PERSONALquarterly 4/2019
6 SCHWERPUNKT _INTERVIEW PERSONALquarterly 04/19 PERSONALquarterly: Das Thema Corporate Entrepreneurship wird aktuell viel diskutiert. Es stellt sich die Frage: Entrepreneurship vs. Corporate Entrepreneurship – wo liegt hier der Unterschied? Sollte Unternehmertum nicht eigentlich in jeder Art von Unter nehmen zu finden sein? Prof. Dr. Matthias Baum: Corporate Entrepreneurship wird in der Praxis gerade ein wenig aufgewärmt, in der theoretischen Dis- kussion hingegen ist es ein Konzept mit mehreren Jahrzehnten Tradition. Interessanterweise macht die ursprüngliche Defi- nition von Stevenson und Jarillo (1990) prinzipiell gar keinen Unterschied zwischen wachstumsorientierten Start-ups, jungen Unternehmen und etablierten älteren Unternehmen – Unterneh- mertum, das sind Prozesse, die in jedem Unternehmen vorkom- men können. Diese Perspektive verweist auch auf die Literatur zur sog. Entrepreneurial Orientation. Die Entrepreneurial Orien- tation eines Unternehmens besteht aus den drei grundlegenden Dimensionen Innovativität, Proaktivität, und Risikobereitschaft. Da diese Eigenschaften prinzipiell in jedem Unternehmen zu finden sind (wenn auch in stark unterschiedlicher Ausprägung), wird deutlich: Eine hundertprozentige Trennschärfe zwischen Entrepreneurship und Corporate Entrepreneurship, die gibt es nicht. Zur Entrepreneurial Orientation kann ein Start-up be- fragt werden, aber genauso gut auch das 200 Jahre alte Fami- lienunternehmen oder eine Aktiengesellschaft. Das Konstrukt der Entrepreneurial Orientation ist sehr nützlich, um die unter- nehmerische Neigung oder das Ausmaß an unternehmerischem Verständnis in Unternehmen zu erfassen. Allerdings gibt es durchaus eine gewisse Varianz in den Rah- menbedingungen, unter denen Unternehmertum stattfindet. Die zweite Perspektive auf Unternehmertum, u. a. von Kollegen wie Shaker A. Zahra vertreten [Anm. der Red.: Professor für Strategie und Entrepreneurship an der University of Minnesota und Leiter des Gary S. Holmes Entrepreneurship Center], adressiert daher eher die organisatorische Umsetzung von Unternehmertum in etablierten Unternehmen – mit Strategic-Renewal-Prozessen auf der einen und Corporate Venturing auf der anderen Sei- te. Bei etablierten Unternehmen kommt nämlich ein wichtiges Element hinzu: Die Verknüpfung von Corporate Entrepreneur- ship mit den entsprechenden Organisationseinheiten. Zudem gewinnt die Rolle des Personalmanagements in diesem Kontext Corporate Entrepreneurship – Wie viel Unter nehmertum steckt (noch) in Unternehmen? Das Interview mit Prof. Dr. Matthias Baum führte Benjamin Krebs an Bedeutung. Denn es geht bei Unternehmertum in etablierten Unternehmen auch darum, einen größeren Tanker in die ent- sprechende Richtung zu bewegen. PERSONALquarterly: Nun hört man immer nur davon, dass etab lierten Unternehmen Start-up-Mentalität eingeimpft werden muss. Aber ist wirklich alles Gold, was glänzt? Sind Start-ups die „unternehmerischen Unternehmen“? Matthias Baum: In diesen Fragen schwingt die implizite Hypothe- se mit, dass es etablierten Unternehmen schwer(-er) fällt als Start-ups, eine unternehmerische Orientierung zu entwickeln und auch in Handeln umzusetzen. Ob Start-ups hier Vorteile ha- ben – ich würde sagen, im Prinzip ist das so. Start-ups können Umsetzungswege gehen, die weniger komplex und daher leich- ter sind. Ein kleines Team ist z. B. einfacher zu managen – vor allem, wenn die Gründer/-innen und deren erste Mitarbeiter sich schon längere Zeit kennen oder zumindest gleiche Werte teilen. Ein anderer Grund ist die schiere Notwendigkeit, sich gegen größere Unternehmen durchsetzen zu müssen. Das geht nicht, ohne etwas innovativer an Probleme heranzugehen und ohne eine etwas höhere Risikobereitschaft. Weiterhin fehlen Start-ups zu Beginn oft eingefahrene Routinen und Prozesse. Auf der einen Seite sind diese wichtig, denn ab einer bestimm- ten Entwicklungsphase muss auch ein Start-up Heuristiken bil- den, wie etwas zu tun ist. Auf der anderen Seite kann das aber auch zu „Verstarrungen“ führen und auch zu Pfadabhängigkeit bei Entscheidungen. Dies bremst die Fähigkeit von Organisati- onen, sich zu verändern und radikale Lösungen zu finden, die von den bestehenden deutlich abweichen. So gesehen fällt es einem Start-up wesentlich leichter, einen kundenzentrierten und problemlösungsorientierten Fokus bei der Produktent- wicklung oder auch bei Innovationsprozessen zu realisieren. Der stärkere Fokus von etablierten Unternehmen auf das Or- ganisieren limitiert das kreative Potenzial und die agile Umset- zungsfähigkeit, vor allem, wenn es um radikale Lösungen geht. Man darf die Vorteile von Start-ups aber nicht einseitig se- hen: So haben etablierte Unternehmen gerade durch die Erfah- rungen und Routinen Vorteile in der Umsetzung inkrementeller Verbesserungen. Und auch wenn es eine gewisse Konvergenz größerer Unternehmen hin zu etwas stärkerer Risikoaversion
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