PERSONALquarterly 4/2020
PERSONALquarterly 04/20 44 STATE OF THE ART _PERFORMANCE MANAGEMENT durchschnittlich strenger oder weniger streng als die Vorgesetz- tenbeurteilung? Beide Maße sind grundsätzlich unabhängig voneinander: Auch bei einer durchgängigen Selbstüberschät- zung oder -unterschätzung kann sich eine perfekte Korrelation mit dem Vorgesetztenurteil ergeben. Im Durchschnitt schätzen sich die Beschäftigten selbst besser ein als ihre Vorgesetzten (d=0,32, also eine kleine bis mittlere Effektstärke). Begründungszwang erhöht die durchschnittliche Bewertung Unternehmen setzen unterschiedliche Methoden ein, mit denen Führungskräfte die Ergebnisse ihrer Bewertungen gegenüber anderen vertreten müssen. Im Rahmen von Leis tungsbeurteilungen wird man mindestens erwarten, dass Führungskräfte die Ergebnisse gegenüber den bewerteten Mitarbeitern begründen, was bei Bewertungen z. B. im Rah- men der Personalauswahl nicht zwingend gegeben sein muss. Führungskräfte können aber auch im Rahmen von Bewer- tungskonferenzen gezwungen sein, ihre jeweilige Bewertung in einer Gruppe öffentlich oder aber gegenüber ihren eige- nen Vorgesetzten zu erklären. Michael B. Harari und Cort W. Rudolph (2017) untersuchen die Wirkung dieser Verant- wortlichkeit in einer Metaanalyse, die experimentelle Ein- zelstudien sowohl aus Labor- als auch aus Feldexperimenten berücksichtigt. Dabei zeigt sich, dass die Bewertungsergeb- nisse besser ausfallen, wenn die Begründung gegenüber der bewerteten Person erfolgen muss (d=0,28). Dies ist vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Ergebnisse zur Diskre- panz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung unmittelbar einleuchtend: Führungskräfte wollen die soziale Beziehung zu ihren Mitarbeitern nicht gefährden, indem sie eine Bewer- tung abgeben, die deutlich unter deren Selbsteinschätzung liegt. Der Begründungszwang gegenüber Vorgesetzten hin- gegen verändert die Bewertung nahezu gar nicht (d=-0,06). Es ist nicht ganz einfach, aus diesen Befunden praxistaug- liche Handlungsempfehlungen abzuleiten, da es unmöglich erscheint, dass Führungskräfte auf die Begründung und Diskussion der Ergebnisse von Leistungsbeurteilungen ge- genüber Mitarbeitern verzichten. Möglich wäre unter Um- ständen, Bewertungen durch Bewertungskonferenzen, an denen mehrere Führungskräfte beteiligt sind, final festzule- gen und dem direkten Vorgesetzten das qualitative Feedback an die Mitarbeiter zu überlassen. Frame-of-Reference-Training zur Verbesserung der Qualität von Beurteilungen Die Qualität von Vorgesetztenbeurteilungen ist imDurchschnitt zufriedenstellend. Damit Beurteilungen zu Recht einen festen Platz im betrieblichen Performance Management erhalten, ist eine Verbesserung der Beurteilungsgüte empfehlenswert. Können Trainingsmaßnahmen helfen und wie müssen entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen ausgestaltet sein? In einer frühen Metaanalyse (Woehr/Huffcutt, 1994), in der unterschiedliche betriebliche Beurteilungssituationen (z. B. auch subjektive Beurteilung im Rahmen der Personalauswahl) untersucht wurden, zeigten sich durchgängig positive Effekte unterschiedlicher Trainingsmaßnahmen, wobei das Bezugsrahmentraining (Frame-of-Reference-Training) den größten positiven Effekt aufwies. Im Bezugsrahmentraining erhalten die Trainingsteilnehmer Vorgaben für konkrete Bewertungssituationen z. B. als Musterzuordnungen von konkretenVerhaltensweisen zu festgelegtenBewertungsstufen. Dadurch werden konsistente Referenzpunkte erlernt, die anschließend mithilfe praxisnaher Situationen eingeübt und mit den Musterbewertungen abgeglichen werden. Das Ziel ist also vergleichbar mit der Verwendung von behaviorally anchored rating scales (BARs) zur Leistungsmessung, bei denen die einzelnen Leistungsklassen genauer beschrieben werden, um allen Beurteilern vergleichbare Referenzpunkte zu geben. In einer neueren Metaanalyse untersuchen Sylvia Roch und Kollegen (2012) die Effektivität von Trainingsmaßnahmen zur Erhöhung der Qualität von Leistungsbewertungen. Betrachtet werden wieder nicht nur Ergebnisse von Leistungsbeurteilungen, sondern auch andere Beurteilungssituationen, wodurch auch Vergleiche zwischen den Anwendungsfeldern möglich sind. Übergreifend zeigt das Training eine Verbesserung der Bewertungsgenauigkeit im Vergleich zu einer Kontrollgruppe bei mittlerer Effektstärke (d=0,50). Im Rahmen von Leistungsbeurteilungen ist der Effekt geringfügig kleiner (d=0,45). Kritisch anzumerken ist, dass die Mehrzahl der berücksichtigten Einzelstudien mit Studierenden als Probanden durchgeführt wurde und nicht im realen betrieblichen Umfeld stattfand. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 3 Beurteilungen durch Vorgesetzte weisen gemessen an der Reliabilität, das heißt der Übereinstimmung der Beurteilung verschiedener Vorgesetzter, zufriedenstellende Ergebnisse auf. 3 Selbsteinschätzungen und Vorgesetztenbeurteilungen sind nur schwach miteinander korreliert, wobei die Selbstein- schätzungen im Durchschnitt über den Vorgesetztenbeur- teilungen liegen. 3 Die Qualität der Beurteilungen kann durch Trainingsmaß- nahmen und insbesondere durch Bezugsrahmentraining (Frame-of-Reference-Training) verbessert werden.
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