Immobilienwirtschaft 9/2019
78 KOLUMNE DIGITALISAAT F ür ein junges technologieorientiertes Unternehmen ist die Immobilienwirtschaft ungemein attraktiv: Sie ist einer der größten und ältesten Wirtschaftszweige Deutschlands – und sie hat über die letzten Jahre wenig innovative Konzepte hervorgebracht. FDP-Chef Christian Lindner sah die Branche in Sachen Innovation mal auf einer Stufe mit der Jagd und der Fischerei. Das birgt viel Potenzial. Doch so einfach lässt es sich nicht heben. Denn die Zusam- menhänge in der Immobilienwirtschaft sind ungemein kom- plex, die Teilbereiche breit gefächert und oft nicht klar von- einander abzugrenzen. Um dieses Geflecht zu durchdringen, muss man viele Prozesse durchleuchten und die unterschied- lichen Akteure und ihre Beziehungen zueinander verstehen. Die aufstrebenden PropTechs versuchen dieser Komplexität Herr zu werden, indem sie sich einzelne Teilprozesse vorknöp- fen. Für diese wird dann eine generische Lösung entwickelt und sukzessive erweitert. Der Haken: Soll solch eine Lösung auch in einer breiteren Masse zum Einsatz kommen, müssen alle denkbaren Anforderungen aller potenziellen Kunden ein- kalkuliert werden. Und es dürfen dabei keine neuen Probleme geschaffen werden. Zu verquickt für schnellen Wandel Vor allem wenn es um Kernprozesse geht, ist das eine echte Herausforderung, denn im Laufe der Zeit haben sich dort komplexe Abläufe etabliert. In der Vermietung zum Beispiel Die Immobilienbranche lockt und schockt kommen komplett unterschiedliche Arbeitsweisen zum Ein- satz, je nachdem, ob ein Unternehmen in nachfragestarken oder in nachfrageschwachen Märkten agiert, ob es Neubauten oder Bestandsimmobilien vermietet oder ob ihm von der Kom- mune komplexe Anforderungen in Sachen Transparenz und Fairness auferlegt werden. All diese unterschiedlichen Ansätze muss eine neue Digitalisierungslösung berücksichtigen kön- nen. Zudem muss sie sich in die bestehende Gesamtlandschaft einbetten, da die neuen Vorteile sonst durch manuelles Nach- arbeiten gleich wieder zunichtegemacht und die Stammdaten im zentralen ERP-System darunter leiden würden. Niemand möchte einen Einbruch in der Vermietungsleistung riskieren. Dies alles sind Einflüsse, die die Komplexität der Prozesse und der dafür nötigen Digitalisierungslösungen erhöhen. Schnelle Veränderungen sind deshalb kaum möglich. Was die Sache zusätzlich verkompliziert: In den Jahren 2015, 2016 gab es ein deutliches Überangebot an PropTechs. Das führte bei den Immobilienunternehmen zeitweise zu einer Zurückhaltung und manchmal sogar zur Abneigung gegenüber digitalen Lösungen. PropTechs in der Pflicht Als PropTech in der Immobilienwirtschaft ist deswegen etwas Geduld und viel Fleiß gefragt, bis die ersten Erfolge erzielt werden können. Zentrale Bausteine sind dabei die unein geschränkte Neugier, Prozesse im Kern verstehen zu wollen, Martin Staudacher (li.) und Daniel Vallés Valls haben wohnungshelden gegründet. Ihr Unternehmen mit Sitz in München ist auf die digitale Vermittlung von Immobilien spezialisiert. Mit ihrer Softwarelösung können Wohnungsunternehmen den gesamten Vermittlungsprozess digitalisieren – von der Vermarktung bis zum Vertragsabschluss. Die Anwendung wird dabei flexibel und individuell auf die jeweiligen Anforderungen der Kunden angepasst. „Pilotprojekte sind ein gutes Mittel, um sich über die Anforderungen der Unternehmen und die Vorteile der Digitalisierung auszutauschen. Das bringt aber nur etwas, wenn das PropTech seine Hausaufgaben wirklich gemacht hat.“
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