Immobilienwirtschaft 9/2019

39 www.haufe.de/immobilien 0 9.2019 runtergekühlt, sondern gefrostet werden. Im Wesentlichen zur Beruhigung der Mieter. Denn die sind Wähler. Und 85 Prozent der Wohnungen in Berlin sind Mietwohnungen. Es geht um den medial vervielfältigten Eindruck: Die da oben tun was für uns da unten. Die greifen durch. Setzen sich für uns ein. Einige Wohnungsbaugesellschaften reagieren sogleich und kündigen an, ihre Mieten nicht zu erhöhen. Da jubelt der Zau- berlehrling und wähnt sich gleich am Ziel. Aber der Trick funktioniert nicht. Das erkennt auch der Wähler, der in einer Schlange von 100 Bewerbern für eine Woh- nungsbesichtigung steht. Auch wenn die Miete feststeht, wird sich der eine bestqualifizierte, sprich bonitätsstärkste über die Wohnung freuen, die anderen 99 gehen leer aus. Vielleicht las- sen sich einige auch eine hohe Abstandszahlung einfallen oder den Vermietungsaufwand bezahlen oder die Möbel abkaufen. So oder so nutzt dieMietpreisbremse nur kurzfristig denen, die eine Wohnung haben. Aber auch die werden schnell erkennen, dass die erforderlichen Instandsetzungen nicht erfolgen. Denn die ein- gefrorenen Mieten werden mit den gestiegenen Handwerker-, Gartenpflege-, Hausmeister- oder Baurechnungen nicht mithal- ten und Vermieter werden sich mit Investitionen zurückhalten. Westberlin hat sogar schon mal bis in die späten 80er Jahre einen Mietendeckel gehabt. Zahlreiche Wohnungen hatten des- halb nochOfenheizungen undAußenklo. Dann hob der damalige Berliner Senat denMietendeckel auf, um für den heruntergekom- menen Wohnungsbestand Modernisierungen zu ermöglichen. Vermieter verhalten sich vorrangig profitorientiert.Wer kann, erhöht so bald als möglich die Miete. Deshalb ist das Verhältnis vonMieter und Vermieter in Deutschland stark reguliert. Mieter werden in wesentlichen Teilbereichen geschützt. Aber auch das hat bisher nicht die radikalen, für die Stadtgesellschaft katastro- phalen Entwicklungen verhindern können. GeeigneteWerkzeuge für eine Anpassung des Mietrechts wären etwa das Erschweren der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, ein Kün- digungsschutz für Senioren, mehr Schutz vor Luxusmodernisie- rungen und höhere Hürden für Eigenbedarfskündigungen. Aber auch da ist schon viel zu Gunsten der Mieter geregelt. Eurostat rechnet damit, dass 2030 in Deutschland drei Mil- lionen Menschen mehr leben als heute. Die allermeisten davon in den Städten. Die Lösungen liegen also im Baurecht und in der Mobilität. Die einzige nachhaltige Lösung für die Schaffung von bezahlbaren Wohnungen ist der Neubau von gut erschlossenen bezahlbaren Wohnungen. Deshalb müssen die Städte unbedingt dichter werden. Die neu geschaffenen urbanen Gebiete sind ein erster Anfang. Aber bei Weitem zu zaghaft. Ich spreche nicht von einer GFZ von 3, sondern von über 5, wenn die ÖPNV-Erschließung angemessen gesichert ist. Mit der entsprechenden Infrastruktur und einemöf- fentlichen Raumkonzept, das den stark veränderten Bedürfnissen entspricht. Erst dann kann die Art von städtischer Struktur aus kompaktem Bauvolumen und öffentlichen Räumen entstehen, die die kreative, offene Stadtgesellschaft braucht. Mit einem ausgebauten, enger getakteten ÖPNV lassen sich im Zusammenwirken mit privaten Sharing-Anbietern weite Gebiete über die Stadtgrenzen hinaus attraktiver machen. Die Potenziale sind riesig. Aber die Ausweisung von Baugebieten, die Schaffung von Be- bauungsplänen und die Genehmigung von Bauanträgen dauert viel, viel zu lange. Die personell abgebauten Behörden kommen nicht hinterher und gewinnen im Wettbewerb um die Talente keine neuen Kolleginnen. Und schließlich: Der politische Meinungsbildungsprozess dauert in den mit Laien besetzten Parlamenten unfassbar lange. Hier regiert die Furcht, Fehler zu machen. Und so bleiben Be- wahren, Schützen, Deckeln, Einfrieren ganz oben auf der Agenda. Wie heißt es noch im „Zauberlehrling“: „O du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen? Seh ich über jede Schwelle doch schon Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen, der nicht hören will! Stock, der du gewesen, steh doch wieder still!“ Städte müssen unbedingt dichter werden. Dichte Städte sind ökolo- gischer, ökonomischer, sozialer und kreativer. Sie bieten die Möglich- keiten für ein selbstbestimmtes und entwicklungsfähiges Dasein. « ZUR PERSON Eike Becker leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin. Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.

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