116 · Immobilienwirtschaft · 01 / 2024 Nachhaltigkeit & Technologie Künstliche Intelligenz Ein weiteres Hindernis ist der rigide deutsche Datenschutz. Es zeigt sich wie auf anderen Wirtschaftssektoren auch, dass hierzulande oft fanatisch statt pragmatisch mit dem Thema umgegangen wird. Allzu starre Verbote hemmen den ökonomischen Fortschritt. In diese Richtung äußert sich auch Heike Gündling, CEO von 21st Real Estate: „Die umfassende Verarbeitung von Daten ist eine Grundvoraussetzung für den effektiven KI-Einsatz, löst aber hierzulande immer noch Irritationen aus. Vielerorts wird selbst die Verwertung allgemein zugänglicher Daten wie zum Beispiel aus statistischen Ämtern gleichgesetzt mit ‚Datenklau‘ aus der privaten Internetnutzung. Das ist beispielsweise in den USA ein vollkommen fremder Gedanke. Dabei führt der strategische Dateneinkauf bei verschiedenen Anbietern zu Plattformlösungen, die früher vom Nutzer mühsam zusammengesuchte Daten – etwa im Objektankauf – auf einer Ebene vereinen. So bieten wir mit unseren Standortanalysen die Grundlage für belastbare Investmententscheidungen.” Die höhere Verfügbarkeit von Daten ist einer der Faktoren, warum sich die Fachleute einig sind, dass die KI-Entwicklung im Immobilienbereich in den USA einen Vorsprung hat. Als weitere Gründe dafür werden eine größere Innovationsfreudigkeit und Experimentierbereitschaft sowie mehr Kapital und qualifiziertes Personal genannt. Die Entwicklung der KI und ihrer Anwendungsfelder steht immer noch am Anfang, sodass künftig viele weitere Optionen und Potenziale zu erwarten sind. Richard Hector, Geschäftsführer der AareonTochtergesellschaft Locoia, bestätigt diese Sicht: „Wir befinden uns in einem spannenden und auch schnellen technologischen Transformationsprozess, der für die Branche neue Möglichkeiten der Wertschöpfung schafft. Das ist auch wichtig in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen, wie Fachkräftemangel oder CO2-Reduktion. Allein durch die demografische Entwicklung werden Unternehmen KI verstärkt zur Entlastung ihrer Mitarbeitenden einsetzen müssen. Natürlich setzen sich neue Technologien nicht einfach so von heute auf morgen durch. Das erfolgt sukzessive und ist dann quasi ein gemeinschaftlicher Lernprozess. Je einfacher die Nutzerführung und je größer die Mehrwerte, desto schneller werden neue Technologien akzeptiert.“ DER SCHWERPUNKT DES KI-EINSATZES LIEGT AUF UNTERNEHMENSINDIVIDUELLEN LÖSUNGEN Berührungsängste in den Unternehmen mit der neuen Technologie sind erfahrungsgemäß und verständlicherweise vorhanden und dürfen nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Die Führungsebene in den Betrieben wird sich zunächst darüber Gedanken machen, ob die Kosten durch höhere Mieten wieder hereinkommen werden. Bei der Cloud-Nutzung kommt die Frage nach Abhängigkeiten von Anbietern ins Spiel. Und schließlich entstehen bei den Mitarbeitenden Ängste um den Arbeitsplatz. Hier liegt die Verantwortung nicht bei den Technologielieferanten, sondern bei den Unternehmen selbst. Meist geht es bei KI ja schlicht um die Effizienzsteigerung der Prozesse, mit dem Ziel, Mitarbeitende zu entlasten und für sinnvollere Tätigkeiten einsetzen zu können. Die Investitionen lassen sich zudem nach der eigenen wirtschaftlichen Situation steuern. Mit steigender Erfahrung dürften sich dabei auch Wege finden lassen, die richtige Balance zwischen Aufwand und Nutzen zu realisieren. Wie sind nun also die Bedeutung und künftige Rolle der KI-Technologie für die Immobilienwirtschaft zu bewerten? Verena Rock, Professorin und Studiengangsleiterin für Digitales Immobilienmanagement an der Fakultät Wirtschaft und Recht der Technischen Hochschule Aschaffenburg, zieht ein differenziert optimistisches Fazit: „Ich sehe KI als eine große Chance für die Unternehmen der Immobilienbranche, wenn ihr Einsatz im Rahmen klarer, auch ethischer Richtlinien geschieht. So entwickelt nicht per se die KI die beste Lösung, sondern das bestmögliche Ergebnis ist immer aus einer Lösungskombination von Mensch und Maschine erzielbar. Was also ist KI für uns? Nicht nur ein Tool, sondern eher ein selbst arbeitender und lernender Assistent. KI kann in einer weit entwickelten Form sogar Kollege oder Partner sein, der unbeobachtet und zeitlich entkoppelt Teile der Lösung selbst übernimmt. Ganzheitlich betrachtet wird der Schwerpunkt des Einsatzes von KI in unserer Branche vermutlich auf unternehmensinternen oder individuellen Lösungen liegen und weniger auf KI-Lösungen für die gesamte Branche. Neben den dadurch erzielbaren Wettbewerbsvorteilen liegt dies vor allem an den Daten: Datenheraus- und -eingabe, -verfügbarkeit, Datensicherheit und -hoheit. Die Datenfrage gilt es naturgegeben im Windschatten der KI individuell und auch branchenübergreifend zu definieren und zu lösen.“ Eines scheint zumindest klar: Digitalisierung ist ein Muss für die Imobilienbranche, wenn sie die stürmischen Zeiten überleben will. Und wo „digital“ draufsteht, wird in Zukunft immer häufiger KI drin sein. Die Qual der Wahl – ob mit oder ohne KI – werden wir nicht mehr lange haben. „DIE MACHT DER KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ IST GANZ VON QUALITÄT UND ANZAHL VON DATEN ABHÄNGIG. HIER BIETET SICH GERADE KLEINEN UND MITTLEREN UNTERNEHMEN DIE CHANCE ZU EINEM DIGITALEN QUANTENSPRUNG.“ Dr. Christian Westphal, CEO Crem Solutions 11 Im Jahr 2018 schätzten die Analysten von pwc, dass „KI-basierte Innovationen bis 2030 zu mehr als elf Prozent Wachstum des deutschen BIP führen“ würden.
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