PERSONALquarterly 4/2019
45 04/19 PERSONALquarterly Dieser Typ baut regelmäßig eine Distanz zu Arbeit und Pati- enten auf und lernt dabei, für sich zu rechtfertigen, dass seine Reaktionen dem Selbstschutz dienen. Angehörige dieses Typs su- chen Unterstützung bei Kollegen, die sie ermutigen und das Han- deln befürworten, um so die Situation für sich zu rechtfertigen. 4. Der Vulnerabl e Teilnehmer dieser Gruppen erleiden nennenswerte Stress reaktionen. Im Vergleich zu den anderen Typen gelingt es ih- nen in der Regel nicht, Stress vollständig zu verarbeiten. Dies kann sich negativ auf die Motivation, das Commitment und die Psyche auswirken. So schaffen es die Vulnerablen teilweise nicht, ihre Arbeit vollständig zu erledigen. Teilnehmer dieser Gruppe können den Patienten oftmals nicht in dem Maße ge- recht werden, wie sie es gerne würden. Vulnerable schaffen es jedoch nicht, die unerledigte Arbeit und die fehlende Zeit für die Patienten für sich zu rechtfertigen und beschäftigen sich noch intensiv nach der Arbeit damit. Die Bewältigung gelingt auch in der Freizeit nur bedingt. „Ja, also ich hasse mich dafür halt selber schon. Also ich bin megaunzufrieden, wenn ich von der Arbeit komme, weil ich halt weiß, dass ich nicht den Menschen das so geben konnte, wie, ja, wie er es halt verdient hat. Dafür, dass er auch so viel bezahlt für den Aufenthaltsplatz quasi bei uns. […] Und ich habe das Gefühl, dass man nur noch so durch den Alltag läuft.“ (KP6, S. 5) Der vulnerable Typ sieht Freunde und Familie als wichtige Ressourcen an. Allerdings können auch diese ihm nur bedingt bei der Stressbewältigung helfen, da Angehörige dieses Typs das Gefühl haben, dass die Bezugspersonen sie nicht oder nur teilweise verstehen können. Für den Vulnerablen stellt der Stations- oder Jobwechsel einen Ausweg dar, der häufig einge- schlagen wird. Abbildung 4 fasst die Typen anhand der Ausprägungen der Merkmalsräume zusammen. Dabei geben die ordinalen Daten (gering, mittel, hoch) die Ausprägung des jeweiligen Merk- malsraums an, in den Klammern findet sich eine Kurzbeschrei- bung der Ausprägung. Schlussfolgerungen Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass die individuelle Stressbewältigung sehr unterschiedlich abläuft. Während ei- nige Teilnehmer mit der Zeit ein relativ hohes Maß an Resili- enz aufbauen und subjektiv kaum noch Stress bei der Arbeit wahrnehmen, gelingt dies anderen Teilnehmern nicht. Das Commitment gegenüber der Organisation oder sogar der Pro- fession kann abnehmen und der Verlust einer Fachkraft durch Kündigung kann die Folge für die Einrichtung sein. Dies zeigt sich insbesondere in der Gruppe der Vulnerablen. Psychische Leiden, wie sie einige der Befragten dieser Gruppe beschrei- ben, können das Risiko für psychische oder physische Erkran- kungen dauerhaft erhöhen. Daher besteht für die Vulnerablen ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen, welche ebenfalls negati- ve Auswirkungen für die Organisation nach sich ziehen. Die Gruppe der Distanzierten findet zwar Wege, den Stress zu bewältigen, allerdings stehen diese teilweise im Konflikt zu den Unternehmenszielen. Ein Teil der Befragten gibt zu, gelegentlich Aufgaben halbherzig oder ungenau zu erledigen und/oder mit Patienten häufiger in (negative) Auseinanderset- zungen zu geraten. Die Befragten, die der Gruppe der Bewältigenden zugeordnet wurden, geben an, dass sie zwar Stress verspüren, diesen aber durch erfolgreiches Coping bewältigen können. Im Gegensatz zur Gruppe der Distanzierten passiert dies vermehrt auf emo- tionsorientierter und adaptiver Ebene, also durch Beendigung des Stresses statt durch seine Verdrängung. Die Befragten der Gruppe der Resilienten geben an, meist keinen oder wenig Stress wahrzunehmen und verfügen über Eigenschaften, die sie u. a. als „dicke Haut“ bezeichnen und die sie z. B. durch die Bewältigung vergangener Krisen erlangt bzw. gebildet haben. Praxisimplikationen Die vorgeschlagene Typologie hilft, die Komplexität der Stress- bewältigung zu reduzieren. Für die Praxis bietet die Typologie daher eine Grundlage zur Gestaltung von verhaltenspräven- tiven Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheits- managements. So sollten z. B. für Personen, die in die Gruppe der Vulnerablen fallen, Maßnahmen durchgeführt werden, die bei der persönlichen Entwicklung von wirksameren Co- ping-Strategien unterstützen. Neben der Entwicklung von verhaltenspräventiven Maßnahmen müssen Praktiker immer Möglichkeiten der Reduktion der arbeitsbedingten Stressoren, also Verhältnisprävention, fokussieren. Präventionsmaß- nahmen, die möglichst früh, also bei der Stressentstehung, ansetzen, sind zwar effektiver (vgl. Babatunde, 2013, S. 79), in vielen Fällen allerdings schwieriger umzusetzen. Die Analyse hat gezeigt, dass viele Stressoren auf Perso- nalmangel zurückzuführen sind. Das Einstellen von weiterem Personal kann hier Abhilfe verschaffen, ist allerdings aufgrund des Fachkräftemangels schwierig. Daher kann ein passender verhältnispräventiver Schritt zur Entlastung des Pflegeperso- nals sein, Tätigkeiten, die keine medizinischen oder pflege- rischen Fachkenntnisse voraussetzen, z. B. das Servieren von Mahlzeiten, aus dem Pflegeberuf auszugliedern und durch un- gelerntes Personal verrichten zu lassen. Manchmal kann auch durch effizientere Arbeitsgestaltung, z. B. durch Verkürzung von Wegen während der Dienstzeit oder durch unterstützende Arbeitsmittel wie Hebekräne, die Arbeitslast reduziert werden. Der digitale Fortschritt bietet zudem technische Hilfsmittel, die Pflegekräfte bspw. bei Dokumentationsarbeiten entlasten können. Dabei ist zu beachten, dass das Personal für diese tech-
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