PERSONALquarterly 4/2019

62 SERVICE _DIE FAKTEN HINTER DER SCHLAGZEILE PERSONALquarterly 04/19 I m Juni haben sich Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaf- ten und die Bundesagentur für Arbeit über eine „Nationale Weiterbildungsstrategie“ verständigt. Zwar griffen Medi- en wie die Leipziger Volkszeitung, die Badische Zeitung und die Zeit das Papier kurz auf, doch die Berichterstattung über die Digitalisierungsoffensive oder das Aufstiegs-BAföG hielt sich in Grenzen. Das komplexe Thema beschäftigt eher die Fachleute als das breite Publikum. So sammelt Sarah Widany Bildungsdaten, wo immer sie kann. Die promovierte Erziehungswissenschaftlerin leitet die Abteilung System und Politik im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn, das vom Bund und von den Ländern gefördert wird und als Zentrum für Lebenslanges Lernen Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft ist. Dort erarbeitet sie die Berichterstattung zur Weiterbildung im Nationalen Bil- dungsbericht mit. Widany nennt mit Blick auf die Daten- und Befundlage zwei Probleme: „Wir können aktuell weder zufrie- denstellend beantworten, wer wieviel investiert, noch wie hoch die Renditen für diese Investitionen sind.“ Der Einzelne, der Betrieb und die Volkswirtschaft sind die Akteure, deren Inte- ressen mal mehr, mal weniger ausgeglichen werden können. So schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vereinbarungen zur Kostenübernahme und zum Einsatz von Arbeitszeit- und Freizeit. Das Instrument Bildungsurlaub etwa, das individu- elle Weiterbildung fördert, wird aber wenig wahrgenommen. Die Volkshochschulen sind in beruflicher Qualifizierung stark unterwegs. Doch es gibt immense regionale Unterschiede bei den Weiterbildungsaktivitäten. Liegt die Beteiligungsquote, so der aktuelle Weiterbildungsatlas, bundesweit bei 12,2 Prozent, schwankt die Beteiligung zwischen 2,3 Prozent in der nieder- sächsischen Grafschaft Bentheim, und 22,7 Prozent im baye- rischen Landsberg am Lech. Auch die Spanne innerhalb der Wirtschaft ist erheblich. Gesundheits- und Sozialwesen, Erzie- hung und Unterricht sowie Finanzen und Versicherungen lie- gen in der Weiterbildung vorn. Weit weniger Qualifizierungen finden in Industrie und Gastronomie statt. Wer jeweils Verantwortung übernimmt für das allseits postulierte „lebenslange Lernen“, ist dabei noch lange nicht ausgemacht. Aber eine Reihe von Daten und Studien geben Hinweise, was Weiterbildung bewirkt und wie sie gefördert Rund die Hälfte der Erwerbstätigen bilden sich nicht weiter. Forscher untersuchen för­ dernde und hinderliche Faktoren und stellen die Frage nach der (Eigen-)Verantwortung. Signalkraft von Weiterbildung stärken werden kann. So sind auf der Individualebene Mitarbeiter zu- friedener, wenn sie sich weiterbilden. Arbeitgeber, die eine In- frastruktur für Weiterbildung entwickelt haben, erreichen eine höhere Weiterbildungsquote. „Die allgemeine Signalkraft von Weiterbildung“, so Widany, „kann ebenso wichtig sein wie die dort erworbenen Qualifikationen.“ Die Teilnahme an Kursen zu beruflichen Konfliktstrategien oder zur neuen Firmensoftware zeigen Lernbereitschaft und Engagement. Der Erwerb eines IHK-Abschlusses hingegen kann als formaler Abschluss beim bisherigen oder künftigen Arbeitgeber karrierewirksam sein. „Wir müssen noch intensiver die Wirksamkeit erforschen“, sagt Sarah Widany, „und mit verschiedenen methodischen Zu- gängen definieren, woran wir Bildungserfolg festmachen sowie hinderliche und fördernde Faktoren untersuchen.“ Abschlüsse als Motor für den Aufstieg Genau da steigt Martin Ehlert ein. Er hat die landläufige An- nahme überprüft, dass Bildung immer Ertrag bringt, und kommt „entgegen der Humankapitaltheorie zu dem Schluss: Weiterbildung führt nicht zwangsläufig zum Aufstieg“. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- schung (WZB) nutzte die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) 2009 bis 2016 für eine Studie zum Einfluss nonformaler Weiterbildung auf die Arbeitsmarktmobilität. In Zusammen- arbeit mit Professor Christian Ebner, Lehrstuhlinhaber für Soziologie mit Schwerpunkt Arbeit und Organisation an der TU Braunschweig, konnte Ehlert entscheidende Unterschiede zwischen Weiterbildungen mit formalen Abschlüssen, betrieb- licher Schulung und außerbetrieblichen Qualifikationen mit nonformalen Abschlüssen festmachen. „Auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind formale Abschlüsse der Motor für das Wei- terkommen“, fasst der promovierte Sozialwissenschaftler seine Ergebnisse zusammen. Im Einzelnen fand er heraus, dass ein Teil der Weiterbildung der Know-how-Anpassung geschuldet ist und den Arbeitsplatz erhält, ohne die individuelle Karriere zu fördern. Sich selbstgesteuert weiterzubilden, indem ein Ar- beitnehmer Fachbücher liest, nutzt der Arbeitsplatzmobilität ebenso wenig wie strukturiertes Lernen etwa von Sprache oder Excel über Kurse und Learning-by-doing. Martin Ehlert zieht Ruth Lemmer , Freie Wirtschaftsjournalistin in Duisburg

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