Immobilienwirtschaft 9/2019

48 VERMARKTUNG & MANAGEMENT I VIRTUELLE EIGENTÜMERVERSAMMLUNG II Die Rechtsunsicherheit beseitigen N ach heutigem Stand können sich problemlos weit über 100 Personen gleichzeitig interaktiv „versammeln“. Das Maß an virtueller Präsenz und Inter- aktion nimmt ständig zu. Es heißt jedoch immer wieder, virtuelle Versammlungen seien per se keine „Versammlungen“ im Sinne des Wohnungseigentumsrechts. Dort produzierte Beschlüsse seien nichtig, da § 23 Abs. 1 des Wohnungseigentums- gesetzes (WEG) unter einer Versammlung eine physische Zusammenkunft verstehe. nen“ ist wie physisch-reale Teilnehmer (BT-Drs. 16/11642, S. 27). Es ist naheliegend, Entsprechendes für online an der Versammlung teilnehmende Wohnungseigentümer anzunehmen, zu- mal das wohnungseigentumsrechtliche Beschlussrecht von der höchstrichter- lichen Rechtsprechung ohnehin stark an das aktienrechtliche angelehnt ist. Das zweite Postulat der herrschenden Meinung – mehrere Eigentümer müssen erscheinen – ist leicht widerlegt: Unzwei- felhaft liegt eine Versammlung im Sinne des WEG auch dann vor, wenn nur der Verwalter körperlich zugegen ist und über eine ausreichende Anzahl von Voll- machten verfügt. Es muss kein einziges Mitglied erschienen sein, um wirksame Eigentümerbeschlüsse herbeizuführen. Mich überzeugt das nicht. Zugegeben: Wer als Verwalter Versammlungen leitet und keine nichtigen Beschlüsse in dieWelt setzenwill, befolgt verständlicherweise die herrschende Meinung und nicht die hier vertretene Außenseiteransicht. Dennoch gibt es schon jetzt Wege, die technischen Vorteile zu nutzen (siehe Kasten links). Virtuelle Versammlungen sind dem Gesellschaftsrecht keineswegs fremd. Im Aktienrecht, aber auch im Vereins- und GmbH-Recht, ist anerkannt und teils seit Jahren gesetzlich verankert, dass sich Mitglieder einer rechtsfähigen Personen- vereinigung zwecks Ausübung ihrer Mit- gliedschaftsrechte online in eine Präsenz- versammlung zuschalten dürfen. Dass eine „Versammlung“ imSinne des § 25 Abs. 3 WEG lediglich die physische Zusammenkunft mehrerer Eigentümer an einem realen Ort sein könne und nur körperlich anwesendeMenschen imSinne dieser Vorschrift „erscheinen“ können, überzeugt nicht. Diese Sicht der Dinge ist im Hinblick auf Art. 8 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit) möglicherweise sogar verfassungsrechtlich bedenklich. Für wirksame Beschlüsse muss an sich jetzt schon kein Eigentümer vor Ort sein Im Gegensatz zum Fernsehempfang oder Streaming geht es bei der Online- teilnahme an einer Versammlung um In- teraktion in Echtzeit. Teilnehmer empfan- gen nicht nur, sondern nehmen aktiv teil. Wichtig ist auch das gesetzessystematische Argument, das der Blick in das geltende Aktienrecht aufzeigt: Der Begründung im Gesetzentwurf zur Umsetzung der Akti- onärsrechterichtlinie ist zu entnehmen, dass der online zugeschaltete Aktionär in der Hauptversammlung ebenso „erschie- ZWISCHENLÖSUNG FÜR VIRTUELLE VERSAMMLUNGEN Eine Variante der virtuellen Treffen wird von manchen technikaffinen Wohnungseigentumsverwaltern schon jetzt praktiziert: Das Meeting wird als Präsenzversammlung einberufen, eröffnet und durch- geführt. Schon in der Einladung wird jedoch auf die Möglichkeit der Onlineteilnahme hingewiesen, was freilich voraussetzt, dass der Wohnungseigentümer, der dieses Angebot nutzen will, die erforder- liche technische Infrastruktur hat. Ferner finden sich in der Einladung der Hinweis auf die bestehen- den rechtlichen Risiken und die Empfehlung, einer Person, die zur Versammlung gehen wird, eine Stimmrechtsvollmacht zu erteilen. Mögliche rechtliche Bedenken an der gleichzeitigen Anwesenheit von Vollmachtgeber und Vertreter werden von Unterstützern dieser Zwischenlösung zurückgestellt. Eine praktikable Lösung könnte darin bestehen, dass die erteilte Vollmacht ruht, solange der Voll- machtgeber online teilnimmt, der sodann zur Abstimmung „abschal- tet“, sodass der Vollmachtnehmer die Stimme schließlich abgibt. PRAXISTIPP

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