Immobilienwirtschaft 9/2019
38 FINANZIERUNG, INVESTMENT & ENTWICKLUNG I KOLUMNE Aber die Dynamik der wundersamen Geldvermehrung für wenige gerät für viele andere außer Rand und Band. Fast alle Städte stehen unter Druck. Besonders in der Mieterstadt Berlin steigen die Mieten rasant. Die Gesellschaft scheint es fast ausein- anderzureißen. Nun hat der Berliner Senat ein Eckpunktepapier beschlossen, das schon imOktober, als Gesetz verabschiedet, die Wohnungsmieten für die nächsten fünf Jahre einfrieren soll. Der Satz „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ beschreibt sehr anschaulich auch das Dilemma einer Politik, die den Zuzug herbeigesehnt hat – und als er dann kam, kaummehr getan hat, als verwundert zu staunen. Jetzt weiß sich der Senat nicht anders zu helfen, als auf die dramatischen Veränderungen mit Zaubersprüchen zu reagieren. Das Zauberwort heißt: „Mie- tendeckel“. Und hier endet die Parallele zur Ballade auch schon. Städte- bau ist beharrliche, langfristige, vorausschauende Planung. Und harte, verständige, zumeist langweilige Arbeit. Mit Stadtplanung kann man im politischen Kontext selten punkten. Beschlüsse für neue Verkehrstrassen oder Neubauviertel führen selten zu Ap- plaus, eher zu Protesten aufgebrachter Anwohner. Zu spät sind die Früchte der eigenen Anstrengungen sichtbar. Selbst wenn nach Jahren die neuen Quartiere fertig gebaut sind, sehen die mit den kleinen Bäumchen und leeren Erdgeschossenmickriger und kahler aus als die schönen alten. Dann gibt‘s viel Kritik und wenig Lob. So oder so sind die Politiker, die sie beschlossen haben, in der Mehrheit bereits wieder abgewählt. Und jetzt sollen die Mieten in Berlin politisch festgesetzt werden, soll die marktwirtschaftliche Preisbildung nicht nur W ährend einer Radtour stand ich vor dem Goethe-Garten- haus im idyllischen Ilmpark inWeimar. Mir fiel eine Schul- stunde ein, an der ich als Vater meines Sohnes teilnehmen durfte, bevor er aufs Gymnasiumwechselte. ImUnterricht wurde die Ballade „Der Zauberlehrling“ von J. W. von Goethe bespro- chen. Allein gelassen probiert der Zauberlehrling seine Künste an einem Besen aus, den er in einen Wasser schleppenden Knecht verwandelt. Ein lustiges Spielchen. Nach anfänglichem Stolz auf seine Kräfte merkt der Lehrling aber, wie er der Situation nicht mehr gewachsen ist. Ein gutes Bild für den Zustand derjenigen, die gerade mit der Produktion von Stadt beschäftigt sind. Aus der Perspektive der vorrangig privaten Immobilienwirtschaft ist viel zu tun und ganz viel zu verdienen. DieWassereimer fliegen nur so heran und könnten immer noch mehr in die eigenen Kassen spülen. Riesige Geldmengen drängen wie von Zauberhand in den Immobilien bereich, die Preise und Kosten folgen blind den Marktgesetzen und steigen, Mieterhöhung folgt auf Mieterhöhung, ein grandio- ses Fest für die besitzenden Akteure. Probleme sind in der Regel die Probleme der anderen. „Seht, er läuft zum Ufer nieder, Wahrlich! ist schon an dem Flusse, und mit Blitzesschnelle wieder ist er hier mit raschem Gusse. Schon zum zweiten Male! Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale voll mit Wasser füllt!“ Zauberlehrlinge Foto: Dirk Weiß
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