PERSONALquarterly 4/2020
37 04/20 PERSONALquarterly einher (Wicht et al., 2018). Und die heutigen Achtklässler in Deutschland – immerhin Repräsentanten der ersten Generati- on, die nach der Vorstellung des ersten I-Phones im Jahr 2007 geboren wurden und damit klar zu den Digital Natives zählen sollten – liegen wiederum im internationalen Vergleich mit ihren Ausprägungen imComputational Thinking abgeschlagen hinter Korea (Platz 1), Dänemark (Platz 2), Finnland (Platz 3), Frankreich (Platz 4), den USA (Platz 5) auf Platz 6 noch hin- ter dem internationalen Mittelwert zurück (Eickelmann et al., 2019). Die kommende Generation inländischer Arbeitnehmer weist also Stand heute nur geringe Fähigkeiten darin auf, sich Problemlösungsprozesse durch die Entwicklung und Anwen- dung von Algorithmen und damit verbundene Prozesse der Modellierung und Formalisierung in einem digitalen Format bzw. System zugänglich machen zu können 2 . Die Sorge mancher Arbeitnehmer, ihre digitalen Kompe- tenzen seien nicht ausreichend, erscheint damit nicht unbe- gründet, wobei sich dieser Eindruck insbesondere bei sozialen Vergleichsprozessen in internationalen Teams verstärken dürf- te. Allerdings lassen sich faktische oder subjektiv befürchte- te Schwächen in digitalen Kompetenzen durch modernisierte Lehrpläne imKinder- und Jugendalter und spezifische Trainings im Erwachsenenalter rasch beseitigen (vgl. Wicht et al., 2018). Dennoch ist die Befürchtung, im wahrsten Sinne des Wortes nicht anschlussfähig zu sein, eine ernstzunehmende Grund- lage individueller Angst in Bezug auf Digitalisierung. Digitale Transformation sollte daher stets von thematischen Schu- lungen und kognitiven Trainings begleitet werden, die auf den Kenntnis- und Erfahrungsstand der Teilnehmer zugeschnitten sein müssen. … und kaum Wollen In Ergänzung zu diesen eher „technischen“ Unterstützungsan- geboten kommt jedoch psychologischen Aspekten eine ent- scheidende Rolle dabei zu, ob Erlerntes umgesetzt und digitale Lösungen mitgetragen werden. Aufgrund der vielfältigen Dimensionen digitaler Lösungen in den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens, mit de- nen Mitarbeiter oft zu tun haben, lassen sich zwei Thesen aufstellen. These 1: Die konsequente Digitalisierung wird durch Bedenken der Mitarbeiter behindert. Selbstverständlich werden Mitarbeiter, die der zunehmenden Digitalisierung generell kritisch gegenüberstehen, auch gravie- renden Veränderungen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld zunächst mit Respekt begegnen. Aber auch aufgeschlossene Mitarbeiter mögen zurückhaltend auf die fortschreitende Di- gitalisierung bzw. einzelne konkrete Digitalisierungsprozesse, und wie sie kommuniziert werden, reagieren. Unternehmen sind gut beraten, gerade die Bedenken der sog. „subject matter experts“, also der fachlichen Experten im Unternehmen, zu er- fragen. Denn nicht selten steckt hinter der zögerlichen Adaption digitaler Prozesse ein berechtigter Einwand der Mitarbeiter: Sei es, dass reale Prozesse ungenügend abgebildet sind, Schnitt- stellen zwischen Systemen zu fehlerhaften Daten führen und hohen Migrationsaufwand erfordern oder die Einbindung von IKT in bisherige analoge Kommunikation nicht reibungsfrei erfolgt und als fremd erlebt wird. Doch selbst wenn es in der digitalen Transformation gelingt, den hauseigenen Experten ausreichend Gehör einzuräumen und die inhaltlichen Änderungen frühzeitig zu kommunizieren und zu trainieren, werden digitalisierte Prozesse nicht immer mitgetragen. Hinter der Zurückhaltung von Mitarbeitern steckt dabei nicht selten das Gefühl der Überforderung, die mangeln- de Nachvollziehbarkeit, worin der Vorteil der Änderungen lie- ge, konkrete Befürchtungen vor tiefgreifenden Änderungen der alltäglichen Arbeit oder gar die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Diese Befürchtungen und Ängste werden jedoch keinesfalls geäußert – im Gegenteil! Doch eine aktive Beteiligung ist in den häufig hierarchisch strukturierten Digitalisierungsprojekten unabdingbar. Da Mit- arbeiter ein Eigentumsgefühl für ihren Arbeitsbereich haben und radikale Veränderungen als störend empfinden (Leyer et al., 2020), sind Abwehrhaltungen gegenüber radikalen Verän- derungen erklär- und sogar voraussehbar. Wer seinen Arbeits- bereich also nicht verändern möchte, tut am besten nach außen nur so. So kann einem niemand vorwerfen, für den Stillstand verantwortlich zu sein. Daher beteiligen sich diese Mitarbeiter zwar offiziell, versuchen aber alles, die Digitalisierung zu ver- langsamen und gehen Themen an, verfolgen deren Umsetzung aber nicht mit Nachdruck. Angst, in ihrem mangelnden Willen fortlaufend übergangen zu werden und sich zunehmend gegen die Folgen der Digitalisierung wehren zu müssen, haben sie hingegen weiterhin. Dieses Gefühl der Zwangsdigitalisierung führt auf Ebene der Mitarbeiter zu Überforderung und Stress. Für die Projektleiter ergeben sich ineffiziente Schleifen, die Führungskräfte finden sich in mikropolitischen Spielchen wie- der und auf Unternehmensebene wird die Digitalisierungsstra- tegie durch den Unwillen der Mitarbeiter behindert. These 2: Weitere Digitalisierungsschritte werden durch die mangeln- de Vorstellungskraft der Mitarbeiter verzögert. Die Vorstellungskraft der Ausgestaltung von Digitalisierung und einer nachhaltigen Umsetzung ist bei vielen Mitarbeitern nicht vorhanden. Technologien wie Blockchain und Augmented Reality hören sich spannend an, aber die Übertragung dieser Konzepte auf die konkreten Arbeitsprozesse bleibt abstrakt. Zu- dem können und müssen mit digitalen Möglichkeiten oft ganz 2 Problemlösefähigkeiten im Sinne des Computational Thinking sind von konkreten Programmierspra- chen bzw. Entwicklungsumgebungen unabhängig und schließen fachspezifische wie auch allgemeine Aspekte von Problemlösefähigkeiten ein.
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