in der Lehre. Die liegt dem 45-Jährigen als Professor für Ar- beits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Main- zer Universität auch heute noch am Herzen. Bis der Dozent auf die Studierenden trifft, haben die sich schon eingelebt. Denn die Arbeits- und Organisationspsychologie steht erst im 4. Semester des Bachelorstudiengangs auf dem Lehrplan. In seinen Seminaren wird partizipativ und konstruktivistisch ge- arbeitet. „Begeisternd, fundiert und reflektiert“, so beschreibt Rigotti das Motto seiner Lehre. In Kleingruppen konzipieren die Studierenden über mehrere Wochen z. B. Trainings, die

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