Immobilienwirtschaft 9/2019

19 www.haufe.de/immobilien 0 9.2019 Das Quartier als Nukleus einer großen Klimaschutzperspektive A uch wenn den jungen Leuten von „Fridays for Future“ vielleicht nicht immer be- wusst ist, was im Bereich Klimaschutz schon alles angestoßen wird und wie viele Hemmnisse es in der praktischen Umsetzung gibt – recht haben sie trotzdem: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir die Dekarbonisierung innerhalb der nächsten 30 Jahre nicht erreichen. Was den Gebäudebereich anbelangt, so wird hier die Sanierung im Bestand entscheidend sein – und die funktioniert nur auf der Ebene des Stadtviertels. Deshalb sollte das Quartier der Nukleus einer großen Klima- schutzperspektive werden. Denn dieses kann zum einen als „Real-Labor“ für innovative Modellprojekte dienen. Gleichzeitig lassen sich im Quartier mit Maßnahmen wie Sek- torkopplung, Zwischenspeicherung und nachhaltigen Mobilitätslösungen energetische Modernisierungen optimal verbinden mit einer klimaneutralen Energieversorgung. Denn nicht das einzelne Gebäude sollte als Dämmobjekt einMaximumanCO 2 einsparen müssen, sondern das komplette Viertel. Dabei ist eine Technologieoffenheit wichtig, die sich am Preis-Leistungs-Verhältnis orientiert. CO 2 -BEPREISUNG WÄRE SINNVOLLES INSTRUMENT Eine Möglichkeit, Kohlenstoffdioxid wirkungsvoll zu reduzieren, könnte eine CO 2 -Bepreisung sein. Damit schaffte man auch wirtschaftliche Anreize für technologieoffene Maßnahmen. Als Basis für die energe- tische Gebäudebewertung sollten zudemder Endenergiebedarf und entsprechende CO 2 - Emissionskennwerte dienen. Genauso wichtig sind die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure und eine integrierte Herangehensweise: Dennmit sektoralemDenken kommen wir beimKlimaschutz nicht weiter. Denn es ist wesentlich, Umwelt, Wirtschaft, Rechts- rahmen und individuelles Verhalten zusammenzudenken. Insbesondere den Kommu- nen kommt eine entscheidende Rolle zu: Es gilt, Prozesse zu moderieren und die un- terschiedlichen Akteure und Interessenlagen im Quartier zu koordinieren. Gerade was private Kleinvermieter und Selbstnutzer anbelangt, die zusammen fast 80 Prozent des Wohnungsbestandes halten, sind ineinandergreifende Beratungsketten entscheidend, möchteman sie von einer energetischenModernisierung überzeugen. Nur so lassen sich Verunsicherungen in Bezug aufWirtschaftlichkeit und technische Probleme vermeiden. Einwichtiger Schritt wäre auch die Änderung der Fördersystematik: Diese sollte sich künftig an den unterschiedlichen Zielgruppen und deren Bedürfnissen ausrichten. Für private Kleinvermieter und Selbstnutzer sollten zum Beispiel die Förderanreize verbes- sert und die Förderprogramme vereinfacht werden. Wir brauchen zur Steigerung der energetischenGebäudesanierung eine größere Breitenwirkung und weniger aufwändige Vollsanierungen. Da Bestandsgebäude baulich und technisch sehr unterschiedlich sein können und die Sanierung dadurch bei manchen Häusern viel teurer und aufwändiger ist als bei anderen, sollte zum Beispiel überprüft werden, ob deren Zustand nicht in die Bewertung einer Förderung mit einfließen müsste. Ein imApril 2019 veröffentlichtes Kursbuch der Arbeitsgruppe „Energie“ des Deut- schenVerbandes fürWohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) gibt konkrete Handlungsempfehlungen, wie der Klimaschutz imGebäudebereich gelingen kann. Das Klimakabinett der Bundesregierung sollte diese anwendungsorientierte Hilfestellung berücksichtigen und die Kontakte nutzen, die der DV als neutrale Dialogplattform zu allen wichtigen Akteuren im Bereich Klimaschutz im Gebäudebestand hat. Die Fördersystematik sollte sich künftig an den unterschiedlichen Zielgruppen und deren Bedürfnissen ausrichten, meint Werner Spec. Klimapolitik Bis 2050 will Deutschland treibhausgas- neutral sein – mit sektoralen Einzelmaßnahmen wird der Klimaschutz im Gebäude bereich allerdings nicht vo- rankommen. Vielmehr ist es wesentlich, Umwelt, Wirt- schaft, Rechtsrahmen und in- dividuelles Verhalten zusam- menzudenken und die För- dersystematik zu verändern. www.deutscher-verband.org « Werner Spec, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg und Leiter der Arbeitsgruppe „Energie, Immobilien und Stadtentwicklung“

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