Immobilienwirtschaft 9/2019
70 TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE I E-MOBILITY und intelligente Leitsysteme. Im Kölner Quartier Stellwerk 60 hingegen verzich- tet man komplett auf Autostellplätze. Wer einen benötigt, muss es auf Stellplätzen außerhalb des Quartiers versuchen. Im Quartier selbst können hingegen E-Bikes oder Lastenräder gemietet werden. Das Projekt „Wohnen leitet Mobili- tät“ des VCD Nord widmet sich solchen Lösungen und fördert in fünf Modell regionen in ganz Deutschland Vorhaben, in denen E-Mobilität, ÖPNV, Fahrrad und Wohnquartier von Anfang an bedacht werden. Es geht also um verschiedene Puzzle teile, die das eigene Mobilitätskonzept für das übergeordnete eines Verkehrsver- bundes passend anlegen. So kann etwa auf eine eigene Fahrrad- oder E-Bike-Flotte verzichtet werden, wenn das schon im Mobilitätsbereich angeboten wird. Das Gleiche gilt für Carsharing-Angebote mit E-Autos oder Mitfahrdienste wie „Cle- verShuttle“ oder „Moia“, die ausschließ- lich auf Elektromobilität setzen. Auch inkludierte Tickets für die öffentlichen Verkehrsverbünde sind wünschenswert. Hier sindKooperationen gefragt, nicht der Aufbau einer zweiten, eventuell überflüs- sigen und sich dadurch nicht rechnenden Infrastruktur. „E-Mobilität ist als integraler Baustein und neues Geschäftsmodell für das Woh- nen von morgen zu verstehen, nicht nur als Kostentreiber“, so Steffen Braun, Leiter des Forschungsbereichs „Urban Systems“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirt- schaft und Organisation IAO in Stuttgart. Wichtig ist auch, dass dieMehrheit der Bewohner das Angebot akzeptiert. Deswe- gen sollten Interessenten von vornherein über die Mobilitätsstrategie aufgeklärt werden. Damit diese Akzeptanz erreicht werden kann, muss jeder Bewohner eines solchen Quartiers auch über die Mobili- tätslösung verfügen können, die er benö- tigt. Bei der Fahrt zur nächsten S-Bahn- Haltestelle kann das das Fahrrad sein, bei der Fahrt zum Baumarkt vielleicht ein Kombi oder ein elektrisch getriebenes Lastenfahrrad. Unterirdisch gut! Oberhalb der Erde ist nur Spazierengehen und Radfahren erlaubt In Neubaugebieten ist diese Akzep- tanz vermutlich leichter zu erreichen. Hier können die zukünftigen Bewohner von Anfang an in die Planung der Konzepte einbezogen werden, etwa durch Befra- gungen oder bei Foren, auf denen Fragen gestellt und Vorstellungen geäußert wer- den können. Wünschenswert wäre auch ein nen- nenswerter Anteil an nachhaltig und eigen erzeugtem Strom imQuartier. Denn nur so kann die Nutzung des Strommixes, bei dem der Umweltvorteil der E-Mobili- tät stark schrumpft, vermieden oder mi- nimiert werden. Geeignet hierfür sind vor allem Blockheizkraftwerke, die etwa mit Bioerdgas oder Biomasse betrieben wer- den, oder Photovoltaik-Anlagen. Schließlich sind da noch dieKosten für die Nutzung der E-Mobilitätsangebote. Im Idealfall übersteigen sie nicht die Kosten für den eigenen Pkw. Sie müssen detail- liert und über den reinen Spritverbrauch hinaus dargestellt werden, inklusive Stell- platz und tatsächlichen Betriebs- undVer- sicherungskosten. Dies kann nur gewähr- leistet werden, wenn von vornherein klar ist, wie die Stromerzeugung erfolgen soll, wie viele Mobile benötigt werden und wie vieleMieter diese nutzenmüssten, umdas Modell wirtschaftlich sinnvoll zumachen. Ein großer Hebel bei der Planung (nahezu) autofreier Viertel ist etwa der von der Kommune für solche Quartiere heruntergesetzte Stellplatzschlüssel. Der beträgt in solchen Fällen nicht mehr einen Stellplatz oder mehr je Wohneinheit, son- dern deutlichweniger. Das schafftPlatz für gestalterische Möglichkeiten und für eine lebenswertere, attraktivere und besser ver- marktbare Umwelt. Oder aber auch mehr Platz fürWohn- und Geschäftsräume und damit für eine höhere Rendite. Ein Beispiel für die Entwicklung eines solchen Projekts ist derzeit in Düsseldorf zu sehen. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt baut Catella das Viertel Grand Central direkt zwischen Haupt- bahnhof und der weltberühmten Ein- kaufsstraße „Kö“. Hier wird auf 140.000 Quadratmetern alles angesiedelt, was ein lebendigesQuartier ausmacht: 1.062Woh- nungen, einHotel mit Gastronomie, Kitas, Arbeitsplätze, Kultur- und Freizeitstätten sowie Shopping-Gelegenheiten. Gesamt- investition: eine halbe Milliarde Euro. Autos sind in demViertel – zumindest oberirdisch – Fehlanzeige. Möglichmacht das ein Mobilitätskonzept, das unterir- dische Wege vorsieht. Oberhalb, im grü- nen Viertel, ist nur Spazierengehen, Fahr- rad- und Rollerfahren erlaubt. Fahrstühle sorgen für eine schnelle Verbindung nach unten, wo die Autos der Bewohner oder Mitarbeiter stehen. Logistisch ist das eine Herausforderung: Fast täglich muss Müll entsorgt werden oder Paketdienste wollen Fracht zustellen. Für die Bewohner gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich fortzubewegen. Dazu gehören E-Autos, Roller, Fahr- und Las tenräder, aber auch elektrische Rollstühle. Für die E-Mobile stehen zwei Schnelllade- säulen mit 110 kW zur Verfügung. Damit können etwa E-Autos des Herstellers Tes- la geladen werden. Jeder fünfte der 1.034 Stellplätze wird vorverkabelt, sodass hier normale Ladesäulen von sieben bis elf kW installiert werden können. Das reicht 5 Ladesäulen kann eine „normale“ Stromleitung versorgen. Derzeit dürften in einem Wohnblock also nur fünf Parteien ein E-Mobil besitzen.
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