PERSONALquarterly 4/2019

PERSONALquarterly 04/19 56 STATE OF THE ART _FÜHRUNG Kritik am Ansatz der transformationalen Führung Die transformationale Führung gehört zu den prominentesten und am besten untersuchten Führungsstilen, insofern verwun- dert es kaum, dass auch Kritik am Ansatz geäußert wurde. Die Kernpunkte dieser Kritik haben Daan van Knippenberg und Sim Sitkin (2013) in einem vielbeachteten Beitrag zusammen- gefasst. Ein erster Kritikpunkt betrifft die oben angesprochene Messung der einzelnen Dimensionen von transformationaler Führung. Augenscheinlich beinhalten diese Dimensionen verschiedene Aspekte der Führung. So sollte es nicht selten Führungskräfte geben, die z. B. über viel Charisma verfügen, sich gleichzeitig aber nicht durch eine individuelle Berücksich- tigung der einzelnenMitarbeiter auszeichnen. Theoriekonform wäre also anzunehmen, dass die einzelnen Dimensionen nicht besonders hoch korreliert sein sollten – eben weil sie ver- schiedene Facetten der transformationalen Führung abdecken. Empirische Studien zeigen dagegen sehr hohe Korrelationen zwischen den Dimensionen. So zeigen Lowe, Kroeck und Si- vasubramaniam in einer Metaanalyse bereits 1996, dass die einzelnen Dimensionen teilweise über r = 0,80 miteinander korreliert sind, was die Unterschiedlichkeit der gemessenen Dimensionen infrage stellt. Entsprechend haben in der Fol- ge viele Forscher die verschiedenen Dimensionen zu einem Faktor zusammengefasst, ohne spezifisch auf die einzelnen Dimensionen einzugehen. Als zweiten Kritikpunkt nennen van Knippenberg und Sit- kin (2013) die unzureichende theoretische Grundlage für die Kausalbeziehungen zwischen den Dimensionen transforma­ tionaler Führung und den verschiedenen Ergebnisgrößen wie z. B. der Teameffektivität. Wie genau wirken die verschiedenen Dimensionen zusammen, um eine höhere Teamleistung oder Zufriedenheit zu erzielen? Hier schließt sich der dritte Kritik- punkt an, da die Gefahr besteht, Ursache und Wirkung mitei- nander zu verwechseln. Die zumeist sehr hohen Korrelationen zwischen transformationaler Führung und der Zufriedenheit mit der Führungskraft lassen vermuten, dass der Führungs- kraft die verschiedenen positiv besetzten Eigenschaften einer transformationalen Führungskraft besonders dann zugeschrie- ben werden, wenn man mit dem Führungsstil zufrieden ist, selbst wenn das konkrete Führungsverhalten tatsächlich we- niger Elemente transformationaler Führung enthält. Wie oben beschrieben, lassen sich zudem die verschiedenen Dimensi- onen in den empirischen Messungen nicht klar unterscheiden, was ebenfalls auf diese umgekehrte Kausalität hindeutet: Die Führungskraft wird als transformational eingeschätzt, weil sie beliebt ist – und nicht umgekehrt. Diese unklare Trennung von Ursache und Wirkung spiegelt sich auch im letzten von van Knippenberg und Sitkin (2013) angeführten Kritikpunkt wi- der. Auch wenn das Konzept der transformationalen Führung intuitiv sinnvoll erscheint, mangelt es an konzeptuell klarer Abgrenzung des Führungsstils von dessen Folgen. Es gibt kein Allheilmittel oder eine magische Alternative in der Führungstheorie, welche diese Kritikpunkte alle beseitigen würde. Aber auch wenn diese Kritikpunkte alle valide sind, ist der transformationalen Führung dennoch in der Gesamtschau ein positiver Effekt zuzuschreiben. Im folgenden Abschnitt bauen wir darauf auf und diskutieren neuere Führungsansät- ze, die als Ersatz oder Ergänzungen zur transformationalen Führung eingeführt wurden. Effektivität neuer Führungsstile Können neue Führungsstile die Effektivität der Führung er- höhen? Dieser Frage gehen Julia E. Hoch und Kollegen (2018) nach, indem sie den zusätzlichen Erklärungsbeitrag authen- tischer, dienender und ethischer Führung gegenüber trans- formationaler Führung untersuchen. Methodisch wenden sie dabei lineare Mehrfachregressionen an, das heißt, ausgehend von der Korrelation zwischen transformationaler Führung und Erfolgsgrößen ergänzen sie die weiteren Führungsstile als erklärende Variable und messen deren zusätzlichen Erklä- rungsbeitrag. Dabei zeigt sich für alle drei untersuchten Füh- rungsstile zwar ein positiver zusätzlicher Erklärungsbeitrag, der allerdings durchgängig sehr klein ist, aber wiederum stark in Abhängigkeit von der betrachteten Ergebnisgröße variiert. Der größte Einfluss zeigt sich bei dienender Führung, deren Effektivität darüber hinaus dann besonders stark ausgeprägt ist, wenn Arbeitszufriedenheit und Commitment zur Organisa- tion als Erfolgsgrößen herangezogen werden. Der zusätzliche Erklärungsbeitrag authentischer und ethischer Führung ist hingegen sehr gering. Die Autoren ziehen hieraus die Schluss- folgerung, dass die Förderung dieser beiden Führungsstile in der betrieblichen Praxis weniger nützlich ist, es sei denn man Abb. 3: Dimensionen transformationaler Führung und Effektivität der Führung Charisma Idealisierte Einflussnahme Inspirierende Motivation Intellektuelle Stimulation Individuelle Berücksichtigung 0,66 0,66 0,56 0,52 0,55 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dumdum et al. (2013), S. 50.

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